Essen-Schonnebeck. Seit 25 Jahren betreibt die Wirtin „Anja’s Treff“ in Essen. Hippe Getränke und ausgefallene Speisen sucht man vergeblich. Doch die Kneipe läuft.
Bistro, Café, Kneipe – „Anja’s Treff“ in Essen-Schonnebeck ist von allem ein bisschen – und das seit über 30 Jahren. Skatclubs, Fußballmannschaften und Seniorenrunden gehen hier ein und aus. Bei einem Besuch in dem Backsteingebäude am Rande des Marktplatzes erklärt Anja Davidheimann, die seit 25 Jahren die Betreiberin ist, ihre Erfolgsgeheimnisse.
Stauder, Frühstück, Zeitung lesen: Betriebsamkeit in Schonnebecker Kneipe
Morgens um 10 Uhr sind in ihrer 100 Quadratmeter großen Kneipe die meisten Tische besetzt. Ein paar ältere Frauen frühstücken, andere trinken nur einen Kaffee. An der Theke bestellt jemand ein Stauder, Stammgast Walter blättert die Zeitung durch. Anja Davidheimann kennt jeden Gast. Die 55-Jährige hat die Gastronomie damals von Vorgängerin „Marlies“ übernommen. „Ich bin ein Kneipenkind“, erzählt Davidheimann. Ihre Eltern betrieben einst das Grillo-Eck an der Katzenbruchstraße. Das ist längst geschlossen, genauso wie die meisten Kneipen im Essener Norden und auch in Schonnebeck.
Das alleine ist schon ein Grund dafür, warum bei Anja reger Betrieb herrscht. Gab es früher Kneipen an jeder Ecke, sind in Schonnebeck noch das Haus Husmann und der Alt-Schonnebecker-Hof verblieben. Dorthin geht man allerdings, genau wie in das Restaurant Medaillon, eher zum Essen als zum geselligen Beisammensein.
Gastronomin aus Essen-Schonnebeck kocht immer selbst
Ein anderer Grund für die Betriebsamkeit bei Anja steht gerade in der knapp zehn Quadratmeter großen Küche auf dem Herd: die Hühnersuppe im Zwölf-Liter-Pott. „Ich koche immer selbst“, erläutert Davidheimann eines ihrer Erfolgsgeheimnisse. Und dann zählt sie auf: Möhreneintopf mit Frikadellen, Heringsstipp, Rouladen, Krustenbraten mit Sauerkraut und Kartoffelpü, Pommes mit Rösti und Salat und jeden Dienstag rund 60 Schnitzel. Moderne Speisen wie Wraps, Burger und Quinoa-Bratlinge sucht man hier vergeblich. Aber: Für rund 5 Euro wird bei Anja jeder satt.
Das sei ebenfalls ein Grund, warum sie noch immer im Spiel ist: Für 1,80 Euro serviert die Schonnebeckerin nicht nur einen Kaffee, sondern das Rührei gleich dazu. Das Stauder kostet 1,50 Euro, eine Tasse Tee ebenfalls. Es gibt einen Beutel Tee und einen verpackten Keks, keine lose Chai-Kreation mit Honig und Küchlein. „Ich muss die Preise demnächst mal erhöhen“, überlegt die Wirtin laut, als Tommy den Kopf zur Tür hereinsteckt und sogleich freundlich begrüßt wird. Die meisten sind Stammgäste. Donnerstags und samstags ist Markt in Schonnebeck, dann kommen auch mal neue Gesichter. Im Sommer stehen draußen Tische und Stühle: „Dann ist es rappelvoll, die kloppen sich um jeden Platz.“ Zusammen mit ihren vier Angestellten hat die Mutter von drei erwachsenen Kindern dann richtig viel zu tun.
Corona-Hilfen vom Staat haben Wirtin aus Essen-Schonnebeck nicht gereicht
Umso schlimmer, als all das zu Beginn der Corona-Pandemie plötzlich vorbei war. „Ich habe Fixkosten von 7000 Euro im Monat“, erklärt die Wirtin – Miete, Strom, Versicherung und Sky. Für drei Monate hat sie insgesamt 9000 Euro Hilfen vom Staat bekommen. Das habe hinten und vorne nicht gereicht, ihr Schwiegervater musste aushelfen und auch die Lebensversicherung dran glauben: „Das war heftig.“ Und plötzlich wird die gelernte Lebensmittelkauffrau ernst und nimmt auch das Wort „Hölle“ in den Mund. Man habe ja nicht gewusst, wie lange das andauert. Ein Gast habe sogar über Facebook Spenden für ihr Café gesammelt und ihr überreicht.
Irgendwann beschloss sie, sich wieder in die Küche zu stellen und das Essen zur Abholung bereitzustellen. Und dann ging es bergauf: „Am ersten Tag habe ich 96 Essen rausgegeben und bin drei Mal einkaufen gegangen“, erinnert sie sich.
Awo betreibt altersgerechtes Wohnen in Nachbarschaft zu Schonnebecker Kneipe
Als sie dann wieder öffnen durfte, hätten alle Stammgäste auf der Matte gestanden. In direkter Nachbarschaft zum Café betreibt die Awo eine Einrichtung für altersgerechtes Wohnen. Auf die Bewohner ist Verlass: „Die stehen immer um 11 Uhr hier stramm auf der Matte“, erzählt Davidheimann jetzt wieder bestens gelaunt. Die fragen immer, was es zu essen gibt und äußern auch ihre Wünsche für die Mittagskarte. „Die wollen am liebsten Hausmannskost und wünschen sich oft auch den Cappuccino als normalen Kaffee mit Sprühsahne obendrauf.“ Und dann verrät sie ihr drittes Erfolgsrezept: „Ich bin für meine Gäste da, ich bin nett, freundlich und zugegen.“
Seit der Coronazeit jedoch nicht mehr an sieben, sondern nur noch an sechs Tagen in der Woche. Warum? „Es schlaucht.“ Wie viele Stunden in der Woche die Essenerin arbeitet: Das hat sie längst aufgehört zu zählen.