Essen. Lob für Essen als Baupartner und liebäugeln mit modernen Plattenbauten: LEG-Vorstandschef Lars von Lackum über die Krise der Wohnungsbau-Branche.
Vom Dach gibt’s den Strom per Photovoltaik-Anlage, im Keller lassen sich Wall-Boxen fürs E-Auto anzapfen, und dazwischen liegen 100 Mietwohnungen zwischen 40 und 103 Quadratmetern in energiesparendem 55er Effizienzhaus-Standard, beheizt übrigens mit Fernwärme. Kein Wunder, dass Bauherr und Vermieter LEG bei strahlendem Sonnenschein gut gelaunt das Richtfest seines neuen Quartiers in der „Weststadt“ feierte. Deutlich trüber dagegen steht es um die Aussichten für den Wohnungsbau in näherer Zukunft, wie LEG-Vorstandschef Lars von Lackum im Interview einräumt:
Herr von Lackum, in Zeiten, in denen andere Wohnungsbaugesellschaften ihre Projekte reihenweise einkassieren, feiern Sie in Essen Richtfest – und kündigen gleich das nächste Großprojekt mit über 400 Wohnungen an. Was machen Sie bei der LEG anders als die Konkurrenz?
Ich glaube, wir haben anders als manche Wettbewerber ein deutlich kleineres Projektentwicklungsbuch. Das führt dazu, dass wir bei den Vorhaben, die wir angehen, einen langfristigen Horizont beibehalten können.
3700 Wohnungen – und noch viel vor
Die LEG SE ist mit rund 166.000 Mietwohnungen und rund 500.000 Bewohnerinnen und Bewohnern ein führendes börsennotiertes Wohnungsunternehmen in Deutschland.
In Essen verwaltet das einst landeseigene Unternehmen 3700 Wohnungen, hat aber noch Großes vor: Auf dem Gelände der ehemaligen Druckerei Kaiser in der „Weststadt“ soll ein Komplex mit 400 weiteren Wohnungen entstehen. Für den Baubeginn peilt die LEG das Jahr 2024 an, das Investitionsvolumen liegt bei rund 100 Millionen Euro.
Die Energiekrise trifft auch die LEG, allerdings nicht so stark wie manche Wettbewerber: Ein Drittel des LEG-Wohnungsbestandes wird mit Fernwärme geheizt, darunter auch die 100, für die jetzt Richtfest gefeiert wurde.
Für das Projekt auf dem Gelände der Druckerei Kaiser muss ja in der Tat erst ein Bebauungsplan her. Heißt das, wenn Sie die Baugenehmigung heute schon in Händen hielten, Sie würden – stillhalten?
So ist es. Solange wir in diesen unsicheren Zeiten leben, können wir leider den Spaten in keine neue Baustelle stechen. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.
Aber Wohnungen werden extrem nachgefragt. Was macht die Zeiten für Wohnungsbaufirmen so unsicher?
Wir haben im Augenblick unfassbar viele Herausforderungen: Uns fehlt es an Material, es fehlt an Menschen, die bauen können, und wir haben diesen enormen Inflationsdruck, Material- und Baukosten sind dramatisch gestiegen.
„Höhere Preise, höhere Zinsen, höhere Standards – eine toxische Mischung“
Nennen Sie doch mal eine Hausnummer.
Wir sehen da große Bandbreiten – von zehn Prozent Preissteigerung bei kleinen Innenausbauteilen bis zu 80 Prozent auf Konstruktionsvollholz. Im Durchschnitt liegt das Kostenplus so um 15 Prozent, das ist schon gewaltig. Dazu haben Sie dann zusätzliche energetische Standards, die sie alle erfüllen müssen, ein Förderregime, das sich gefühlt alle zwei Wochen mal ändert, weil auf Bundesebene die Regularien korrigiert werden, und schließlich auch noch deutlich gestiegene Bauzinsen...
