Essen. Wahlkampf-Coup, vielleicht auch mehr: Drei Tage bevor der Gesundheitskiosk in Altenessen öffnet, schaute der Bundesgesundheitsminister vorbei.
Eine Theke gibt’s noch nicht, aber das Schild über dem Eingang, und vor allem stehen da Julia und Vladislav, Nicole und Saeed: Die vier jungen Leute sind, was man auf Neudeutsch und begleitet von einigem Augenrollen heutzutage „Community Health Nurses“ nennt: Eine Art städtische Gesundheitspfleger also, so steht’s auf ihren Visitenkarten, und von diesem Dienstag (12. April) an nehmen sie ihre Arbeit im neuen „Gesundheitskiosk“ in Altenessen auf. Karl Lauterbach war jetzt schon mal da.
Erst Altenessen, dann Katernberg
Es ist ein „Kaltstart“, mit dem an diesem Dienstag (12. April) der „Gesundheitskiosk“ in der Alten Badeanstalt an der Altenessener Straße 393 seine Pforten öffnet.
Ein zweiter Standort soll im Sommer in Katernberg an den Start gehen, wo genau, wird noch verhandelt.
Getragen werden die „Gesundheitskioske“ von der AOK Rheinland/Hamburg, der gemeinnützigen Caritas-SkF-Essen GmbH (cse), dem Sport- und Gesundheitszentrum Altenessen e.V. sowie dem Ärztenetz Essen Nord-West e.V..
Die Finanzierung erfolgt derzeit zur Hälfte durch die Stadt Essen.
Ein Quasi-Startschuss mit dem Bundesgesundheitsminister am Samstag, bevor es losgeht, und obwohl doch die offizielle Eröffnung erst nach Ostern erfolgen soll: Man kann das durchaus einen kleinen Wahlkampf-Coup nennen, eingefädelt von der SPD und ihrem NRW-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty, der hier im Norden ja seinen Wahlkreis hat. Andererseits steht Lauterbach ausgerechnet in dieser Woche im politischen April-Regen, erst der Quarantäne-Rückzieher, dann die gescheiterte Impfpflicht – Stimmenfang stellt man sich irgendwie anders vor.
Das Problem: ein vielfältiges Gesundheitssystem, das nur Eingeweihte durchblicken
Nicht ganz klar also, wer hier wen im Schlepptau hat, aber dass Lauterbach und Kutschaty punkten, dürfte daran liegen, dass sie hier keine politischen Klümpkes verteilen und Parolen abladen, sondern viel zuhören und über die Sache diskutieren. „Die Sache“ ist nämlich die: Wie ebnet man Menschen den Pfad durch den Dschungel eines Gesundheitssystems, das zwar enorm viel bietet, sich aber wegen seiner Kompliziertheit oft nur von Eingeweihten in seiner ganzen Breite nutzen lässt?
Das Problem zeigt sich vor allem in ärmeren Stadtteilen und solchen mit vielen Zuwanderern aus aller Herren Länder, darin sind sich alle einig. Stadtteilen wie Altenessen eben. „Was dort an Integration geleistet wird“, betont der Bundesgesundheitsminister, „das ist etwas, was wir alle viel zu wenig würdigen“. Und darum will er Gesundheitskioske wie sie in Altenessen und demnächst auch in Katernberg entstehen, in die Regelversorgung übertragen. „Ich bin von der Konzeption überzeugt, und wir sollten sie freihalten von Wettbewerb der Krankenkassen – und freihalten von Parteipolitik“.
Was das Quartett an Fragen und Problem erwartet, wüsste es selber gern
Denn wahr ist ja auch: Es gab anfangs viel Knatsch um den Kiosk, der von einigen auch aus sozialdemokratischen Reihen gern als billiger Minimalersatz fürs Marienhospital und das St. Vincenz-Krankenhaus kritisiert wurde, die beiden geschlossenen Kliniken in Altenessen und Stoppenberg. Ein Missverständnis, beeilen sich alle zu versichern: Der Gesundheitskiosk ist nur ein Angebot von vielen, hin zu einer modernen Gesundheitsversorgung. Eins mit vielen Unbekannten: Was Julia Grabemann und Vladislav Seifert, Nicole Ginter und Saeed Al Masri sowie jene sechs Kollegen, die das Team noch verstärken sollen, noch an Problemen erwartet, das wüssten sie selbst gern.
Alle sind pflegerisch ausgebildet, können zum Teil ein Studium und zudem Fremdsprachenkenntnisse vorweisen: Hier in den Räumlichkeiten der Alten Badeanstalt an der Altenessener Straße 393 wird ab Montag Deutsch, Englisch, Französisch, Polnisch, Russisch und Arabisch gesprochen, es wird um banale Fragen gehen („Wozu brauche ich eine Überweisung?“, „Was passiert bei einem MRT?“), aber auch um komplexere Fragen, etwa wenn jemand wegen Diabetes Typ 2 seinen Lebensstil von Grund auf ändern muss.
„Ein deutlicher Schritt hin zu einer besseren Versorgung“, sagt Thomas Kutschaty
Für Thomas Kutschaty „ein deutlicher Schritt hin zu einer besseren Versorgung, zu mehr Gleichheit“, denn Gesundheit dürfe ja „kein Privileg sein“ – derer, die schon immer hier lebten, oder derer, die sich guten ärztlichen Rat locker leisten können.
Und dann floskelt doch noch ein bisschen Wahlkampf durch den verspiegelten Trainingsraum, in dem man sich eine gute halbe Stunde lang um Kutschaty und Lauterbach geschart hat: Den Sozialdemokraten wird für ihren besonderen Einsatz gedankt und versichert, auch weiterhin „mit Hirn, Hand und Herz“ dabei zu sein, ein herzliches „Glückauf“ zum Start also.
Sagt allerdings kein Genosse. Sondern der Mann von der AOK.