Essen. Oleh ist aus der Ukraine zum Studieren nach Essen gekommen, nun tobt in seiner Heimat ein Krieg. Wie er versucht, die ständige Angst zu besiegen.

Es sind diese Worte seines Vaters, die sich bei Oleh für immer eingebrannt haben: „Wenn ich morgen nicht mehr aufwache, dann gibt es für Dich viel zu tun.“ Diese Nachricht schreibt ihm sein Vater eines Tages, als in der Nähe wieder eine russische Rakete einschlägt. Für einen Sohn, der Hunderte Kilometer entfernt ist, nur schwer auszuhalten: „Das war das Schlimmste.“ Mit gebrochener Stimme fügt er hinzu: „Ich wäre dann der einzige Mann in der Familie.“

Vor sechs Jahren hat Oleh seine Familie in der Ukraine verlassen, um in Deutschland zu studieren – nun tobt in seinem Heimatland der russische Angriffskrieg. Die Nachricht habe ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, erzählt der 23-Jährige, der an der Universität Duisburg-Essen Mathematik im Master studiert. Momentan absolviert er ein Erasmus-Semester in Italien.

Ukrainischer Student: „Raketeneinschlag in der Nähe meines Hauses“

An jenem Donnerstag, dem 24. Februar, sieht er in den Nachrichten die ersten Bilder der russischen Truppen, die in die Ukraine einmarschieren. „Ab da lag ich mehrere Tage im Bett, konnte nichts essen und war nur gestresst“, erinnert sich Oleh, der seinen Nachnamen aufgrund der unsicheren Lage nicht öffentlich nennen möchte.

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Täglich telefoniert der Student mit seinen Eltern, seiner Schwester und seiner Oma, die gemeinsam in einer Wohnung in Charkiw, der zweitgrößten Stadt im Osten der Ukraine, leben. Dann schlägt dort auf dem Rathausplatz eine russische Rakete ein. „Wir wohnen nur 20 Gehminuten von dem Platz entfernt“, sagt Oleh. „Meine Familie war an dem Tag zu Hause und meine 13-jährige Schwester schrieb mir nur: ,Ich weiß nicht genau, was passiert ist, aber hier vibrieren die Wände.’ Das war schlimm zu hören.“

Als Olehs Schwester aus der Ukraine zu ihm nach Deutschland kommt, ist die Freude groß.
Als Olehs Schwester aus der Ukraine zu ihm nach Deutschland kommt, ist die Freude groß. © Oleh/ privat

Anfangs bleibt die Familie noch im Keller eines Hauses in Charkiw. Doch mit den zunehmenden Angriffen packen sie kurzerhand das Wichtigste zusammen und flüchten mit dem Auto in Richtung Westukraine. Olehs Oma und Schwester fahren mit einem Bus weiter nach Krakau. Dort werden sie abgeholt und nach Deutschland gebracht. „Als ich gehört habe, dass die beiden kommen, habe ich direkt Flugtickets gebucht und bin von meinem Erasmus-Semester in Italien erstmal zurück nach Deutschland geflogen.“ Dort habe er sich dann um Unterkünfte und Versicherungen für die beiden gekümmert. „Der Moment, sie endlich in Sicherheit zu wissen, war so erleichternd.“

Ukrainischer UDE-Student: „Niemand hätte erwartet, dass Russland wirklich angreift“

Die angespannte Stimmung an der russisch-ukrainischen Grenze sei zwar schon Wochen vorher zu spüren gewesen, „aber niemand von meinen Bekannten in der Ukraine hat erwartet, dass Russland wirklich angreift“, erzählt Oleh und wirkt noch heute fassungslos, wenn er darüber spricht.

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Trotz allem habe er sich dazu gezwungen, in der Situation ruhig zu bleiben und einen kühlen Kopf zu bewahren, sagt der Student. Seine Familie habe er nicht zusätzlich belasten wollen. Dabei seien ihm so viele Fragen durch den Kopf gegangen, wie: Wo sind sie jetzt? Haben sie genug zu essen? „Die Internetverbindung war schlecht, in den ersten Tagen hatte meine Familie kein Gas und Strom. Deshalb habe ich immer abgewartet, bis sie sich meldeten.“ Oft schrieb er mit seiner Schwester, die ihm erzählte, wo in der Nähe wieder etwas explodiert war und wie laut sich der Knall diesmal anhörte.

Mittlerweile ist die Lage bei seinen Eltern stabil. „Wir telefonieren jeden Tag, aber es herrscht eben immer noch Krieg“, sagt Oleh. Ob er jemals die elterliche Wohnung in Charkiw wiedersehen wird? „Ich weiß nicht, ob die noch steht.“