Pflegekräfte vom anderen Ende der Welt kommen nach Essen. Das Krupp-Krankenhaus preist die Mitarbeiter von den Philippinen als echte Verstärkung.
Auf der Suche nach Pflegefachkräften ist das Essener Alfried-Krupp-Krankenhaus jetzt gut 10.000 Kilometer weit entfernt fündig geworden: 14 junge Männer und Frauen von den Philippinen haben dieser Tage ihr Anerkennungsjahr abgeschlossen. Die Klinik spricht von einer „echten Verstärkung“ auf den Stationen und wird die Zahl der philippinischen Mitarbeiter zeitnah auf 50 erhöhen. Vermittelt werden diese von einer Bochumer Agentur.
Neuerdings wechseln hierzulande viele Pflegekräfte in die Zeitarbeit, die mit verlässlicheren Arbeitszeiten und höheren Einkünften lockt. Auch die demografische Entwicklung verschärft die Nachwuchsprobleme in der Pflege. Die Philippinen mit ihren 100 Millionen Einwohnern sind dagegen ein junges Land, „das kulturell gut zu uns passt“, sagt Fabian Duhr, der seit einem Jahr als Integrationsmanager Pflege am „Krupp“ arbeitet.
Schon vor dem Umzug nach Essen haben sie Deutsch gelernt
Die von der Bochumer Agentur vermittelten Pflegekräfte haben schon in ihrem Heimatland Deutsch gelernt und hier in einem Jahr das B2-Sprachzertifikat erreicht, das sie für ihren Job benötigen. Jüngst haben alle 14 ihre Abschlussprüfung bestanden, sind nun examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger. Sie hatten bereits auf den Philippinen ein Bachelorstudium der Pflege absolviert, mussten hier aber noch einzelne Lücken in der Praxis schließen. „Und Themen wie deutsches Medizinrecht nachholen, mit dem sie vorher ja nichts zu tun hatten“, sagt Duhr.
Für Mae Pasigna ist Deutschland eine große Chance: Zwar mangele es auch auf den Philippinen nicht an Jobs für Pflegekräfte, doch die seien so schlecht bezahlt, „dass ich davon kaum leben konnte“. Die heute 35-Jährige hat daher zeitweilig in einem Callcenter medizinische Auskünfte gegeben – das war lukrativer. Zuletzt war sie zwei Jahre als Pflegekraft in Singapur tätig: „Doch da waren die Karrierechancen nicht gut. Kolleginnen waren nach sechs Jahren im Land immer noch Pflegehelferinnen.“
Ein Leben als Hilfskraft mochte sich Mae Pasigna nicht vorstellen, zumal sie ihre Familie unterstützen will. Also lernte sie acht Monate lang Deutsch und zog im Sommer 2021 nach Essen, ins Schwesternwohnheim des Krupp-Krankenhauses. „Passenden Wohnraum zu finden, ist das größte Problem“, erklärt Fabian Duhr. Erst nach und nach ziehen die philippinischen Mitarbeiter in eigene Wohnungen. Den Start habe das WG-Leben mit den Landsleuten sogar erleichtert, findet Mae Pasigna: „Da hat man nicht so großes Heimweh.“
Agentur hat Fachkräfte angeworben
14 Mitarbeiter von den Philippinen arbeiten an den beiden Standorten des Alfried-Krupp-Krankenhauses in Rüttenscheid und in Steele. Sie sind im Juni/Juli 2021 hergekommen, haben ein Anerkennungsjahr absolviert, die Abschlussprüfungen bestanden und am 26. August bei einer kleinen Feier ihre Urkunden erhalten.
Die Bochumer Agentur „c&c“ hat die Fachkräfte vermittelt, die in ihrem Heimatland ein Bachelor-Studium der Pflege abgeschlossen haben. Sie hatten dort auch schon das Deutschzertifikat B1 erworben. Inzwischen haben alle das B2-Zertifikat, das ein fortgeschrittenes Sprachniveau bescheinigt. Sie wohnten zunächst im Schwesternheim und ziehen nun nach und nach in eigene Wohnungen.
Das Krupp-Krankenhaus spricht von einer echten Verstärkung auf den Stationen. Aktuell befinden sich noch zehn philippinische Pflegekräfte im Anerkennungsjahr; im Oktober reisen 26 weitere an. Sie stellen in der bunten Belegschaft mit Mitarbeitern vom Balkan bis Mexiko dann wohl die größte Gruppe. Insgesamt arbeiten am Standort Steele 270 Gesundheits- und Krankenpfleger und in Rüttenscheid 550 (Stand: 2020).
An ihrem Arbeitsplatz sei sie anfangs nervös gewesen: „Eine neue Umgebung, neue Geräte und eine neue Sprache – das stresst.“ Vorsorglich habe sie sich bei jedem Patienten entschuldigt: „Es kann sein, dass ich nicht alles verstehe, was Sie sagen, bitte haben Sie Verständnis.“ Die Patienten hätten das gut aufgenommen, sie ermutigt. Und das Team in der zentralen Notaufnahme habe sie sehr unterstützt. Für Mae Pasigna ist klar, dass sie länger in Essen bleiben möchte, obwohl sie in ihrer Freizeit noch nicht so viele Kontakte zu Deutschen geknüpft hat. „Ich bin am Krupp-Krankenhaus sehr zufrieden, und ich kann meine Familie dreimal besser unterstützen als aus Singapur.“
Pfleger hätte gerne in den USA oder Großbritannien gearbeitet
Für ihren Kollegen Kristian Buna (33) ist Deutschland die erste Auslandsstation, aber nicht die erste Wahl: „Ich muss ehrlich sagen, dass ich am liebsten nach Großbritannien oder in die USA wollte.“ Schon weil er keine neue Fremdsprache hätte lernen müssen: Englisch ist auf den Philippinen Amtssprache. Doch der Umzug in eins der beiden Länder wäre langwierig und teuer geworden. Im Werben um Fachkräfte machen deutsche Vermittlungsagenturen offenbar mehr Zugeständnisse, übernehmen Kosten für Dokumente, beschleunigen das Verfahren. „Es ging schnell“, sagt Buna, der fünf schlecht bezahlte Jahre in der philippinischen Krankenpflege hinter sich hatte und zwischenzeitlich als Kodierfachkraft medizinische Leistungen erfasste.
In Essen arbeitet er wieder im erlernten Beruf und freut sich über die Karrierechancen und kostenlose Fortbildungen. Alle Kollegen und Leitungen seien ihm freundlich begegnet. Wie Mae Pasigna hat auch er die Sprache als größte Barriere erlebt, obwohl die Patienten immer loben: „Sie sprechen sehr gut.“ Im Übrigen, ergänzt Fabian Duhr, spiegelten die Mitarbeiter von den Philippinen die Vielfalt der Essener Gesellschaft. Und mit englischsprachigen Patienten könnten sie sich besser unterhalten als viele deutsche Kollegen.
Kristian Buna ist inzwischen in Deutschland angekommen, hat eine eigene Wohnung in Krankenhausnähe bezogen und kann sich vorstellen, seine Nichte nachzuholen. Mit dem unbefristeten Arbeitsvertrag, den die 14 Pflegekräfte jetzt erhalten, sei ein Familiennachzug möglich, bestätigt Duhr. Das würde auch Mae Pasigna gern für eine ihrer Schwestern nutzen. Zuletzt haben die beiden ihre Familien bei der Feier der bestandenen Prüfung gesehen: Das Krankenhaus hatte sie per Videoplattform zugeschaltet.