Essen. Der Aldi Campus ist ein Bekenntnis des Discount-Riesen zu Essen – und ein Muster für die moderne Arbeitswelt. Ein Rundgang mit der Architektin.
Die Sonnenstrahlen dringen an diesem Mai-Nachmittag mit aller Kraft durchs gläserne Glasdach und tauchen die Plaza des neuen Aldi Campus in ein freundliches Licht. Drei Mitarbeiterinnen aus dem Einkauf haben sich – fernab ihrer Büros – auf der hellen Terrazzo-Treppe zu einem spontanen Meeting getroffen. Das Trio ist konzentriert bei der Sache, trotzdem strahlt ihr Austausch etwas Lässig-Lockeres aus. Eine Szenerie, bei der Jessica Borchardt sofort das Herz aufgeht.
Spontane Meetings auf der Plaza-Treppe: Der Architektin geht das Herz auf
Die Architektin aus Hamburg hat die neue Konzernzentrale des Essener Discount-Riesen im Stadtteil Kray entworfen: eine moderne Arbeitswelt aus Open-Space-Büros, Kommunikations-Hubs und Co-Working-Zonen. Ihr Leitmotiv: Das neue Gebäude soll einen schnellen und offenen Austausch unter den Abteilungen und Mitarbeitern, internen wie externen, ermöglichen. „Dass die Mitarbeiterinnen auf der Treppe das neue Konzept auf Anhieb annehmen, ist für mich das größte Kompliment“, sagt die Architektin und lacht. Sie spricht auch von der „Tribüne der Kommunikation“.
Weil der Stammsitz in der Eckenbergstraße 16, im Aldi-Jargon die „Alte Eck“, aus allen Nähten platzte, musste viel Personal in Dependancen untergebracht werden – etwa im Ruhrturm oder an der Ruhrallee. Nach der Eröffnung Mitte März haben Schritt für Schritt bereits 1200 Beschäftigte ihre Arbeit im neuen Aldi-Kosmos aufgenommen. „Seit Anfang Mai sind wir komplett, 60 Prozent sind ständig vor Ort“, sagt Antje Bahnmüller, Leiterin strategische Kommunikation. Erst wenn 2024 der Erweiterungsbau fertigstellt und die „Alte Eck“ revitalisiert ist, fallen die Außenstellen weg. Das neue Hauptquartier hat Platz für 2000 Beschäftigte.
Mitarbeiter verlassen gerne das Homeoffice: Neue Zentrale wirkt wie ein Magnet
Was auf Anhieb auffällt: Im gesamten Neubau gibt’s nicht einmal 50 Einzelbüros, Desk-Sharing wird großgeschrieben. Probleme, die Leute aus dem Homeoffice zurückzuholen, hat Aldi übrigens nicht. Der neue Campus wirkt wie ein Magnet: Klar, die Beschäftigten sind neugierig auf ihre neue Arbeitswelt.
Gerne werfen die Aldi-Manager und die Architektin bei Führungen alte Luftbilder an die Wand, die das riesige Areal nahe der A 40 in seinem ursprünglichen Zustand vor dem Neubau zeigen. Zu sehen sind 100.000 Quadratmeter versiegelte Fläche mitten im Krayer Industriegebiet und darauf eine gigantische, fast 14 Fußballfelder große Lagerhalle, an der sich die blaue Aldi-Lkw-Flotte rund um die Uhr vollstopft mit Lebensmitteln, Non-Food und Aktionsware.
Früher Industrie-Tristesse, jetzt grüne Parklandschaft – das Spiel mit der Topographie
Jetzt fällt der Blick auf einen hellen, gediegenen Bürokomplex mit dem siebengeschossigen Turm in der Mitte – eingebettet in eine grüne Parklandschaft mit 450 neu gepflanzten Bäumen, viel Grün und zwei großen Wasserflächen. Beim Rundgang schwärmt die Architektin immer wieder vom „Spiel mit der Topographie des Grundstücks“. Inspiriert vom ursprünglichen Zehn-Meter-Gefälle und nach aufwendiger Grundstücksmodellierung hat Jessica Borchardt in dem triangelförmig angeordneten Büro-Komplex einfach neue Terrassenebenen geschaffen: ein echter Glücksgriff.
Die weitläufige Plaza, das Herzstück des Campus und Treffpunkt, illustriert das architektonische Spiel mit der Topographie besonders anschaulich. Die mit blauen Kissen ausgelegten Treppen, auf denen die Frauen aus dem Einkauf sitzen, führen hinab zur Zwischenebene mit Hörsaal, von wo es runter geht ins Café. Dort wie auch vor der Terrasse des Betriebsrestaurants haben sie zwei große Bassins angelegt, die nicht nur das Regenwasser sammeln, sondern auch Aufenthaltsqualität schaffen und ein verbessertes Mikroklima. „Kein einziger Regentropfen verlässt den Campus“, sagt Jessica Borchardt.
