Essen. Die Emscher ist jetzt fast sauber, nun werden auch in Essen die Ufer renaturiert. Das weckt Hoffnungen. Warum Deiche und Zäune stehen bleiben.

Der Himmel öffnet sich in strahlendem Blau über dem Emscherpark, wo sich das Ruhrgebiet von seiner charmanten Seite zeigt. Fahrradfahrer und Spaziergänger genießen die in dieser Jahreszeit seltenen sonnigen Stunden. Auch Sylvia, die ihren Nachnamen für sich behält. Die 64-Jährige ist hier oben im Norden zuhause. „Dort drüben, gleich hinterm Deich, haben wir einen Schrebergarten“, erzählt sie. Im Sommer sei das wie Urlaub. „Wir stellen uns dann vor, auf der anderen Seite ist die Nordsee.“

Doch hinter dem Deich plätschern keine Nordseewellen. Da fließt die Emscher. Mehr als ein Jahrhundert lang war der Fluss die „Kloake des Ruhrgebiets“. Nicht nur im Schrebergarten erkannten sie das am Geruch. „Es hieß immer, wenn die Emscher stinkt, ändert sich das Wetter“, erzählt Sylvia. „Meistens wurde es schlechter.“

Das Abwasser verschwindet nun im Emscherkanal, der von Dortmund bis Dinslaken führt

Auf ihre feine Nase können sich die Kleingärtner nicht länger verlassen. Nach 170 Jahren ist die Emscher wieder abwasserfrei, jubelte die Emschergenossenschaft pünktlich zum Jahresbeginn. Das Abwasser verschwindet nun in einem riesigen Kanal, den der Wasserverband von Dortmund bis Dinslaken durchs Erdreich gegraben hat. Die letzten Anschlüsse wurden über die Feiertage verlegt.

Der Emscher-Kanal Abwasserkanal nimmt das Abwasser auf. Er führt über 51 Kilometer von der Kläranlage in Dortmund-Deusen bis zum Klärwerk an der Emschermündung in Dinslaken.
Der Emscher-Kanal Abwasserkanal nimmt das Abwasser auf. Er führt über 51 Kilometer von der Kläranlage in Dortmund-Deusen bis zum Klärwerk an der Emschermündung in Dinslaken. © FUNKE Foto Services | Felix Heyder

Als Susanne Lochner an Silvester mit Fritte und Sita, ihren beiden Hunden, an der Emscher unterwegs war, da kam es ihr vor, als hörte sie in der Ferne Lärm von Baumaschinen. „Die wollten wohl unbedingt vor dem Jahreswechsel fertig werden“, vermutet die 52-Jährige. Am Tag darauf schaute sie beim Spaziergang von einer Brücke herab auf den Fluss und staunte: „Das Wasser war klar, ich konnte bis auf den Grund sehen.“ Niemand, der heute lebt, nicht mal die ganze Alten, hat dies jemals sehen können - das zeigt die Dimension der Veränderung.

An Bea’s Kiosk ist der Emscher-Umbau in diesen Tagen deshalb ein großes Thema. Radfahrer legen hier gerne einen Zwischenstopp ein, treffen sich auf ein Stauder oder auch zwei. Es sei „viel besser geworden“. Darüber sind sich hier alle einig. „Früher war es oft schlimm. Vor allem abends, oder wenn die Sonne rauskam. Dann hat es richtig gestunken“, erzählt Bea. Das sei nicht mehr so. Zum Glück.

Der Schwarzbach ergießt sich in die Emscher. Deren Wasserstand ist zuletzt gestiegen.
Der Schwarzbach ergießt sich in die Emscher. Deren Wasserstand ist zuletzt gestiegen. © Unbekannt | schy

Nicht jeder wird deshalb gleich euphorisch. „Die Emscher soll wieder sauber sein? Als ich das in der Zeitung gelesen habe, habe ich erst einmal gelacht. Ich finde den Hype übertrieben“, sagt der 71-jährige Franz und meint die frohe Botschaft der Emschergenossenschaft.

Der Rentner aus Altenessen ist fast täglich mit dem Fahrrad an der Emscher unterwegs. Dass es gar keine Einleitungen mehr gibt in das Gewässer, mag er nicht glauben. Tatsächlich sieht die Wasseroberfläche an diesem Tag so trüb aus wie eh und jeh. Wo der Schwarzbach in die Emscher mündet, ergießt sich ein warmer Schwall in den Fluss.

Verdünntes Abwasser gelangt in den Fluss

Der Wasserstand sei in den vergangenen Tagen deutlich angestiegen, heißt es bei der Emschergenossenschaft. Offenbar seien aufgrund der starken Regenfälle unterirdische Rückhaltebecken übergelaufen, so dass Abwasser sehr stark verdünnt in die Emscher gelangt sei. Diese Art der Abwasserbehandlung entspreche dem Stand der Technik, betont Sprecher Ilias Abawi. Völlig abwasserfrei ist die Emscher also nicht, zumindest nicht immer. Aber das sind die Ruhr und andere Flüsse, an deren Ufern Kläranlagen liegen, auch nicht. Die sind nur viel größer, weshalb die Abwasseranteile so stark verdünnt werden, dass nahezu Trinkwasserqualität möglich ist.

