Essen. Die Stadt lobt, die Betreiber stöhnen, und die Kassenärztliche Vereinigung rät gar vom Testen ab: Wie die Neuregelung bei den Beteiligen ankommt.

So viel steht mal fest, es wird Formulare regnen. Formulare für Bescheinigungen wie diese: „Hiermit wird bestätigt, dass Herr Müller erklärt hat, eine bei uns betreute und untergebrachte pflegebedürftige Person zu besuchen.“ Darunter Stempel, Datum, Unterschrift. Oder auch so: „Hiermit erkläre ich, heute Abend ins Kino gehen zu wollen.“ Ein Witz? Mitnichten: Vielmehr seit Donnerstag der neue Standard, um sich den Corona-Bürgertest auch künftig kostenlos zu sichern – oder wenigstens nur eine Selbstbeteiligung von drei Euro zu berappen. In Essen sorgt die Neuregelung, kaum 48 Stunden alt, für ersten Unmut.

Schon in den vergangenen Wochen war das Test-Aufkommen an den gut 400 Anlaufstellen im Stadtgebiet – darunter 190 Arztpraxen und 27 Apotheken – spürbar zurückgegangen. Rund 15.000 Testungen pro Tag kamen zuletzt zusammen, etwa 8,7 Millionen waren es seit Beginn der kostenlosen Bürgertests. Zeitweise eine wahre Goldgrube für manchen Betreiber, doch diese Zeiten scheinen vorbei.

Die Stadt sieht „große Herausforderungen“ für die Betreiber. Will sagen: Es nervt

Einige von ihnen, so bestätigte die Stadt am Freitag (01.07.) auf Anfrage, „haben den Betrieb bereits eingestellt bzw. pausieren“. Ob der Rückzug mit Blick auf die eingeführte Kostenbeteiligung weitergeht, ist offen, Begeisterung hat die Kostenpflicht jedenfalls nicht ausgelöst: „Zahlreiche Anrufe am Donnerstag und Freitag belegen: Die komplexen Regelungen und vor allem die Umsetzung im Testbetrieb stellen viele Betreiber vor großen Herausforderungen“, erklärt die Stadt.

Er hält angesichts der teuren Test-Infrastruktur die Eigenbeteiligung vor allem im Freizeitbereich für „vollkommen richtig“: Gesundheitsdezernent Peter Renzel. Doch auch er blendet nicht aus, wie schwierig sich die Umsetzung gestaltet.
Er hält angesichts der teuren Test-Infrastruktur die Eigenbeteiligung vor allem im Freizeitbereich für „vollkommen richtig“: Gesundheitsdezernent Peter Renzel. Doch auch er blendet nicht aus, wie schwierig sich die Umsetzung gestaltet. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

„Große Herausforderungen“, das bedeutet: Es nervt. Denn die Zettelwirtschaft wuchert, die Bürokratie frisst Zeit: Bei jeder Person, die sich auf das heimtückische Coronavirus testen will, muss nun kontrolliert werden, ob ein Anspruch auf Kostenfreiheit besteht oder die Eigenbeteiligung von drei Euro zu kassieren ist. Und der Kreis derer, die von der Kostenpflicht verschont bleiben, ist nun mal vielfältig: Kinder unter fünf und Schwangere, Leute, die sich freitesten oder Menschen im Krankenhaus oder Pflegeheim besuchen, dazu Haushaltsangehörige von nachweislich Infizierten.

Dokumente sind gefragt: von der Geburtsurkunde bis zur Party-Einladung

Im Alltag heißt das: Erst zum Krankenhaus, Bescheinigung besorgen, dann zum Test, dann wieder zum Krankenhaus. „Fürchterlich umständlich“, findet Emild Volkmann, wenn sie ihren Mann in der Klinik aufsuchen möchte. Und wer zum Nachweis anderer Tatbestände die Geburtsurkunde des Lütten, den Mutterpass, das ärztliche Zeugnis im Original vergessen hat, muss blechen. Eigentlich.

Ähnlich die Hürde bei der Drei-Euro-Regelung: Die Eigenbeteiligung wird fällig für alle, „die am Tag der Testung eine Veranstaltung in Innenräumen besuchen wollen“ oder etwa Kontakt zu jemandem ab 60 Jahren haben werden. Der Nachweis: eine Selbstauskunft, die Eintrittskarte, die Party-Einladung. So steht es jedenfalls in den Bestimmungen.

Corona in Essen: Jeder Neunte schon vier Mal geimpft

Die Impfstatistik der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein zeigt: Fortschritte gibt es bei der Impfquote nur noch in Trippelschritten.