Na ja, die liegen zwar beim Zwei- oder Dreifachen dessen, was noch vor einem Dreivierteljahr aufgerufen wurde, aber im langfristigen Vergleich doch immer noch auf extrem niedrigem Niveau.
Richtig, aber das wirkt ebenso belastend auf die Profitabilität, das ist nicht zu unterschätzen.
In welchem Rahmen bewegt sich denn die Rendite Ihrer Neubauprojekte?
Die ist relativ gering und liegt nur im kleinen einstelligen Prozentbereich, wir müssen da wirklich auf den Cent schauen – zumindest, wenn Sie das machen, was neudeutsch so schön „Development to hold“ heißt, also das Entwickeln von Wohnflächen für die eigene Bestandshaltung. Das ist – anders als bei Eigentumswohnungen – auf Grenze gerechnet. Alles in allem eine echt toxische Mischung.
„Ich will hinterher kein Produkt anbieten, das 19 Euro den Quadratmeter kostet“
Mit der Folge...?
...dass nach unseren Erwartungen der Neubau deutlich zurückbleiben wird. Das Gebot der Stunde ist deshalb, an guten Ideen weiter zu arbeiten, Projekte wie das auf dem Gelände der Druckerei Kaiser zur Baugenehmigungsreife zu führen, um dann mit der Politik darüber zu sprechen: Wie schaffen wir ein Rahmenumfeld, in dem wir hinterher auch wirklich bezahlbares Wohnen realisieren? Denn dafür stehen wir: Wir vermieten im Durchschnitt für 6,26 Euro pro Quadratmeter. Hier in der Weststadt sind es gewichtet über alle Wohnungen 10,25 Euro. Für uns ist das schon ein Projekt am oberen Ende dessen, was wir anbieten.
Und noch höhere Preise?
Sind kein Thema. Ich will hinterher kein Produkt anbieten, das 18, 19 oder 20 Euro den Quadratmeter kostet. Ich glaube, das braucht der Markt auch nicht. Der braucht ein Angebot für die Breite der Bevölkerung, und deswegen müssen wir auch in eine Situation kommen, in der wir auf der einen Seite eine Förderlandschaft auf Bundesebene haben, die uns hilft, Vorhaben umzusetzen. Und auf der anderen Seite brauchen wir einen Baustandard, der kostengünstiges Bauen ermöglicht – was übrigens auch Abstriche an der architektonischen Schönheit bedeutet. Wir schauen uns auch zunehmend serielles, modulares Bauen an.
„Was wir brauchen, sind Möglichmacher, diese Dialogorientierung spürt man in Essen“
Klingt nach Plattenbau 4.0.
Ja, ein bisschen ist das tatsächlich die Rückkehr des Plattenbaus, aber natürlich nicht mit dem Aussehen der alten „Platte“. Wir arbeiten mit der Firma Goldbeck in Euskirchen an einem Quartier mit 250 Wohnungen, an denen wir zeigen wollen, was bei seriellem, modularem Bauen an Unterschiedlichkeit in der Bauphysik möglich ist, so dass es auch von außen ansprechend wirkt. Und das uns gleichzeitig ermöglicht, die Baukosten besser in den Griff zu bekommen als mit traditionellem Bauen.
Gibt es in dieser Gemengelage auch eine Erwartung an die Kommunen, sprich: hier an die Stadt Essen, Ihnen noch mehr als bisher den Weg zum Bauen zu ebnen?
Ich glaube, Essen dürfen wir an dieser Stelle loben. Wenn von 500 Wohnungen, die die LEG im nächsten Jahr NRW-weit fertigstellt, 100 in Essen entstehen, zeigt das ja deutlich, wie gut die Zusammenarbeit mit der Stadt funktioniert. Was wir brauchen, sind Möglichmacher. Und diese hohe Dialog- und Ergebnisorientierung, die spürt man hier. Auch wenn an anderer Stelle über die Geschwindigkeit geklagt wird – hier passt das mit dem Tempo.