Essen. Knapp 1200 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind mittlerweile in Essen. Die Ersten von ihnen bekommen jetzt Unterricht. Ein Ortstermin.

Sechs Wochen nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine bekommen jetzt die ersten geflüchteten Kinder und Jugendlichen, Unterricht an Essener Schulen. Mittlerweile sind insgesamt 1163 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter aus dem Kriegsgebiet in Essen registriert. Sie alle sollen schrittweise an die Schulen im Stadtgebiet vermittelt werden.

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13 junge Menschen zwischen 14 und 17 Jahre kommen seit wenigen Tagen viermal pro Woche ans Robert-Schuman-Berufskolleg (Sachsenstraße, Südviertel). Dort lernen sie – sozusagen als erste ukrainische Klasse im Stadtgebiet – die Grundlagen der deutschen Sprache. „Sie lernen gut und schnell“, lobt die Kursleiterin Ljubov Jakovleva-Schneider. „Noch befindet sich die hier eingerichtete Lerngruppe in einer Orientierungsphase, doch ab Anfang Mai ist es offiziell eine Klasse unserer Schule“, ergänzt Ursula Voswinkel, die kommissarische Leiterin des Schuman-Berufskollegs.

Die ersten Wörter: Begriffe aus dem Schulwesen

Wie lernt man in der Fremde Deutsch, wenn man zuvor aus einem Teenager-Leben herausgerissen wurde? „Viele kamen nur mit dem an, was sie am Körper trugen“, berichtet die Kursleiterin Ljubov Jakovleva-Schneider. Sie ist ehrenamtlich die Geschäftsführerin des Vereins „Rhein-Ruhr-Russland“; ihr Vater kam aus der Ukraine, die Mutter ist Russin, „schon allein deshalb geht mir das Thema sehr nah“. Freiwillig hatte sie sich sofort nach Ausbruch der Kämpfe bei der Stadt gemeldet, um ihre Hilfe anzubieten.

An der Tafel im Raum stehen bereits viele Vokabeln, die die Jugendlichen verstehen sollen: „Schulpflicht“, „können“, „müssen“, „dürfen“. „Es geht um Begriffe aus dem deutschen Schulwesen“, sagt Rebecca Kelschebach, die zweite Kursleiterin. „Vorher hatten wir erste Konversation geübt: ,Wie heißt du? Wo kommst du her?’“ Sie studiert Germanistik plus „Deutsch als Zweit- und Fremdsprache“ und ist verheiratet mit einem Mann aus der Ukraine: „Ich kann Ukrainisch zwar nicht fließend, aber ausreichend, um es zu verstehen.“ Auch sie hatte sich sofort bei der Schulverwaltung gemeldet und Unterstützung angeboten, als klar war, dass bald Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in den Essener Schulen Unterricht erhalten müssen.

Was ist NRW, und wo liegt es?

Die Jugendlichen lesen einen Text, der vom Schulwesen in NRW handelt. „Was heißt das, NRW?“, fragt die Kursleiterin. Sie schauen auf ihre Lehr-Broschüre – Deutsch als Fremdsprache – es gibt eine große Karte direkt auf der Umschlag-Innenseite, verzeichnet sind dort die Bundesländer und die großen Städte. Einer der Kursteilnehmer bekommt den ganzen Satz gut hin: „NRW liegt im Westen Deutschlands.“

Blick in die Lerngruppe der ukrainischen Geflüchteten. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren werden seit wenigen Tagen täglich fit gemacht in deutscher Sprache.
Blick in die Lerngruppe der ukrainischen Geflüchteten. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren werden seit wenigen Tagen täglich fit gemacht in deutscher Sprache. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die meisten der Kinder und Jugendlichen, die jetzt kommen, können kein Deutsch. „In der Schule müssen sie zwischen Englisch und Deutsch wählen, da entscheiden sich die meisten für Englisch“, berichtet die Kursleiterin. Russisch dagegen beherrschen sie alle; den Unterschied zwischen Ukrainisch und Russisch müsse man sich in etwa so vorstellen wie die Unterschiede zwischen Niederländisch und Deutsch.

Freundin einer Kursteilnehmerin hat Kontakt zur besten Freundin in Mariupol

Ist in einem solchen Kurs Platz, um über das Erlebte zu sprechen? „Durchaus“, sagen die beiden Leiterinnen. Vorher, nachher und am Rand der Stunden wollen sie Ansprechpartnerinnen sein für das, was die Jugendlichen jetzt bedrückt. „Eine Kursteilnehmerin hat seit Tagen keinen Kontakt zu ihrer besten Freundin, die in Mariupol lebt.“ Die ukrainische Hafenstadt gilt als komplett zerstört.

Überhaupt, wie geht es weiter? Was wird? „Alle Kursteilnehmer“, berichtet Ljubov Jakovleva-Schneider, „wollen so schnell wie möglich wieder nach Hause.“ Auch wenn derzeit niemand weiß, wann das sein soll und wie das gehen wird. Die Essener Schulen und Schulverwaltung planen derzeit zunächst bis zu den Sommerferien. Schon klar ist jetzt, dass die Jugendlichen, die nun zum Schuman-Berufskolleg kommen, ein Ferienprogramm geboten bekommen: Es wird Ausflüge geben zu den Sehenswürdigkeiten in Essen, Spaziergänge durch die Stadt, mit nützlichen Hinweisen auf Stadtbibliothek und andere Einrichtungen, die wichtig sein könnten für die Geflüchteten.