Essen-Rüttenscheid. Bei dem schweren Dachbrand in Rüttenscheid verloren Nesrin und Caner Aver 2021 ihre Wohnung. Was seit seitdem erlebt haben und wie es ihnen geht.

Ein Jahr ist es her, dass Nesrin (38) und Caner (47) Aver ihr Zuhause verloren haben. Bei dem schweren Dachbrand auf der Rüttenscheider Straße im vergangenen Jahr ist ihre Wohnung so stark beschädigt worden, dass sie ausziehen mussten. Heute leben sie in Holsterhausen. Hinter dem Paar und Sohn Noyan (4) liegt ein emotionales Jahr voller Abschiede und Neuanfänge.

Rückblende zur Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2021: Nesrin Aver steckt mitten in der Vorbereitung für ihr zweites Staatsexamen. Erschöpft ist die Lehrerin, die heute als Vertretungslehrerin an der Frieda-Levy-Gesamtschule unterrichtet, in ihrem Sommerkleid eingeschlafen. Gegen 1 Uhr werden sie und ihr Mann jäh aus dem Schlaf gerissen. Eine ihrer Nachbarinnen rennt durchs Haus. Immer wieder schreit sie ein Wort: „Feuer!“

Essener stehen sieben Stunden auf der Straße und sehen ihr Haus brennen

„Uns war der Ernst der Lage sofort bewusst“, sagt Nesrin Aver rückblickend. Das Paar greift nach den wichtigsten Gegenständen, sammelt in Windeseile Portemonnaie, Pässe, Handy und Windeln für ihren kleinen Sohn zusammen. Dann rennen sie aus der dritten Etage nach unten, machen nur Halt, um bei den anderen Nachbarinnen und Nachbarn Sturm zu klingeln und auch sie auf die Gefahr aufmerksam zu machen. „Unten wurden wir dann schon von der Polizei empfangen, die uns auf einer Checkliste abhakte“, erinnert sich Nesrin Aver. „Wir blickten dann hoch und sahen, dass das Dach lichterloh brannte. Das war erschreckend.“

Sieben Stunden lang stehen die Avers auf der gegenüberliegenden Straßenseite und warten. „Das Schlimme war die Unsicherheit, ob der Brand auch auf unsere Wohnung übergreifen wird“, sagt Caner Aver. In den frühen Morgenstunden können sie wieder zurück. Ihre Wohnung im dritten Stock – das Feuer war im Dachstuhl ausgebrochen, dazwischen liegt noch der vierte Stock – ist von den Flammen verschont geblieben. Dafür ist aber das Löschwasser durch die Wände nach unten gelaufen und hat die Räume teilweise unter Wasser gesetzt. Zur Sicherheit ist deshalb der Strom abgestellt worden, es gibt kein warmes Wasser mehr.

Der Dachbrand an der Rüttenscheider Straße im Juni 2021 hinterließ verheerende Spuren. (Archivbild)
Der Dachbrand an der Rüttenscheider Straße im Juni 2021 hinterließ verheerende Spuren. (Archivbild) © J.G.

Familie zieht von Rüttenscheid nach Holsterhausen

„Wir waren natürlich glücklich, dass wir mit unserem Leben davongekommen sind“, betont Nesrin Aver. Aber: Auf dem Dachboden, der als Stauraum fungierte, hatten sie viele Dinge von emotionalem Wert aufbewahrt. Die alten Kindersachen ihres Sohnes, sein erstes Fahrrad, Fotos, die Erinnerungsstücke vieler Jahre, aber auch Einrichtungsgegenstände für ein Eigenheim, nach dem sie immer noch suchen – alles einfach weggebrannt. In den folgenden Wochen regnet es stark. Durch das offene Dach sickert der Regen in die Wohnungen, vermischt sich mit Löschwasser und Ruß.