Mythos Aldi: Gründerzimmer verkörpert die Werte von Theo Albrecht
Um den Mythos Aldi zu erfassen, lohnt sich immer wieder der Blick in die Vergangenheit. Nicht weit vom neuen Campus entfernt, auf der Huestraße in Schonnebeck, stand die sogenannte Verkaufsstelle eins des Konzerns: Im Tante-Emma-Laden ihrer Eltern haben Theo und Karl Albrecht den Grundstein für zwei Discount-Imperien gelegt: Aldi Nord und Aldi Süd. Ihre Marken stehen für die Erfindung des Discounts.
Unten in der Plaza verkörpert das Gründerzimmer – ein musealer Raum mit Original-Schreibtisch, Theo Albrechts abgewetzter Ledertasche und seiner Sammlung historischer Schreibmaschinen – die DNA des Unternehmens. „Einfach, verlässlich und verantwortungsbewusst – das sind die Werte, die uns der Gründer gegeben hat“, sagt die Unternehmenssprecherin. Wer ins Gründerzimmer hineinschaut, dürfte leichter Antworten finden auf Fragen wie: Was sind unsere Wurzeln? Wo kommen wir her? Zur Aldi-DNA passt auch der Hinweis der Architektin: Sie nennt ihren Entwurf „funktional und sachlich“.
Discount-Imperium: Der neue Aldi Campus steht auch für Größe, Macht und Erfolg
Dass Aldi Nord allerdings auch für Größe, Macht und Erfolg steht, spüren Beschäftigte und Besucher spätestens in der vierten Etage des Büroturms. Vom Co-Working-Space mit sechs Meter hohen Decken und einer imposanten Glasfront, übrigens einem Lieblingsort der Architektin, fällt der Rundum-Blick aufs gesamte Ruhrgebiet: ganz vorne die A 40, dahinten der blau-weiße Schornstein der Alu-Hütte Trimet und das weiße Dach der Schalke-Arena, gegenüber die Ausläufer des Bergischen Lands. Jenseits des Horizonts erstreckt sich das Aldi-Imperium mit Tausenden Filialen: Zwischen Warschau und Lissabon beschäftigt der Essener Konzern inzwischen mehr als 80.000 Menschen.
Um die flachen Dächer im großen Stil begrünen zu können, hat die Architektin alle technischen Geräte in den Keller verbannt. Man sieht am anderen Ende des Campus die Betriebs-Kita, weiter vorn den Fitness-Pavillon und die 1000 Meter lange Joggingstrecke, das Empfangsgebäude und dazwischen das Parkhaus mit Photovoltaik auf dem Dach. „Es gibt hier keinen minderwertigen Arbeitsplatz, jeder Mitarbeiter schaut ins Grüne.“
Aldi-mäßig, also schlicht und klar, sind die im Inneren verwendeten Materialien und Farben. Die Böden sind aus weißem Terrazzo, hinzu kommt Eichenholz: mal als Stäbchenparkett, mal als mikroperforierte Wandfläche. Die durchgehend helle Farbe erfährt einen Kontrast durch Elemente aus Anthrazit. Als Blickfang in der Plaza wirken die beiden vertikalen Grünwände, die nicht nur die Luft verbessern, sondern auch die Akustik. Außerdem stehen auch sie für das Prinzip Nachhaltigkeit.
Das Diagonalmuster von der Aldi-Tüte findet sich auf gläsernen Trennwänden wieder
Nicht zu übersehen ist die dem „A“ aus dem Aldi-Logo entnommene Dreiecksform: Es gibt dreieckige Gebäudeteile, dreieckige Flächen und Fenster und sogar dreieckige Deckenlampen, letztere gerne im selben Blauton wie bei der Aldi-Plastiktüte. Ihr klassisches Design mit dem blau-weißen Diagonalmuster, in den 1970er-Jahren geschaffen vom abstrakten Maler Günter Fruhtrunk, begegnet uns ebenfalls: nun eingraviert in gläserne Trennwände.
In Hamburg steht Jessica Borchardts Unternehmen „BAID Architekten“ für Luxuswohnungen an der schicken Außenalster, aber auch für Sozialwohnungen. In Essen haben die Hamburger die neue DB-Schenker-Zentrale (vorher AEG-Haus) neben der Postbank entworfen sowie die Zentralen von Ista und Innogy. Reelle Chancen, den Wettbewerb für den Aldi Campus zu gewinnen, habe sie sich eigentlich nicht ausgerechnet. Erschwerend sei hinzugekommen, zu Beginn „keinerlei Feeling für den Bauherrn“ gehabt zu haben. Letzten Endes sei ihre Maxime erfolgreich gewesen: „Wir entwarfen nicht so, wie wir glaubten, dass Aldi es gerne hätte, sondern wie wir glaubten, was Aldi wirklich braucht.“