Essen. Der Deilbach riss in der Flutnacht im Juli in Essen einen Lkw in einen Krater. So wird die stark einsturzgefährdete Unglücksstelle nun gesichert.

Es passierte bei der Jahrhundertflut im Juli: Der harmlose Deilbach verwandelt sich in einen reißenden Strom und reißt bei der Kupferdreher Spedition Torwesten einen abgestellten Tanklastzug in einen ausgespülten Krater. Gut vier Monate danach herrscht an Loch und Tunnel noch immer akute Einsturzgefahr. Um Menschenleben bei den Sicherungsarbeiten nicht zu gefährden, setzen sie nun den Roboter einer norwegischen Spezialfirma ein. Der betroffene Unternehmer Dirk Torwesten macht der Stadt unterdessen schwere Vorwürfe: Der Deilbach hätte schon längst im neuen Bett fließen können.

Ortstermin im Gewerbegebiet Prinz Friedrich: Der Roboter steht an diesem Mittwochmorgen (24. November) einsatzbereit an der Kante des Tagesbruchs, ein blauer Schlauch verbindet ihn mit dem Hydraulikaggregat auf dem Arbeitsponton unten im Deilbach. Er wartet nur noch darauf, in den Bach gehievt zu werden.

Norwegischer Tauchermeister ist ein gebürtiger Duisburger

Tauchermeister Martin Napierala steht vor dem Krater, den der Deilbach Mitte Juli in das Gelände der Spedition Torwesten gerissen hat. Der gebürtige Duisburger lebt seit 15 Jahren in Norwegen, nun koordiniert er den Roboter-Einsatz.
Tauchermeister Martin Napierala steht vor dem Krater, den der Deilbach Mitte Juli in das Gelände der Spedition Torwesten gerissen hat. Der gebürtige Duisburger lebt seit 15 Jahren in Norwegen, nun koordiniert er den Roboter-Einsatz. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Ursprünglich war das Spezialgerät ein herkömmlicher Minibagger. Aber für den anspruchsvollen Einsatz im Deilbach-Tunnel haben sie das rote Steuerhaus samt Baggerschaufel entfernt. Übrig geblieben ist der fahrbare Untersatz mit Gummiketten, an den sie – einer weißen Leinwand gleich – ein großes Stück Textil montiert haben. „Es handelt sich um eine textile Verschalung“, erklärt Tauchermeister Martin Napierala. Der Chef der norwegischen Firma stammt aus Duisburg und lebt seit 15 Jahren in der Hafenstadt Stavanger.

An normalen Baustellen bestehen Schalungen meistens aus Holztafeln. Doch am Deilbach-Krater kann von Normalität keine Rede sein. Hier muss ein riesiges Loch unter dem mächtigen Betongewölbe verfüllt werden, das der Deilbach in jener Flutnacht ausgespült hat. Und das alles im Wasser. Napierala beschreibt die textile Schalung als „Expansionssack“, der sich ähnlich aufpumpe wie ein Fallschirm. Nur mit dem Unterschied, dass sie Spezialbeton hineingießen, der unter Wasser härtet und sich dem Schadensprofil da unten ideal anpasst – so wie Bauschaum bei der Fenstermontage. „Gut 30 Kubikmeter Beton kommen da rein, ungefähr 70 Tonnen“, fügt Napierala hinzu.

Unterspültes Deilbach-Gewölbe: Gut 30 Kubikmeter Spezialbeton härten unter Wasser

Die norwegische Taucherfirma hat in der ganzen Welt zu tun. Dieselben Geotextilien wie in Kupferdreh setzen sie schon seit zwei Jahren an der Großbaustelle Main-Donau-Kanal ein - „mit großem Erfolg“. Schon seit einer Woche sind die Norweger an der Krater-Baustelle mit Vorbereitungsarbeiten befasst. Unterstützt werden sie von Industrietauchern der Duisburger Firma TSB, die bereits Mitte August Ausspülungen direkt unter der damals gesperrten Prinz-Friedrich-Straße repariert hatten.

