Essen-Altenessen. Willi Overbeck erhält den Bürgertaler der Essener FDP. Wie sich der ehemalige Altenessener Pfarrer gegen Hass und Rassismus einsetzt.

Für sein Engagement im Essener Norden erhält Willi Overbeck den Bürgertaler der FDP: Der ehemalige Pfarrer hat das Stadtteilleben in Altenessen stark geprägt. Menschen untereinander zu vernetzen und ihnen Chancen zu eröffnen, ungeachtet von Herkunft, Religion oder sozialem Hintergrund – das ist auch heute noch sein Anliegen. „Ein großes Problem ist, dass Leute zu früh abgeschrieben werden“, sagt Overbeck. „Man braucht nicht viel, um etwas zu bewegen, nur die richtigen Mittel – eines davon ist Vertrauen.“

Dieses Vertrauen habe er in alle seine Mitstreitenden gesetzt, nur in der Gemeinschaft könne man etwas erreichen, sagt Overbeck beim Gespräch in Altenessen. Braun gebrannt und entspannt sitzt der 75-Jährige auf der Terrasse des „Dein Kult“-Cafés. Gerade ist er aus dem Urlaub zurück. Drei Monate lang war er mit dem Wohnwagen in Europa unterwegs, in Frankreich, Spanien und Portugal. Die Nachricht, dass die Essener FDP ihm den Bürgertaler verleihen wird, erreichte ihn während der Reise. „Es mich sehr überrascht und sehr gefreut“, sagt er.

Pfarrer Overbeck baut mit Jugendlichen die Zeche Carl in Altenessen auf

Eine Initiative rund um Overbeck baute Ende der 70er die Zeche Carl um, auch Jugendliche waren beteiligt. So entstand das heutige Zentrum für Soziokultur. Er brachte arbeitslose Jugendliche in Handwerksberufe, leitete das interkulturelle Projekt „Arche Noah“, startete interreligiöse Dialoge und setzte sich dafür ein, dass an der Karl-Denkhaus-Straße das KD 11/13 als Zentrum für Inklusion und Kooperation an den Start gehen konnte.

Gemeinsam mit anderen Engagierten baut Willi Overbeck (Zweiter von rechts) Ende der 70er die Zeche Carl in Altenessen um. Hier ist er unter anderem mit Tamara Frankenberger (Zweite von links), Susanne Kirchner (Vierte von links), Dagmar Baumann (Fünfte von links) und Uwe Schäfer (rechts) zu sehen.
Gemeinsam mit anderen Engagierten baut Willi Overbeck (Zweiter von rechts) Ende der 70er die Zeche Carl in Altenessen um. Hier ist er unter anderem mit Tamara Frankenberger (Zweite von links), Susanne Kirchner (Vierte von links), Dagmar Baumann (Fünfte von links) und Uwe Schäfer (rechts) zu sehen. © WAZ FotoPool | Marga Kingler

Als Pfarrer der Kirchengemeinde Altenessen-Nord gestaltete er seine Wahlheimat weit über die Grenzen des Gemeindegeländes hinaus. „Manche Leute wussten gar nicht, dass ich Pfarrer bin, sie waren ganz überrascht“, sagt Overbeck. Für ihn selbst ist sein Glaube Motivation und Rückhalt zugleich. „Der Glaube hat mich getragen, ich wusste immer, dass ich gestärkt bin und nie allein.“

Ausländerhass bei Jugend-Disko auf Zeche Carl Anfang der 80er

Im Essener Norden ist Overbeck gewissermaßen durch einen Zufall gelandet. Er wuchs am Niederrhein auf, in einem Dorf so klein, dass es nicht einmal Straßennamen, sondern nur Hausnummern gab. Nach einer Lehre zum Verwaltungsangestellten holte er sein Abitur nach und entschloss sich zum Studium der Theologie in Bonn. In den 70er Jahren arbeitete er in der Justizvollzugsanstalt Siegburg. „Wir haben Jugendliche auf die Zeit nach dem Knast vorbereitet“, sagt Overbeck. „Viele kamen aus dem Ruhrgebiet, deshalb wollte ich dorthin gehen und als Pfarrer Jugendarbeit machen.“

Und genauso kam es – seit 47 Jahren lebt er nun in Altenessen. Dass es darauf ankommen würde, Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen zusammenzubringen, war ihm sofort klar. „Den Begriff der Integration kannten wir damals noch gar nicht, es war der Normalfall, dass Menschen einen Migrationshintergrund hatten“, sagt Overbeck. Er musste allerdings auch feststellen, dass die Auseinandersetzung mit Hass und rassistischen Anfeindungen dazu gehört.

Bei einer der Jugend-Diskos in den Anfangsjahren der Zeche Carl seien plötzlich weitere Jugendliche aufgetaucht, mit Messern und Schlagstöcken. „Ausländer raus“ hätten sie skandiert, der Pfarrer wurde zur Hilfe gerufen. „Als ich dazu kam, standen sich die Gruppen gegenüber, es flogen Steine und es floss Blut.“ In der Gruppe der Angreifer erkannte er Jugendliche, die er von der Konfirmation aus der Kirchengemeinde kannte. „Es hat mich darin bestärkt, erst recht weiterzumachen“, sagt Overbeck.

Overbeck: „Es geht immer darum, sich und die Welt nicht aufzugeben“

Unter anderem war das für ihn der Ansporn, sich für die „Arche Noah“ und die Gründung des KD 11/13 einzusetzen. Vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001 habe er ein wachsendes Misstrauen gegenüber Muslimen registriert. Er wollte Möglichkeiten für Dialoge schaffen, Vorurteile entkräften. „Die Kenntnis übereinander scheint mir wichtig zu sein, sich gegenseitig wahrzunehmen“, sagt Overbeck. Durch seinen Glauben sah er sich dazu verpflichtet, diesen Prozess zu fördern. „Die Initiative dazu, dass Religionen aufeinander zugehen, muss aus den Kirchen kommen, das kann der Staat nicht leisten, er kann nur unterstützen.“ Seit seiner Pensionierung vor 13 Jahren bemühe er sich, weiter auf andere Religionsgemeinschaften zuzugehen.

Damit will er neben seiner religiösen Motivation auch seiner Überzeugung als Demokrat nachgehen. Die Verfassung sei ein hohes Gut, dass es zu schützen gelte, ob über das Engagement in der Kirche, in der Politik oder in sozialen Organisationen. „Es geht immer darum, sich und die Welt nicht aufzugeben, auch in Zeiten wie diesen, in denen man den Kopf vielleicht manchmal lieber in den Sand stecken würde.“