So lag die Quote der Erst-Impfungen am Montag dieser Woche bei 79,9 Prozent. Eine Folge-Impfung haben 76,0 Prozent der Bürgerinnen und Bürger intus, 60,2 Prozent ließen sich bis dato mit einer dritten Impfung „boostern“.

Immerhin: Die Quote derer, die sich eine zweite „Booster“-Impfung haben geben lassen liegt bereits bei 10,9 Prozent. Das ist jeder vierte in der Stadt.

„Man muss sich schon anstrengen, um nicht in so eine Kategorie zu fallen“

Wer all dies nicht beibringen kann, sondern sich nur sicherheitshalber testen lassen will oder „einfach so“, der muss die Chose komplett selbst bezahlen: Zwischen 10 und 15 Euro werden dann fällig, was manchen Teststellen-Betreiber schon zu dem augenrollenden Hinweis bringt, da werde einem doch wohl irgendeine Oma, irgendein Kinobesuch als Kostendämpfer einfallen: „Man muss sich schon anstrengen, um nicht in so eine Kategorie zu fallen“, sagt einer.

Und wo die Teststelle sich einer verärgerten Kundschaft gegenüber sieht, hilft sie, wie die Mitarbeiterin einer Rüttenscheider Einrichtung einräumt, bei der Suche nach Drei-Euro-Gründen schon mal aus Kulanz nach.

Die Kassenärztliche Vereinigung mag nicht bezahlen, was sie nicht prüfen kann

Kein Wunder, dass die Kassenärztliche Vereinigungen (KV) sich angesichts der ebenso „detailreichen wie problematischen“ Anspruchs-Voraussetzungen „außer Stande sehen, ihrem Prüfungsauftrag nachzukommen“ und Bürgertestungen nach der neuen Regelung „abzurechnen sowie die Vergütungen auszuzahlen“.

Der Essener Apotheker Peter Ricken, der in der Rathaus Galerie am Porscheplatz eine der meistbesuchten Corona-Teststellen betreibt, „kann gut verstehen, dass man Geld sparen will“. Andererseits: Damit fällt ein Frühindikator für die Corona-Lage in der Stadt weg.
Der Essener Apotheker Peter Ricken, der in der Rathaus Galerie am Porscheplatz eine der meistbesuchten Corona-Teststellen betreibt, „kann gut verstehen, dass man Geld sparen will“. Andererseits: Damit fällt ein Frühindikator für die Corona-Lage in der Stadt weg. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Nachdem man größere Betrugsfälle wie die massenhaft erfundenen Tests des Anbieters „MediCan“ oder gar erfundene Teststellen wie die einer Krayer Unternehmerin nicht hatte verhindern können, beugt man jetzt im Kleinen vor: Das neue System sei anfällig „für Falschabrechnungen in betrügerischer Absicht“, und so könnte auch die für Essen zuständige KV Nordrhein wie jene andernorts „nicht verantworten, sehenden Auges Auszahlungen auf Abrechnungen zu leisten, deren Richtigkeit sie nicht ansatzweise prüfen“ könne.

Gesundheitsdezernent Renzel findet die Kostenpflicht gut, sieht aber auch die Probleme

„Wir empfehle allen Kolleginnen und Kollegen in den Praxen, vorerst keine Bürgertests nach der neuen Corona-Testverordnung vorzunehmen“, heißt es in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach: „Die Frage der Abrechnung und der Vergütung der Leistungen ist nicht abschließend geklärt.“

Dabei besteht allenthalben Einvernehmen darin, dass es so teuer wie bisher auch nicht weitergehen kann: „Das Signal ist vollkommen richtig“, sagt etwa Gesundheitsdezernent Peter Renzel, „eine Eigenbeteiligung insbesondere für den Freizeitbereich einzuführen“. Aber auch er sieht, dass derlei sich in der Praxis schwer umsetzen lässt.

Apotheker Ricken sagt: Ein bislang hilfreicher Corona-Frühindikator fällt weg

Auch der Essener Apotheker Peter Ricken, der in der Rathaus Galerie am Porscheplatz eine der meistbesuchten Corona-Teststellen der Stadt betreibt, „kann gut verstehen, dass man Geld sparen will“. Man müsse sich andererseits aber darüber im Klaren sein, dass damit ein Frühindikator für die Corona-Lage in der Stadt wegfällt: Die kostenlosen Tests hätten trotz einer bisher schon existierenden Dunkelziffer einen ganz guten Überblick beschert, „was so los ist“.

Und immerhin 1,8 Prozent der Tests zeigten, dass da jemand Corona-positiv war. Etwa 153.000 insgesamt. Mit der Kostenpflicht scheint allen klar: Die Dunkelziffer wächst.