Essen. Großeinsatz in Essen-Altendorf: Nach der Massenschlägerei unter verfeindeten Clans ermittelt die Polizei. Auch am Sonntag gab es Probleme.
Sie gehen zu Hunderten mit Fäusten und Messern aufeinander los, sogar Bistrotische und Stühle fliegen an der Altendorfer Straße durch die Luft. Und es fließt Blut. Bei der Massenschlägerei am Samstagabend in Essen-Altendorf wird nach Polizeiangaben mindestens eine Person, ein 30 Jahre alter Mann, durch einen Messerstich in den Hals schwer verletzt. Der Massentumult mit schätzungsweise 400 Männern aus zwei rivalisierenden arabischen Clans hat einen mehrstündigen Großeinsatz der Essener Polizei ausgelöst – und aufs Neue am Image eines ganzen Stadtteils gekratzt.
Am Sonntag setzten sich die Probleme fort: Versammelten sich schon über den Tag rund 30 Menschen, traf am Abend gegen 19.30 Uhr wieder eine größere Gruppe mit etwa 100 Personen aufeinander, mutmaßlich aus denselben rivalisierenden Familien. Es kam zu Streit. Die Polizei rückte mit etlichen Streifenwagen nach Altendorf aus, um eine erneute massive Eskalation wie am Vortag zu verhindern. Es sei geschlagen und getreten worden, erklärte die Polizei am Montagmorgen gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, es habe mehrere Platzverweise gegeben.
Massenschlägerei mit Tellern und Tassen, Tischen und Stühlen, Stöcken und Messern
Schauplatz des Geschehens: die belebte, von Grill-Lokalen gesäumte Altendorfer Straße zwischen Helenen- und Siemensstraße. Die ersten Notrufe gehen gegen 19.30 Uhr bei der Polizei und der Feuerwehr ein. Polizeisprecher Christoph Wickhorst spricht später von „gewalttätigen Auseinandersetzungen“, bei denen es zu schweren körperlichen Auseinandersetzungen gekommen sein soll. Die verfeindeten Parteien setzen bei dem Massentumult offenbar alles ein, was auf die Schnelle greifbar ist: Tassen und Teller, Tische und Stühle, aber auch Stöcke und Messer.
Schon am Abend kursieren in den sozialen Medien zahlreiche Videos von der Gewaltexplosion in Altendorf. Etliche entstehen, noch bevor die Einsatzkräfte in das Geschehen eingreifen. Weitere Videos zeigen den Aufmarsch der Polizei. In einer Szene sitzt ein Opfer auf der Kante eines Bordsteins, vor ihm schützend ein Polizist.
Der durch Messerstiche schwer Verletzte, ein Mann mit türkischer und syrischer Staatsangehörigkeit, sei von Rettungskräften ins Krankenhaus gebracht worden, teilt die Polizei mit. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sollen zwei weitere Personen bei der Massenschlägerei verletzt worden sein.
„Der Arrogante Pate“ soll den Konflikt ausgelöst haben
Ein Kenner der Essener Clan-Szene hat eine plausible Erklärung für den Auslöser der dramatisch eskalierten Prügelei. Er spricht von einer Fehde zwischen zwei Clans, den El-Zeins auf der einen und den Hassans auf der anderen Seite. Einer der Hassans, der sich anscheinend mit dem aufschneiderischen Beinamen „Der Arrogante Pate“ schmückt, soll einen im Kölner Raum tätigen Musikmanager beleidigt haben, der mehrere Deutsch-Rapper unter Vertrag habe.
„Es geht bei dem Konflikt also nicht nur um Ehre und Rufschädigung, sondern vor allem ums Geschäft und um Geld“, fügt der Clan-Experte hinzu. Der Inhaber des beleidigten Musik-Labels sei gut vernetzt und habe – um sich zu rächen – Mitglieder des Essener El-Zein-Clans auf den „Arroganten Paten“ angesetzt. Es ist offenbar derselbe „Pate“, der den aus Essen stammenden „4-Blocks“-Darsteller, den Rapper und Schauspieler Veysel Gelin, in einer „Ansage“ beleidigt hat.
Um die eskalierte Lage auf der Altendorfer unter Kontrolle zubekommen, setzt die Polizei nahezu alle zur Verfügung stehenden Mittel ein: Augenzeugen berichten, dass gut zwei Dutzend Streifenwagen zum Schauplatz eilen, eine Einsatzhundertschaft greift als Verstärkung in das Geschehen ein. Notärzte und Rettungssanitäter kümmern sich um die Verletzten. Die Altendorfer Straße wird abgeriegelt, Autofahrer müssen weite Umwege in Kauf nehmen. Auch in der Umgebung der Altendorfer kommt es immer wieder zu Polizeikontrollen von mutmaßlichen Teilnehmern der Massenschlägerei.
Einer der Verletzten ist nach Polizeiangaben wegen eines Raubdeliktes, das kurz zuvor, am Samstagmittag, verübt worden sein soll, gesucht worden. Er wird zunächst in der Ambulanz ärztlich behandelt, danach sollte er aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls festgenommen werden.
Besorgte Anwohner sprechen – hinter vorgehaltener Hand – von einem Klima der Angst
Am Morgen danach macht die Altendorfer Straße wieder einen scheinbar friedlichen Eindruck. Es ist ein Quartier, in dem Altendorf Orient ist: hier der türkische Bäcker, dort ein orientalisches Restaurant mit Holzgrill. Es gibt Halal-Geschäfte, arabische Frisörläden, Reisebüros, auffallend viele Wettlokale und mittendrin ein Büro des religiösen „Islamic Relief“, das für „Ramadan- und Kurbanprojekte“ wirbt. In denselben Lokalen, in denen am Abend zuvor noch Stühle und Fäuste flogen, sitzen am Sonntag junge Männer in Flip-Flops zusammen und plaudern bei einer Tasse Tee.
Doch das harmlose Bild täuscht. Wer mit Passanten und Geschäftsleuten spricht, gewinnt ein ganz anderen, ja verstörenden Eindruck. Denn kaum jemand traut sich, offen zu sprechen. Es scheint ein regelrechtes Klima der Angst und Einschüchterung zu herrschen. Anscheinend aus gutem Grund: Denn Mitglieder eines der an der Massenschlägerei beteiligten Clans haben die Szenerie an diesem Sonntagmittag voll im Blick. Ihnen scheint nicht zu entgehen, wer Interviews gibt und den Mund womöglich zu voll nimmt.
Ein Restaurantbesitzer gesteht, dass er gerne mehr einheimische, deutsche Kundschaft in seinem Lokal sehen würde. „Doch die bleibt weg, erst recht, wenn von Massenschlägereien in Altendorf die Rede ist.“ Den Tumult von Samstagabend nennt er eine „Katastrophe“, er verlangt strengere Gesetze und ein härteres Durchgreifen der Polizei gegen die Clans.
Essener Polizei bittet um Zeugenhinweise und Videos von der Massenschlägerei
Ein Essener, 64 Jahre alt und Fan von Rot-Weiss, möchte seinen Namen nicht preisgeben und sich erst recht nicht fotografieren lassen. „Die Gewalttätigkeiten nehmen überhand“, sagt er, „viele hier haben Angst“.
Die Essener Polizei bittet die Bevölkerung um Hinweise zur Aufklärung der Massenschlägerei. Wer Hinweise zu den Hintergründen der Tat geben könne oder Bilder/Videos von der Auseinandersetzung besitze, möge sich beim Kriminaldauerdienst unter der Rufnummer 0201 8290 melden. mit dpa