Zwei Tage nach der Jahrhundertflut: Ein kompletter Tanklastzug der Spedition Torwesten ist in den riesigen Krater gestürzt.
Zwei Tage nach der Jahrhundertflut: Ein kompletter Tanklastzug der Spedition Torwesten ist in den riesigen Krater gestürzt. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Bereits wenige Tage nach dem Schadensereignis hatten Fachleute, darunter auch Mitarbeiter des Umweltamtes, mit einem Arbeitsboot den mehr als 100 Jahre alten Deilbach-Tunnel unter dem Kupferdreher Gewerbegebiet befahren. Bei der ersten Inaugenscheinnahme sei ihnen nichts Gefährliches aufgefallen. Was sie nicht ahnen konnten: Die harmlos anmutende Inspektion im Tunnel war in Wirklichkeit ein lebensgefährlicher Einsatz. Erst als ein Taucher ins Wasser ging und auf die immense Ausspülung stieß, schellten die Alarmglocken. „Wir haben den Tauchgang sofort abgebrochen“, sagt einer der beteiligten TSB-Taucher. Seitdem habe kein Mensch mehr diesen akut einsturzgefährdeten Abschnitt des Deilbach-Tunnels betreten.

Bis Jahresende soll die akut einsturzgefährdete Stelle repariert sein

Wo der Mensch nicht weiterkommt, muss jetzt die Maschine ran. Im Loch selbst, wo Kollege Roboter seine feuchte Mission beginnt, ist der Deilbach gerade mal einen halben Meter tief. „Aber zehn Meter weiter an der Ausspülung ist er schon drei Meter tief“, ergänzt Tauchermeister Napierala. Der Grund für die starke Zerstörung: „In der Schadensnacht muss der Deilbach das Gewölbe mit ungeheurer Kraft unterspült haben.“ Der abgesackte und quer liegende Tanklastwagen habe den Wasserdruck links und rechts drastisch erhöht.

Die Stadt geht davon aus, dass die akut einsturzgefährdete Stelle bis Jahresende repariert ist. Bis März 2022, so Stadtsprecherin Jasmin Trilling, soll der Kraterrand durch L-Steine abgesichert werden. Und Ende 2022 könne der Deilbach dann wie geplant in das neue Bett nahe der aufgeständerten Autobahn umgeleitet werden. Der alte Deilbach-Tunnel wäre dann eine leere Röhre.

Betroffener Spediteur kritisiert: „Deilbach hätte längst im neuen Bett sein können“

Unternehmer Dirk Torwesten, der Leidtragende des Deilbach-Kraters, macht der Stadt unterdessen schwere Vorwürfe: Mit der Verlegung des Deilbachs sei man „zwei Jahre hinter der Zeit“: Schon in den Jahren 2019 und 2020 sei an der Baustelle nicht viel passiert, argumentiert er.

Die Stadtsprecherin widerspricht: Die Bauarbeiten am neuen Deilbach-Bett hätten erst im Mai 2020 begonnen - nach dem Bau des zentralen Omnibusbahnhofs in Kuperdreh. Sie verweist ferner auf routinemäßige Untersuchungen von Experten für Kampfmittelbeseitigung, die etwa Luftbilder auswerten und Baugelände auch sondieren. Aber zwischen „Anfang Januar und Anfang Mai 2021“ hätten sie coronabedingt untätig bleiben müssen, trotzdem sei man im Plan. Doch Torwesten bemängelt Versäumnisse in der Bauzeitplanung und hält dagegen: „Das Geld für die Baumaßnahme war offenbar da, der Deilbach hätte schon längst durchs neue Bett fließen können.“

Die Stadt beziffert die Kosten allein für die Sicherungsarbeiten nach dem Unglück auf 1,3 Millionen Euro.