Essen. Pflegekräfte sind körperlich stark gefordert. Ein Essener Heim geht deshalb außergewöhnliche Wege – und testet einen Roboteranzug aus Japan.

„Einmal schön festhalten“, sagt Pascal Fikenzer und zählt an: „Eins, zwei, drei.“ Auf drei hebt der Altenpfleger Anita Krause vorsichtig aus dem Rollstuhl und setzt die Bewohnerin auf einen Sessel. Das geht in den Rücken – eigentlich. Doch das Hospital zum Heiligen Geist der GSE in Schonnebeck testet seit anderthalb Wochen ein Instrument, das ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Arbeit erleichtern soll: den sogenannten „Muscle Suit“, einen Roboteranzug aus Japan.

„’Rücken’ ist leider Berufskrankheit unter Pflegern“, berichtet Fikenzer. Er schätze, dass 70 bis 80 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen früher oder später ein Rückenleiden entwickelten. Einrichtungsleiter Antonio Beckmann pflichtet ihm bei. Er habe schon viele Pflegekräfte erlebt, die aufgaben, weil sie körperlich nicht mehr konnten. „Der Anzug ist für uns ein tolles Mittel“, sagt Beckmann. „Für die älteren Mitarbeiter, aber auch für die Jüngeren, die wir ja noch lange als Fachkräfte behalten wollen.“

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Doch wie funktioniert das Ganze nun genau? Vor Ort machen wir den Test. Optisch erinnert die 3,8 Kilo schwere Konstruktion aus blau-grauem Kunststoff ein wenig an einen großen Wanderrucksack. Genauso wird sie auch umgeschnallt, und anschließend mit einer Luftpumpe so angepasst, dass sich das Polster eng an den Körper schmiegt. Der Anzug arbeitet mit Luftdruck und fungiert als eine Art zusätzlicher Muskel, der sich spannt, wenn man sich bückt. „Exoskelett“ nennt man die Stützstruktur in der Fachsprache – durchaus bekannt aus Science-Fiction-Filmen.

WAZ-Redakteurin Katrin Böcker hat den Roboteranzug um Essener Pflegeheim Hospital zum Heiligen Geist getestet.
WAZ-Redakteurin Katrin Böcker hat den Roboteranzug um Essener Pflegeheim Hospital zum Heiligen Geist getestet. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Fertig eingeschnürt muss ein Stuhl als Testobjekt herhalten. Bückt man sich mit dem Roboteranzug, so spürt man deutlichen Gegendruck. Es fühlt sich an, als würde man wie eine Marionette von der Konstruktion wieder nach oben gezogen. Automatisch verlagert sich das Gewicht in die Oberschenkel, man nimmt eine Kniebeugeposition ein. Schwer ist der Stuhl immer noch. Doch es fühlt sich zumindest so an, als belaste man deutlich weniger die Bandscheiben.

Essener Unternehmen testen Roboteranzüge als erste in Deutschland

Testphase soll verlängert werden

Die Resonanz seitens der testenden Unternehmen sei sehr positiv gewesen, sagt Go Theisen, Projektleiter bei der EWG. Deshalb verhandle man aktuell darüber, ob die Testphase nicht verlängert werden könne.

In Japan sind die Exoskelette, die es für verschiedene Körpergrößen gibt, stark nachgefragt. Ein Grund ist die auch dort alternde Gesellschaft und der damit verbundene Pflegekräfte-Mangel.

„Mir hilft es, die Bewohner besser zu versorgen“, sagt Fikenzer klar. Er setze das Exoskelett, das er liebevoll „Fred“ getauft hat, vor allem ein, wenn er den alten Menschen beim Aufstehen helfe. Das könne nämlich ganz schön in den Rücken gehen, vor allem, wenn jemand doppelt so viel wiege wie er. Auch Zeit spare er so. Und nicht zuletzt sorge die neue Gerätschaft für Gesprächsstoff unter den Bewohnern: „Die finden das cool.“

Der Kontakt zum Hersteller kam über die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft (EWG) zustande. Um seinen „Muscle Suit“ auf dem deutschen Markt zu etablieren, hatte die japanische Firma Innophys im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit der nordrhein-westfälischen Außenwirtschaftsförderungsgesellschaft „NRW Global Business“ und der EWG im August 2021 einen Testaufruf innerhalb der Essener Wirtschaft gestartet. Fünf Unternehmen aus Essen – darunter die Branchen Logistik, Garten- und Landschaftsbau und Industrie – folgten dem Aufruf und testeten die Exoskelette als erste Unternehmen in Deutschland überhaupt.

Anzüge kosten aktuell 1280 Euro

„Als wir ‘Roboteranzüge’ gehört haben, dachten wir zuerst an Science-Fiction“, gibt Fikenzer zu. Umso größer sei die Begeisterung gewesen, als man festgestellt habe, wie leicht zu benutzen die Anzüge seien – und dass man keineswegs einen Akku aufladen müsse. „Wir können uns gut vorstellen, ein bis zwei Anzüge pro Wohnbereich zu kaufen, wenn das Skelett in Deutschland zugelassen ist“, sagt Einrichtungsleiter Beckmann. Ein Roboteranzug kostet auf dem europäischen Markt aktuell 1280 Euro.