Aus den Klärwerken in Dortmund und Bottrop wird geklärtes Abwasser eingeleitet. Auch Grubenwasser fließt nach wie vor in den Fluss. Mitte des Jahres soll damit Schluss sein, versichert die Emschergenossenschaft. Dann will die RAG das salz- und mineralienhaltige Grubenwasser unterirdisch direkt in den Rhein einleiten und die Emscher von unnatürlichen Einträgen entlasten. An Bea’s Kiosk fühlt sich Radfahrer Franz bestätigt. „Fische werden sie so schnell nicht aus der Emscher holen“, sagt der Senior, bevor er sich wieder auf sein E-Bike schwingt.

Bei Bedarf kann dem Emscher-Wasser Sauerstoff zugeführt werden

Das Emschersystem

Zum Emscher-System gehören neben der Emscher auf Essener Stadtgebiet unter anderem noch die Berne, der Borbecker Mühlenbach, ein Teil der Boye, der Ernestinengraben, der Katernberger Bach, der Läppkes Mühlenbach, der Leither Bach, der Pausmühlenbach, der Sälzerbach, der Schurenbach, der Schwarzbach und der Stoppenberger Bach. Um die Zuläufe von Abwasser zu befreien, wurde in Essen ein neues, 34 Kilometer langes Kanalsystem angelegt. 540 Millionen Euro hat die Emschergenossenschaft in den Kanalbau investiert.Zusätzlich wurden Wasserläufe auf einer Länge von insgesamt sieben Kilometern umgestaltet. Dafür investierte die Emschergenossenschaft 38 Millionen Euro.

Trotz der erfreulichen Nachrichten über den Abschluss der Bauarbeiten am Emscherkanal gibt es noch viel zu tun. Davon ist auch Rainer Garbas überzeugt. Der 52-Jährige wohnt gleich hinter dem Deich. „Die Emscher gehört zum Ruhrgebiet. Es gibt Wetterlagen, da riecht man es. Als Zugezogener kann ich mich nicht darüber beschweren“, sagt der gebürtige Sauerländer. Nun sei er gespannt, ob sich das ändert.

Ein mitten in der Emscher fest verankertes „Sauerstoffboot“, mit dessen Hilfe sich der Sauerstoffgehalt des Wassers erhöhen lässt, um den Geruch einzudämmen, wenn allzu übel stinkt, bleibt erst einmal vor Ort. Die Emschergenossenschaft will den Sommer über abwarten, ob es noch benötigt wird.

Das „Sauerstoffboot“ bleibt vorerst in der Mitte der Emscher verankert. Bei Bedarf lässt sich dem Fluss damit Sauerstoff zuführen, sodass es weniger stark riecht. Die Emschergenossenschaft will den Sommer über beobachten, ob dies überhaupt noch notwendig ist.
Das „Sauerstoffboot“ bleibt vorerst in der Mitte der Emscher verankert. Bei Bedarf lässt sich dem Fluss damit Sauerstoff zuführen, sodass es weniger stark riecht. Die Emschergenossenschaft will den Sommer über beobachten, ob dies überhaupt noch notwendig ist. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Entlang der Emscher hat der Wasserverband bereits große Pläne. Wo es möglich ist, soll der Verlauf des Flusses wieder so verändert werden, dass sich die Emscher wie einstmals in Kurven dahin schlängelt. Die Ufer sollen renaturiert werden. „Es wäre schön, wenn wir das bis 2027 hinkriegen“, sagt Anwohner Rainer Grabas. Dann steigt die Internationale Gartenausstellung im Ruhrgebiet. Eine naturnahe Emscher wäre eine Attraktion.

Zäune und Deiche an der Emscher bleiben stehen

Ausgerechnet entlang des Emscherparks soll der Fluss jedoch in seinem künstlichen Bett verbleiben. Wie mit dem Lineal gezogen wird die Emscher weiter dahinfließen, Zäune und Deiche bleiben stehen: Betreten verboten! Ilias Abawi begründet dies mit den drohenden Gefahren bei Hochwasser. In nur wenigen Minuten könne sich eine lebensgefährliche Welle aufbauen. Bis zu 15 Meter beträgt der Höhenunterschied zwischen Deichkrone und Emschersohle. Daran soll sich nichts ändern.

All das mag man bedauern, aber genauso gut könnte man begrüßen, dass zumindest teilweise die Pionierleistung der früheren Wasserbau-Ingenieure wie ein Denkmal erhalten bleibt. Immerhin hat die Emschergenossenschaft mit der brutal anmutenden Regulierung das nördliche Ruhrgebiet erfolgreich vor dem Absaufen und vor hygienischen Katastrophen bewahrt. Und die gerade Linie, die man von Schifffahrtskanälen kennt, hat schließlich auch eine eigene Ästhetik, die schon viele Fotografen fasziniert hat.

Immerhin: Das Ufer werde so gestaltet, „dass man es nicht wiedererkennt“, versichert Abawi. Bürger sollen bei der Gestaltung beteiligt werden. Die Emschergenossenschaft spricht vom „Mitmachfluss“. Das weckt Erwartungen.

Spaziergängerin Susanne Lochner sieht es mit „einem lachenden und einem weinenden Auge“. Sie denkt an „noch mehr Radfahrer und noch mehr Spaziergänger als heute schon“. Bevor sie weitergeht mit ihren Hunden, hält sie für einen Moment inne: „Alles gut, alles wird schön.“