Essen. Ein Pilotprojekt des Essener Sportbundes will sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche vorbeugen. Zehn Vereine machen mit.

Er soll über Jahre Spitzensportlerinnen sexuell missbraucht haben; gegen den ehemaligen Teamarzt der US-Turnerinnen liegen inzwischen 130 Anzeigen vor. Es sind schockierende Nachrichten wie diese aus der Welt des Spitzensports, die ein Schlaglicht auf ein Thema lenken, das lange ein Tabu war, nun aber mehr und mehr Öffentlichkeit erfährt: sexualisierte Gewalt im Sport. Auch der Essener Sportbund (Espo) hat sich des Themas angenommen. Gemeinsam mit der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung hat der Espo jetzt ein Pilotprojekt gestartet, das Sportvereine sensibilisieren und Sportlerinnen und Sportler vor sexuellen Übergriffen schützen soll.

„Es ist ein heikles Thema“, sagt Espo-Geschäftsführer Thorsten Flügel, der zehn Sportvereine für die Teilnahme an dem Pilotprojekt gewinnen konnte. Darunter Vereine, die sich des Themas bereits angenommen haben und auch solche, die im Umgang damit Neuland betreten.

Das Projekt des Essener Sportbundes soll Trainern und Betreuern auch Sicherheit geben

Nicht jeder Verein, der vom Espo darauf angesprochen wurde, habe sich aufgeschlossen gezeigt. „Wir haben uns auch Absagen eingehandelt“, berichtet Thorsten Flügel. Und das wohl auch aus Sorge, es könnte der Eindruck entstehen, der Verein habe ein Problem mit sexualisierter Gewalt. Dabei gilt die Auseinandersetzung mit dem Thema als erster Schritt, um sexuellen Übergriffen vorzubeugen. „Wir wollen Hemmschwellen abbauen“, sagt Petra Fischer, die das Projekt beim Espo betreut. Schon der Titel gibt die Richtung vor: „Vorsorgen. Erkennen. Handeln – Essener Sportvereine gegen sexualisierte Gewalt.“

Was ist sexualisierte Gewalt im Sport? Im schlimmsten Fall geht es um Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung, dann sind die Strafverfolgungsbehörden gefragt. Die Bandbreite ist breit, anzügliche Bemerkungen, ein sexistischer Witz oder Voyeurismus zählen dazu. Doch wann beginnt eine Grenzüberschreitung? Bei einer Umarmung? Bei einer Berührung? „Jeder hat seine persönliche Grenze“, sagt Petra Fischer. Die gilt es zu erkennen und zu respektieren.

Das Vertrauensverhältnis zum Trainer soll nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis münden

Körperkontakt gehört beim Sport dazu. „Beim Fußball weniger als beim Judo oder Turnen“, so Thorsten Flügel. Trainer und Übungsleiter leisten Hilfestellungen. Ist es in Ordnung, wenn der Trainer den Gürtel seines Judo-Schülers bindet? Darf er ein Kind in den Arm nehmen und trösten? Wenn der Trainer der Mädchenfußballmannschaft plötzlich in der Umkleide auftaucht, ist das sicher nicht okay.

Das Projekt will Trainern wie Betreuern Sicherheit geben, aber auch Grenzen aufzeigen und vorbeugen. Auch damit ein Vertrauensverhältnis erst gar nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis und schlimmstenfalls in sexuelle Übergriffe mündet. Einzelne Fälle habe es auch in Essen schon gegeben, weiß Thorsten Flügel.

Diese Vereine machen mit

Das Pilotprojekt des Essener Sportbundes zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt wird von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung finanziell unterstützt. Jeder Verein, der sich beteiligt, erhält für seine Jugendarbeit 3000 Euro.

Diese Vereine und Organisationen machen mit: ETUF, DJK SG Altenessen, Tvg. Steele 1863, Schwimmverein Steele 1911, FC Kray, DJK Franz Sales Haus, Judo-Kampfgemeinschaft Essen, MTG Horst 1881, DJK TUS Essen-Holsterhausen 1921, DJK Adler Union Essen-Frintrop.

Trainer und Betreuer werden im Laufe des Pilotprojektes, das auf ein Jahr begrenzt ist, geschult. Auch die Vorstände der Vereine sollen für das Thema sensibilisiert werden. Das fängt bei der Satzung an, die klare Verhaltensregeln formulieren sollte, an die jeder Mitarbeiter, jedes Vereinsmitglied respektieren muss. Teamarbeit sollte gestärkt werden, Ansprechpartner, an die sich Kinder und Jugendliche wenden können, sollten benannt werden. Und nicht zuletzt gehe es darum, betont Petra Fischer, die jungen Sportlerinnen und Sportler darin zu bestärken, Nein zu sagen.

„Die Vereine sollen voneinander lernen“, sagt Thorsten Flügel. Für den Espo sei das Thema sexualisierte Gewalt mit dem Pilotprojekt nicht erledigt. Der Sportbund will weitere Sportvereine dazu bewegen, sich damit auseinanderzusetzen. Der Anfang ist gemacht.