Essen. Um dem Wohnungsbau in Essen Impulse zu geben, verzichtet die städtische Gesellschaft künftig auch auf Gewinne – zunächst aber nur bis Ende 2023.
300 Punkte: Diese Hürde mussten Wohnprojekte bislang stets nehmen, damit der Allbau sich der Sache annahm. 300 Punkte, das entsprach nach einem hausinternen Bewertungsmodell einer Rendite von zweieinhalb bis drei Prozent aufs eingesetzte Kapital, aber jetzt geht es der städtischen Wohnungsgesellschaft wie einem Hochspringer, der plötzlich mit Gewichtsweste antreten muss: Angesichts explodierender Kosten wird in Zeiten wie diesen die 300er-Latte regelmäßig gerissen, und beim Allbau muss man sich entscheiden: Warten auf bessere Zeiten? Oder weiterbauen auf Sparflamme? Der Stadtrat entschied jetzt: weitermachen.
Stadt muss auf Ausschüttung nicht verzichten
Knapp 85 Prozent der Anteile an der städtischen Wohnungsgesellschaft Allbau hält die Stadt Essen, der Rest liegt in der Hand der Sparkasse Essen.
Diese hat den Plänen zugestimmt – vorausgesetzt, ihr anteiliger Buchwert am Unternehmen sinkt nicht.
Auch der Allbau legt Wert darauf, dass die neue Rendite-Lockerheit den Cashflow des Unternehmens, seine Geldflüsse, nicht negativ beeinflussen.
Die Ausschüttung des Allbau an die Stadt werde wohl nicht leiden, heißt es in einer nichtöffentlichen Vorlage für den Rat.
Der Grund: Angesichts von 18.000 Wohnungen machen Neubauprojekte nur einen Teil des Gewinns aus.
Für das Jahr 2022 ist dem Vernehmen nach eine Ausschüttung von elf Millionen Euro geplant.
Zunächst bis Ende 2023 darf der Allbau damit seine eigenen Ansprüche an die Wirtschaftlichkeit von Bauvorhaben auf Eis legen, damit überhaupt noch was geht auf einem Wohnungsmarkt, auf dem tausende Essenerinnen und Essener und solche, dies es werden wollen, händeringend neue bezahlbare Angebote suchen.
Das Bewertungsschema bleibt erhalten, doch die Latte wird deutlich niedriger gehängt
Aber kaum finden: Wie schon die Konkurrenten am Markt – von der börsennotierten LEG bis zur genossenschaftlich organisierten Gewobau – verzweifelt der Allbau schier an den derzeitigen Rahmenbedingungen: plus 18 Prozent bei den Baukosten, vervielfachte Zinssätze, Inflation, ausufernde Energiekosten und „Förderchaos“, wie er es nennt.
In den eigenen Reihen weiter zu sparen, Kosten zu kappen, Arbeit zu verdichten, Prozesse zu verschlanken – alles schon passiert, sagt der Allbau, mehr sei nicht zu holen. Also musste Bewegung aus einer anderen Ecke kommen. Das Punkteschema, das allerlei betriebswirtschaftliche Kennzahlen berücksichtigt – der Allbau soll schließlich nicht nur segensreich auf dem Wohnungsmarkt wirken, sondern der klammen Stadt noch zusätzlich Geld einbringen – dieses Punkteschema bleibt erhalten, doch die Latte wird deutlich niedriger gehängt: Ab 100 Punkten darf nun gebaut werden.
Knapp 70 Prozent der zuvor aussortierten Projekte kommen wieder auf den Tisch
Für den Allbau heißt das: Er verdient keinen müden Euro. Aber immerhin, wenn die Kalkulation aufgeht, verliert er auch kein Geld, was bei einem Teil der Vorhaben unter 100 Bewertungspunkten ansonsten zu befürchten wäre. Immerhin, mit den sinkenden Rendite-Ansprüchen steigt das Arbeitspensum, denn dem Vernehmen nach kommen knapp 70 Prozent der zuvor aussortierten Projekte wieder auf den Tisch.
Sie machen nicht nur Wohnprojekte möglich, auf die man sonst hätte verzichten müssen, sondern auch den Bau von Kindertagesstätten, bei denen das Wohnungsunternehmen in einer ähnlichen Klemme steckt. Denn einfach eine höhere Pacht zu fordern, ist kaum möglich: Diese ist für die Betreiber gesetzlich gedeckelt.
Bereits in der nächsten Aufsichtsrats-Sitzung, so ist zu hören, will der Allbau erste stillgelegte Bauprojekte wieder anschieben. Ob der zunächst zeitlich befristete Verzicht auf frühere Rendite-Erwartungen Ende 2023 wieder aufgehoben wird, muss sich allerdings erst noch zeigen. Gut möglich, dass die Zeit der großen Sprünge auf dem Wohnungsmarkt noch länger vorbei ist.