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„Das Wasser ist an der Tapete heruntergelaufen und von der Decke getropft. Alles war voller Siff und Dreck“, erzählt Caner Aver. Außerdem habe es schon nach kürzester Zeit angefangen, bestialisch zu stinken – und zu schimmeln. Die nächsten Wochen kommt die Familie erst bei Eltern, dann bei Freunden unter. Bald machen sie sich auf die Suche nach einem neuen Zuhause. Eigentlich wollen sie in Rüttenscheid bleiben, doch dort finden sie nichts mit passender Größe und Preis.

Essener Haus und Grund: Mieter wurden bei Neuigkeiten sofort informiert

Geärgert hätten sie sich über die wenig proaktive Kommunikation seitens der Hausverwaltung von Haus und Grund, sagen die Avers. Immer wieder hätten sie selbst nach dem aktuellen Stand fragen müssen, häufig sei niemand erreichbar gewesen. „Uns hat da etwas die Menschlichkeit gefehlt“, sagt Caner Aver. Haus und Grund betont hingegen, Mieterinformationen seien jeweils erfolgt, sobald die dazu notwendigen gesicherten Informationen vorlagen.

„Aufgrund der Vielzahl der nach dem Unglück beteiligten Stellen (Feuerwehr, Kriminalpolizei, Stadtverwaltung, Versicherung, Sachverständiger, Handwerksfirmen usw.) hat auch der Informationsfluss zur Hausverwaltung manchmal länger gedauert, als wir es uns gewünscht hätten“, heißt es weiter von Haus und Grund.

Verfahren zum Brand in Essen-Rüttenscheid wurde eingestellt

Zwei Menschen verletzt

Nach dem Brand musste einer der Hausbewohner wegen des Verdachts auf Rauchgas-Vergiftung ins Krankenhaus gebracht werden. Auch ein Feuerwehrmann verletzte sich leicht und wurde zur weiteren ärztlichen Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht.

Die Rüttenscheider Straße war zwischen Annastraße und Süthers Garten tagelang gesperrt, weil es die Sorge gab, dass noch Teile des Daches abstürzen können.

Für die Familie war die Zeit nach dem Brand sehr turbulent. Caner Aver, der SPD-Ratsherr für den Wahlbezirk Rüttenscheid-Süd, hätte eigentlich am nächsten Tag zum ersten Mal den Planungsausschuss geleitet. Nesrin Aver hatte geplant, sich lange auf ihr Staatsexamen vorzubereiten, doch wegen all des Aufwands nach dem Brand blieb ihr viel weniger Zeit. Auch Sohn Noyan beschäftigte das Feuer sehr. „Er hat bis vor Kurzem immer wieder davon gesprochen“, sagt Caner Aver. Das habe bei seiner Verarbeitung der Erlebnisse sehr geholfen

Etwa 8000 Euro habe sie der Brand gekostet, schätzen die Avers, wenn man alle auf dem Dachboden verbrannten Gegenstände und die Umzugskosten mit einrechneten. Erstattet wurde ihnen nichts. Die Ursache des Feuers konnte nicht ermittelt werden. Laut Staatsanwaltschaft Essen ist das Verfahren inzwischen eingestellt: Es gebe zwar Hinweise darauf, dass menschliches Handeln den Brand ausgelöst haben könne, doch auch ein technischer Defekt sei nicht ausgeschlossen. Zudem hätten viele Menschen einen Schlüssel zum Dachboden gehabt, sodass es nicht möglich gewesen sei, einen Verantwortlichen zu ermitteln.

Noch heute kommen die Gedanken an jene Nacht im Juni 2021 hoch, wenn die Avers irgendwo Nachrichten über einen Brand sehen. Außerdem könnten sie sich noch stärker in Menschen hineinversetzen, die alles verloren haben, sagt Nesrin Aver. Beim Brand in der Grünen Mitte seien sei schockiert gewesen und hätten das Leid und die Not der Betroffenen mitfühlen können. „Letztendlich konnten wir uns als Paar gegenseitig Rückhalt geben“, betont die 38-Jährige. Ausdrücklich bedanken wollen sich die beiden bei allen Einsatzkräften, die während des Brandes geholfen haben. Nesrin Aver: „Man hat sich wirklich sehr gut um uns gekümmert.“