Essen-Leithe. Selbst angebaute Radieschen und soziale Kontakte: Das macht das Projekt „Meine Ernte“ in Essen möglich. Was hinter den Mietgärten steckt.
Auf die ersten Radieschen freut sich Nicole Geldmacher in diesem Jahr besonders. Die kauft die 47-jährige Reinigungskraft nicht etwa im nächsten Supermarkt. In etwa drei bis vier Wochen, so hofft sie, erntet sie Radieschen frisch vom Feld. Mit ihrem Lebenspartner Sascha Lüger hat die Gelsenkirchenerin erstmals 45 Quadratmeter Acker in Essen-Leithe gepachtet – ein Stück Boden am Mechtenberg. Das Areal gehört Bauer Hubertus Budde. Der kooperiert mit dem Bonner Unternehmen „Meine Ernte“, das solche Mietgärten an 26 Standorten in ganz Deutschland anbietet.
Auf kiloweise Gemüse hofft auch Familie Franke. „Unsere Kinder essen gern Salat und Kartoffeln“, erzählt Bernd Franke. Der 41-Jährige kommt täglich mit dem E-Bike auf dem Weg zur Arbeit am Bauernhof vorbei. „Da kann ich immer mal nach unserem Garten schauen.“ Die Familie ist neu dabei, bringt aber grüne Daumen mit. „Wir haben zu Hause immerhin ein Blumenbeet.“
Der Gemüseanbau will gelernt sein. Darüber weiß Christiane Immich zu berichten. Mit Ehemann Walter (70) beackert die 58-Jährige in der fünften Saison ein Stück Land bei Bauer Budde. Zu Anfang könne man viele Fehler machen. Zuviel Wasser geben oder gar die zarten Pflänzchen aus dem Boden ziehen, weil man sie irrtümlich für Unkraut hält.“ Wie viel Aufwand ist denn nötig? Mindestens einmal pro Woche sollte man zwei bis drei Stunden zum Gärtnern kommen, raten die Immichs. Viele Mieter seien öfter da, weil sie Freude an der Natur haben.
Damit auch Einsteiger wie der Altenpfleger Sascha Lüger volle Erntekörbe nach Hause tragen, hat Hubertus Budde die Mietgärten vorher professionell vorbereitet. Über 20 Sorten Gemüse stecken in der lockeren Erde: Ackerbohnen, Gurken, Grünkohl, Kohlrabi, Kartoffeln, Möhren, Mais, Spinat, Pflücksalat und Zuckererbsen. Vegetariern lacht das Herz. Und das Portemonnaie freut sich. „Bei den Preisen für frisches Gemüse lohnt sich der Anbau“, findet Christiane Immich.
Wichtig ist beiden der soziale Aspekt. „Hier auf dem Feld lernt man sich kennen“, sagt Walter Immich. Für seine Steeler Enkel hofft er auf viele Kartoffeln. „Die Kinder helfen gern hier mit“, erzählt er. Natürlich gebe es auch Verluste. Gefürchtet im Frühsommer sind die gelb-schwarz gestreiften Kartoffelkäfer. Sie befallen die Blätter und lassen die Pflanzen absterben. Doch Chemie ist tabu. Die Käfer werden von Hand eingesammelt.
Nachhaltigkeit, Selbstversorgung, Naturerlebnisse und eine gesündere Ernährung verspricht sich Familie Franke vom Nutzgarten-Projekt. Mit sieben Personen will sie bis Ende Oktober 90 qm Boden in Leithe beackern und das eigene Gemüse wachsen sehen. Vor der Ernte steht die Arbeit. Mit etwa fünf bis zehn Ackerstunden wöchentlich rechnet Sascha Lüger, „zumindest am Anfang“. Sein kleiner Mietgarten ist zwei Meter breit und rund zwölf Meter tief.
„Meine Ernte“ auf dem Hof am Mechtenberg
Bereits seit 2013 ist Familie Budde in Essen-Leithe Partner von „Meine Ernte“. Der lokale Bauer sorgt für die erste Einsaat und Bepflanzung der Felder.
Auf dem Hof am Mechtenberg stehen den rund 170 Gärtnerinnen und Gärtnern aus Essen und Nachbarstädten aktuell 110 Mietgärten zur Verfügung. Etwa zehn Parzellen für die Saison von Mai bis Oktober sind noch frei. Die Pacht für 45 qm beträgt 229 Euro.
Interessenten müssen sich nicht langfristig binden, eine Kündigung ist nicht notwendig. Regelmäßig erhalten die Mieter Newsletter von „Meine Ernte.“ Es gibt eine WhatsApp-Gruppe zum Austausch. Mehr Infos: www.meine-ernte.de
Zur Eröffnung vor ein paar Tagen haben alle Gärtnerinnen und Gärtner einen Bauplan erhalten. So wissen sie, wo welche Sorte gedeiht. Da auch Vögel und Wildtiere die Pflanzen mögen, rät „Meine Ernte“, Abdecknetze zu verwenden. Eigene Geräte braucht man nicht, Schaufeln und Harken gibt es leihweise in einem Bauwagen.
Wie aus einem Saatkorn in wenigen Wochen eine Mahlzeit heranwächst, findet Christiane Immich nach wie vor faszinierend. „Als Rentner haben wir mehr Zeit, die wir gern hier an der frischen Luft verbringen.“ Jeden Monat seien andere Gemüse reif. „Man braucht den ganzen Sommer nichts mehr kaufen.“ Wie sieht es mit dem Gießen aus? Der Ackerboden im Mietgarten speichere sehr viel Wasser. „Einmal in der Woche gießen, reicht“, sagt Walter Immich und zeigt auf eine etwa 15 Meter entfernte Zapfstelle.
Die Parzelle der Immichs heißt „Waldi“. Das ist Walters Spitzname. Die rund 110 Mietgärten in Leithe sind eingezäunt. Es gibt Tore mit Zahlenschlössern. So können die Pächter jederzeit auf den Acker. Je fünf Quadratmeter der Parzelle kann jeder individuell bepflanzen. Für diese „Wunschgärten“ seien Tomaten beliebt, weiß Sascha Lüger schon. Denn die gehörten nicht zum Saat-Paket.
Dann sind auch schon die ersten Stunden als Gemüsebauer geschafft. In so idyllischer Lage bei bestem Wetter sind er und seine Partnerin sicher, ihr Gartenglück gefunden zu haben. Und Lüger kennt genug Rezepte, um die Ernte zu verarbeiten. „Ich bin ja gelernter Koch.“ In vier bis fünf Wochen will er Endiviensalat servieren. Bis dahin ruft das Unkraut.