Essen. Das Bürgerschloss der Familie Krupp hoch über der Ruhr hat fast jeder schon besucht. Die Spezialführung eröffnet aber sonst verschlossene Räume.
Nackenstarre ist für Besucher eine ständige Gefahr auf Villa Hügel, denn wie in gotischen Domen ist hier vieles groß, hoch und auf Effekt angelegt. Etwas besser haben es da die Leser, die im Rahmen von „WAZ öffnet Pforten“ jüngst im früheren Wohnsitz der Familie Krupp zu einer Sonderführung eingeladen waren. Sie sehen Räume, die sonst verschlossen sind und die teilweise in krassem Gegensatz zu den bekannten riesigen Repräsentationsräumen stehen.
Nicht jeder, der hier einst lebte, fühlte sich in der Villa Hügel wirklich wohl
Aber natürlich kommen auch die Leser zunächst in der unteren Halle an, die für alle Besucher der erste Eindruck im Inneren der Villa Hügel ist. Hier hängen unter der schweren Holzdecke die großen Gemälde derjenigen, die in diesem Haus einst lebten: Alfred Krupp, der Erbauer der Villa Hügel, seine Gattin Bertha, die hier nicht glücklich wurde, sein Sohn Friedrich Alfred Krupp, der lieber auf der Mittelmeerinsel Capri weilte als in diesem düstereren Bürgerschloss, schließlich dessen Tochter Bertha, die hier mit Ehemann Gustav und einer großen Kinderschar ein Familienleben führte, und das, soweit man weiß, nicht nur aus Pflichtgefühl.
Gustav und Bertha waren es auch, die Villa Hügel um 1912 so umbauen ließen, wie sie heute noch existiert, berichtet Manuela Fellner-Feldhaus, die als Historikerin im Krupp-Archiv die Leser-Gruppe führt. Wirtschaftlich waren die Jahre kurz vor dem ersten Weltkrieg eine Zeit beispielloser Hochkonjunktur, die es der Familie Krupp-von Bohlen und Halbach ermöglichte, finanziell aus dem Vollen zu schöpfen. Das edle Holz, das so verschwenderisch verbaut wurde, ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was der Bauherr in seinem Haus sehen wollte. Alfred Krupp hatte Angst vor Bränden und bevorzugte nackten Stein und schwere gusseiserne Stempel, was die Wohnlichkeit nicht eben erhöhte.
Im Jahr 1873 hatte Alfred Krupp die Villa Hügel bezogen, nach einer kurzen, aber sehr nervenaufreibenden Bauzeit von gut zwei Jahren. Der eigentliche Gründer des Unternehmens war kein einfacher Charakter und hatte immer wieder gänzlich andere Vorstellungen als die Architekten, denen er seine jedoch aufzwang. Baumängel, kostspielige Umbauten und viel Missmut waren die Folge.
Der wohl größte Fabrikanten-Wohnsitz in Deutschland
Doch am Ende stand hoch über dem Essener Ruhrtal in einem 28 Hektar großen, mit viel Aufwand angelegtem Park der wohl gigantischste Fabrikanten-Wohnsitz in Deutschland – Symbol für die Weltgeltung, die Alfred Krupp seiner Firma Anfang der 1870er Jahre bereits verschafft hatte und deren unternehmerischer Erfolg um diese Zeit noch lange nicht am Zenit stand.
Rund 8000 Quadratmeter Fläche, verteilt auf 240 Räume, im Grundbuch der Stadt Essen gleichwohl bescheiden als Einfamilienhaus vermerkt - das sind die Eckdaten der Villa Hügel. Die durchschnittliche Raumgröße von 33 Quadratmetern zeigt aber schon, dass es neben den sehr, sehr großen Repräsentationsräumen auch ganz kleine geben muss. Einige konnten die Leser exklusiv besichtigen.
Wohnräume sind gemessen am Reichtum der Krupps eher bescheiden
Über eine schmale Holztreppe geht es in die Räume, die Bertha Krupp und ihre Schwester Barbara vor ihren Eheschließungen bewohnten und später andere Familienmitglieder. „Achten Sie auf den Blick in den Hügelpark“, sagt Manuela Fellner-Feldhaus. Dieser ist tatsächlich phantastisch, aber ansonsten haben die Räume nichts von jener Grandezza, die in großbürgerlichen Haushalten um diese Zeit durchaus üblich war. Die Krupps waren am heutigem Geldwert gemessen Vermögensmilliardäre, aber zumindest ihren Privaträumen sieht man das nicht unbedingt an.
Eher intim als protzig ist auch ein weiterer Raum, in dem Kaiser Wilhelm noch im September 1918 anlässlich seines letzten Besuchs in der Kruppschen Gussstahlfabrik nächtigte, wo die Produktion von Rüstungsgütern um diese Zeit noch auf Hochtouren lief. Besonderes Interesse weckt das „Kaiserbad“ mit der Wanne und den wuchtig-altmodischen, für die damalige Zeit aber hochmodernen Armaturen. Maß genommen hat das Kaiserbad an der sanitären Ausstattung des Hotels Adlon in Berlin, berichtet Fellner-Feldhaus.
Goldledertapete im Nord-Salon wird nur bei seltenen Gelegenheiten gezeigt
Der sogenannte Nord-Salon ist dann schon wieder deutlich vornehmer. Die Historikerin demonstriert in diesem Raum den hohen Aufwand, der für den Erhalt der Innenräume erforderlich ist. Die Goldledertapete, eine vermutlich um 1900 entstandene niederländische Arbeit, hatte durch die jahrzehntelange Nutzung des Raums für Besprechungen gelitten und musste in Handarbeit saniert werden. Damit das Sonnenlicht der Tapete nicht schadet, ist der sonst nicht begehbare Raum immer abgedunkelt. „Die Vorhänge haben wir nur für Sie weggezogen“, so Fellner-Feldhaus.
Zum Schluss geht die Gruppe noch auf die Orgel-Empore, von der man einen spektakulären Blick in die Obere Halle hat, in der Konzerte und besondere Veranstaltungen stattfinden – etwa die Trauerfeier für Berthold Beitz. Das Instrument ist nicht nur händisch durch einen Organisten spielbar, es verfügt auch über eine Selbstspielvorrichtung, die den Lesern vorgeführt wird. Schon der erstaunlich stark musikinteressierte Alfred Krupp hatte eine Orgel in die Villa Hügel einbauen lassen. Die Vorgeführte allerdings existiert ebenfalls erst seit dem „Großen Umbau“ des Hauses um 1912, geliefert von einem Unternehmen aus New York.
Der Bediensteten-Trakt ist derzeit in Überarbeitung und kann nicht besichtigt werden
Einige Leser hatten gehört, dass es auch einen Bediensteten-Trakt gibt, und tatsächlich erschließt der Gang in das oberste Geschoss der Villa Hügel noch einmal eine ganz andere Welt. Die früheren Schlafräume des Personals sind einfach und zweckmäßig und strikt nach Geschlechtern getrennt, jedoch ist der Trakt „in Überarbeitung“, wie Fellner-Feldhaus sagt und daher auch für die WAZ-Leser nicht begehbar.
Auch der Keller mit der riesigen Küche, dem Schwimmbad, dem Tresorraum und der Bar, in der sich die britischen Besatzungsoffiziere nach 1945 pudelwohl fühlten, ist diesmal nicht Teil der Exklusiv-Besichtigung, schon weil es den zeitlichen Rahmen gesprengt hätte. Denn Villa Hügel ist neben vielem anderen auch das: eine riesige Wundertüte, in der man theoretisch Tage verbringen könnte.