Essen. Essen: Choreograf Mateusz Bogdanowicz arbeitet während der Pandemie in einem Betreuungsheim. Job wird zur Inspiration für seine Abschlussarbeit.
„Es geht nicht um Kunst, auch nicht um bloßes Können. Es geht um das Leben und darum, für das Leben eine Sprache zu finden.“ Den Gedanken der bedeutenden Choreografin Pina Bausch hat ein junger Mann verinnerlicht, der dort studiert, wo sie einst wirkte: an der heutigen Folkwang Universität der Künste. Keine schlechten Voraussetzungen für einen 26-Jährigen mit Bewegungsdrang. Mateusz Bogdanowicz ist Tänzer aus Polen, der gerade sein Studium als Choreograf beendet. Seine Abschlussarbeit wird nun vom Ensemble des Folkwang Tanzstudio aufgeführt.
Er kann nicht lange still sitzen. Er gestikuliert, wenn er spricht, steht immer wieder auf und deutet Tanzschritte an, realisiert mal eben eine kleine Improvisation. „Ich hatte schon als Kind eine Leidenschaft für Bewegung. Ich liebte Sport. Fußball hat mir Spaß gemacht, Krav Maga und Aikido“, sagt Mateusz Bogdanowicz, der sich aus Gorzów Wielkopolski auf den Weg gemacht hat.
Mit neun Jahren Hip-Hop für sich entdeckt
Mit neun Jahren entdeckt er Hip-Hop für sich und vermittelt später Breakdance an schwierige Kinder. „Ich habe mich in Tanz verliebt“, sagt Bogdanowicz, der zunächst in Krakau studiert. Zeitgenössischer Tanz, Improvisation, Ballett sind nun seine Basis. Sein Professor Rudolpho Leoni, der auch in Essen lehrt, bringt ihn an die Folkwang Universität. „Essen ist ein toller Ort von der Bewegungsphilosophie. Man sucht nach Authentizität, Ehrlichkeit, Genauigkeit und nach der eigenen Persönlichkeit“, schwärmt er.
Mit dem Suchen kennt sich Mateusz Bogdanowicz aus. Denn kein Studium ohne Finanzierung. Zunächst helfen ihm das Erasmus-Programm und etwas Erspartes auf die Sprünge. Dann muss er sich Jobs suchen – im Café, als studentische Hilfskraft und in Projekten, wie bei der ehemaligen Leiterin des Folkwang Tanzstudios und Choreografin Henrietta Horn in einer Borbecker Kirche. 2020 kommt Corona und er ist ohne Arbeit, bis er im Betreuungszentrum auf Zollverein beim Registrieren von Besuchern aushilft. Mit etlichen der dort lebenden Menschen kommt er ins Gespräch. Auch mit Karin Gallus.
Eine ungewöhnliche Begegnung entwickelt sich. „Sie wollte Tanz studieren an der Folkwang, hat aber Fotografie studiert. Ich hatte Interesse, mir das anzuhören“, erzählt er. Dann tanzt er für sie, sie fotografiert ihn und schreibt einen Text dazu. Nun ist sie ein Teil seiner Choreographie. Improvisatorische Übungen gehören bei ihrem Treffen dazu. „Das fördert die Gesundheit und Zufriedenheit“, ist er überzeugt.
Sich mit Tanz in der Gesellschaft verbinden
„Es geht mir nicht darum, nur professionelle Projekte zu realisieren. Das ist elitär. Tanz ist für alle da“, meint er. Man müsse sich mit dem Tanz in der Gesellschaft verbinden und etwas Gutes tun. Bei Mateusz Bogdanowicz sind solche Sätze nicht nur leere Worthülsen. Er lebt sie. In einem interdisziplinären Format möchte er zum Beispiel Tanz für Blinde öffnen. Wie soll das gehen? Mit einer Flötistin und einem Akkordeonisten will er Bewegungen in Klänge, Töne und Wörter übersetzen und akustisch erfahrbar machen.
So ambitioniert wie seine Vorhaben sind seine Wünsche für die Zukunft. Aber gar nicht abgehoben. Nach seinem Abschluss will er in Werden bleiben. „Viele wollen in die weite Welt. Essen ist international und hat tolle Menschen. Ich fühle mich hier wohl“, sagt er. Am liebsten möchte er einen Platz am Folkwang Tanzstudio oder etwas eigenes auf die Beine stellen. „Und weiter Karin Gallus im Betreuungszentrum besuchen.“