Essen. Explodierende Baupreise, steigende Anforderungen an den Klimaschutz, weniger Sozialwohnungen: Das sind die Folgen für den Essener Wohnungsmarkt.
Explodierende Baukosten, zu wenige Baugrundstücke und steigende Investitionen für den Klimaschutz: Die Bedingungen für den Wohnungsbau werden in Essen nach Einschätzung von Experten schwieriger. „Es wird von Jahr zu Jahr anstrengender“, sagt Allbau-Chef Dirk Miklikowski.
Das hat Folgen für den Wohnungsmarkt – insbesondere für Mieter, die auf günstige Wohnungen angewiesen sind. Ein Indiz dafür: Die Zahl an öffentlich geförderten Wohnungen geht weiter zurück. Allein in diesem Jahr fallen 843 aus dem Bestand, weil die gesetzliche Mietpreisbindung ausläuft. Insgesamt sinkt die Zahl an preisgebundenen Mietwohnungen damit auf 18.484. Zum Vergleich: 2015 waren es noch 19.721.
In den vergangenen Jahren war der Bestand dank günstiger Förderbedingungen noch gestiegen. Doch wie sich zeigt, war dies keine Trendwende. Im Gegenteil. Der Rückgang setzt sich fort.
Fällt eine Wohnung aus der Sozialbindung, steigt bald darauf die Miete
Dadurch verringert sich das Angebot an günstigem Wohnraum weiter. Die Mietergemeinschaft Essen beobachtet, dass die Mieten steigen, sobald die Sozialbindung endet. „Im ersten Schritt wird die Miete dem Mietspiegel angepasst. Im zweiten Schritt werden Modernisierungen nachgeholt“, berichtet Geschäftsführerin Siw Mammitzsch. Abermals steige die Miete.
Als beispielhaft nennt Mammitzsch Mieterhöhungen durch die LEG im Essener Osten um bis zu 1,20 Euro pro Quadratmeter. Das sei auf den ersten Blick nicht viel, reiche aber aus, dass sich Mieter ihre Wohnung nicht mehr leisten könnten.
Die Konditionen für den öffentlich geförderten Wohnungsbau sind so attraktiv wie nie
„Wir müssen mehr für den sozialen Wohnungsbau tun“, sagt auch Stephan Schwarz, Leiter des Stadtamtes für Stadterneuerung und Bodenmanagement. Die Konditionen für Investoren seien so attraktiv wie nie zuvor, gewährt das Land NRW doch nicht nur günstige Darlehen, sondern auch Tilgungsnachlässe.
Doch die finanziellen Anreize der öffentlichen Hand für Neubau und Modernisierung reichen offensichtlich nicht aus, um den Abwärtstrend zu stoppen. Rund 19 Millionen Euro haben Investoren 2020 abgerufen. Rund 30 Millionen Euro hatte das Land NRW der Stadt für Neubau und Modernisierung bereitgestellt.
Siw Mammitzsch von der Mietergemeinschaft Essen sieht den Bund in der Verantwortung und fordert längere Bindungsfristen für öffentlich geförderte Wohnungen. Die Linke im Rat der Stadt drängt einmal mehr auf die Einführung einer verbindlichen Sozialquote von 30 Prozent beim Wohnungsbau. Essen sei die einzige unter den zehn größten Städten, die auf eine solche Quote verzichte, kritisiert Wolfgang Freye, Vertreter der Linken im städtischen Planungsausschuss.
CDU und Grüne haben auf eine Sozialquote beim Wohnungsbau verzichtet
Die neue Ratsmehrheit von CDU und Grünen wollte sich dazu nicht durchringen. Die Stadt setzt weiterhin auf freiwillige Vereinbarungen mit Investoren. „Wir pendeln uns um die 30 Prozent ein“, sagt Stephan Schwarz.
Der Allbau erfüllt eine solche Quote längst über. Die städtische Wohnungsgesellschaft setzt beim Neubau mit wenigen Ausnahmen ausschließlich auf öffentlich geförderten Wohnraum. „Aus sozialer Verantwortung“, wie Geschäftsführer Dirk Miklikowski betont. Aber auch, weil es sich rechnet. „Es ist nicht so, dass sich mit öffentlich geförderten Wohnungen kein Geld verdienen lässt“, sagt der Allbau-Chef.
Dank günstiger Darlehen und Tilgungsnachlass ließe sich eine neu gebaute „Sozialwohnung“ für 6,20 Euro pro Quadratmeter vermieten. Ohne öffentliche Förderung müssten Investoren angesichts der hohen Baukosten eine Miete von 11 Euro pro Quadratmeter erzielen, damit sich die Investition noch bezahlt mache. Eine solch hohe Miete wird in Essen jedoch nur für sehr gute oder gute Lagen gezahlt.
Durch Investitionen in den Klimaschutz werden auch sehr günstige Wohnungen teurer
Was bedeutet das für den Wohnungsbau? Zieht der soziale Wohnungsbau womöglich sogar an?
Dass sich Investoren zurückhalten, kann Allbau-Chef Miklikowski nicht nachvollziehen, allerdings muss er nach eigenen Worten immer wieder feststellen, dass es sehr wohl Vorbehalte gibt gegen öffentlich geförderten Wohnungsbau, auch in der Politik. Offenbar aus Sorge um das soziale Gefüge bestehender Nachbarschaften. Dabei dürfte sich, wer auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter steht, eine neugebaute Sozialwohnung für 6,20 Euro den Quadratmeter kaum leisten können.
Förderung für 118 Wohnungen bewilligt
Die Stadt Essen hat im Jahr 2020 öffentliche Fördermittel für 118 Neubauwohnungen bewilligt, davon 56 Wohnungen in Rüttenscheid, 53 in Frohnhausen und neun in Stadtwald. Hinzu kamen Mittel für 24 Wohnheimplätze in Schönebeck. Insgesamt wurden dafür 19,1 Millionen Euro freigegeben.Für das kommende Jahr liegen dem Amt für Stadterneuerung und Bodenmanagement weitere Förderanträge, unter anderem für Bauprojekte in Kettwig, Dellwig und Frohnhausen.
Menschen, die auf staatliche Hilfe angewiesen sind, finden eine Wohnung im sogenannten Niedrigpreissegment. „Eine Wohnungsknappheit gibt es in Essen noch nicht“, so Miklikowski. Allerdings seien diese Wohnungen „von Innovationen abgehängt“. Dies dürfte sich nach Einschätzung des Allbau-Geschäftsführers durch die Klimaschutzgesetzgebung des Bundes ändern. „Da kommt eine riesige Investitionswelle auf uns zu, die auch bezahlt werden muss.“