Essen. Ludger Stratmanns Tod ist ein Verlust für die Familie und die Stadt Essen. Sohn Philipp erinnert sich an den Vater und die Ruhrgebietsikone.
Er spricht mit halb erstickter Stimme am Telefon. „Ich bin schockiert. Wir hatten noch so viel Schönes vor“, sagt Philipp Stratmann am Todestag seines Vaters Ludger. Ende August ist der mit 73 Jahren unerwartet gestorben. Ein Herzinfarkt hat ihn aus dem Leben gerissen. „Er hätte das genau so gewollt. Aber nicht in dem Alter.“ Der Betrieb in Stratmanns Theater läuft weiter. Auch das hätte er gewollt. Ein Kondolenzbuch liegt lange aus. Jeder, der dem Arzt, dem Kabarettisten, dem Menschen Ludger Stratmann noch etwas mit auf den Weg geben will, schreibt hinein. Philipp zuerst. „So viele schöne Momente und unser Leben geteilt. Unfassbar, dass das nun vorbei ist“, steht da.
Der Vater war gerne bei den Radrennen seines Sohnes dabei
Ein Stapel Kondolenzbriefe und das Buch liegen auf dem massiven Holztisch in seiner Wohnung. Er konnte sie noch nicht genauer anschauen. Zu präsent ist der Tod. „Einen Tag später wollten wir nach Sölden zum Radrennen“, erinnert sich Philipp Stratmann. Der Vater hat den schlanken, durchtrainierten Amateurradsportler immer gerne begleitet. „Er war sehr stolz.“ Schließlich hat er ihm als Kind das Fahrradfahren beigebracht. Mit lockerer Führung. „Strenge bin ich nicht gewohnt. Meine Schwester und ich sind liberal erzogen worden. Er machte keine Vorgaben, auch für die Schule nicht. Es gab ein Urvertrauen. Er war die Riesenhilfe im Hintergrund.“
Schon als Arzt in Bottrop hatte er Erfolg, „weil er mit Menschen umgehen konnte“. Wenn Philipp mit Wehwehchen ankam, hieß es, er solle sich nicht so anstellen. „Bei einer Blinddarmentzündung hat er sich schon gekümmert. Ich sehe ihn noch im Arztkittel vor mir. Ich habe Millionen Bilder von ihm im Kopf. All die Patienten, die zur Beerdigung kamen“, berichtet Stratmann junior. Er sei so beliebt gewesen in der sozial schwächeren Gegend, wo seine Praxis war, wegen seiner Ehrlichkeit und seiner vielleicht etwas bollerigen Art.
Begeisterungs- und durchsetzungsfähig war er auch. 1994 übernahmen er und sein Bruder Christian das Amerikahaus von der Stadt, tauften es Europahaus und machten daraus ein Theater mit Gastronomie. Investition: 2,5 Millionen Euro. Seine Frau ließ ihn gewähren. „Es war ein riesiges Risiko und die ersten zwei Jahre waren extrem schwierig. Er hat das von uns ferngehalten. Der Durchbruch kam erst, als er auf die Bühne ging“, weiß der 46-Jährige. Später begriff er das Geheimnis seines Erfolges: Medizinisches Kabarett auf Augenhöhe.
Der Kabarettist erreichte sein Publikum mit 100 Prozent Authentizität
Er erreichte Ärzte ebenso wie Patienten als Doktor und als Jupp. Der Kollege Dr. Eckart von Hirschhausen habe ihn mal gefragt, wie er das macht, so Philipp Stratmann. „Das war 100 Prozent Authentizität. Das war das, was er in der Praxis erlebt hatte.“ Die Zuschauerinnen und Zuschauer wussten das zu schätzen – im eigenen Theater und in den überregionalen Aufführungsorten. Philipp begleitete ihn, wenn möglich, neben dem Politikstudium, und stellte fest: „Er hat kein Programm aufgeschrieben, nur Stichpunkte gemacht und es exakt gleich gebracht. Bei seinem Best-of wurde es schwierig, aber wir hatten ja die CDs mit den Topgeschichten.“
Zum Multiplikator für Stratmanns Theater wurde 15 Jahre lang „Stratmanns – Jupps Kneipentheater im Pott“ im WDR. Das Publikum strömte, die Prominenz der Kabarett- und Comedyszene kam auch. Doch Ludger Stratmann blieb bis zum Schluss der Garant für ein volles Haus. Nach dem Ausstieg von Bruder Christian wurde Philipp 2004 Geschäftsführer und baute ein Repertoire mit komödiantischen Eigenproduktionen auf. Seine Schwester stieg in die Büroarbeit ein, seine Lebensgefährtin in das Restaurant, sie komplettierten das Familienunternehmen. „Ich habe ein Vertrauen gespürt, das mich stark gemacht hat“, so Philipp Stratmann.
Der Rückzug als Kabarettist war einer auf Raten. Von den Tourneen, von der Fernsehsendung hatte er sich schon verabschiedet. Als ihm die Corona-Pandemie bei seinem letzten Programm einen Strich durch die Rechnung machen wollte, blieb er hart und wollte jeden Auftritt nachholen. Es ist nicht ganz gelungen. Sein plötzlicher Tod löste Fassungslosigkeit aus. Sonntags stand er noch auf der Bühne, mittwochs war er nicht mehr da. Welch ein Verlust. „Er war prägend für die Ruhrgebietsunterhaltung, eine Institution“, sagt der Theaterchef.
https://www.waz.de/staedte/essen/stratmanns-theater-in-essen-vorhang-auf-nach-dem-lockdown-id232910685.html Künstler wie Jochen Malmsheimer, Horst Schroth und Fritz Eckenga sprachen ihm ihr Beileid aus und das Publikum war voller Anteilnahme. Das habe ihm geholfen und gezeigt, was er den Menschen bedeutet hat, meint Philipp Stratmann. Wertschätzung überall. Dass der Vater in den Nachrichten erwähnt wurde, freute ihn, und dass der OB schrieb. Rita und Ewald schrieben auch: „Lieber Doktor, danke für alles. Du warst einen von uns.“ Er fehlt an allen Ecken und Enden. „Er ist ein Teil von mir“, sagt Philipp Stratmann. „Er ist das Theater. Wir wollen es in seinem Namen aufrecht erhalten.“