Essen. Die Essener Theologin Sarah Vecera erlebt täglich Rassismus – auch in der Kirchengemeinde. Wie sich Kirche ihrer Meinung nach verändern muss.
Sarah Vecera bedeutet ihr Glaube sehr viel. Die 37-Jährige, die in Essen-Stadtwald lebt, hat Theologie und Religionspädagogik studiert und arbeitet als Bildungsreferentin der Vereinten Evangelischen Mission. Sie ist überzeugt davon, dass Kirche sich verändern muss, wenn diese eine Zukunft haben will – vor allem in Bezug auf Alltagsrassismus, den Menschen wie Vecera, die nicht weiß sind, in ihren Gemeinden erleben.
Sie setzen sich schon lange mit Rassismus auseinander, auch in der Kirche. Seit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, der am 25. Mai 2020 bei einem Polizeieinsatz in den USA ums Leben kam, erlangt das Thema vermehrt Aufmerksamkeit. Warum wurde davor weniger über Rassismus gesprochen?
Sarah Vecera: Deutschland ist aufgrund seiner Geschichte ziemlich empfindlich bei dem Wort Rassismus. Wir haben gelernt, dass Rassisten die Nazis sind. Aber nicht Tante Erna, die sich seit 30 Jahren in der Kirchengemeinde engagiert. Deshalb kommen wir so schwer ins Gespräch.
Was verstehen Sie unter Alltagsrassismus?
Rassismus ist ein Konstrukt, das über 500 Jahre alt ist. Menschen wie mich betrifft es täglich. Als Beispiel: Kinder werden normalerweise gefragt „Wie heißt du? Wie alt bist du? Gehst du schon in den Kindergarten?“ Mir wurde immer noch eine vierte Frage gestellt: „Woher kommst du?“ „Aus Oberhausen.“ „Nein, woher kommst du wirklich?“ Diese Frage hat mir von klein auf gezeigt: Du bist anders. Du gehörst nicht dazu.
Mittlerweile befassen sich immer mehr Menschen mit der Problematik, auch innerhalb der Kirche.
Ja, durch den Tod von George Floyd hat sich etwas in der deutschen Gesellschaft verändert. Schwarze Menschen werden mehr gehört, die Medien berichten über das Thema Rassismus. So kam auch die Kirche dazu, sich damit zu beschäftigen. Man wollte Betroffene zu ihren Erfahrungen befragen und stellte fest: Es gibt kaum Menschen in den Gemeinden, mit denen man sprechen kann.
Sie gehören zu den wenigen nicht weißen Personen, die die evangelische Kirche in Deutschland öffentlich repräsentieren. War Ihnen das schon immer bewusst?
Nein. Ich war mal Mitglied der Essener Kreissynode. Letztens hat mich jemand darauf angesprochen und meinte: „Ich habe dieses Bild vor Augen, wie du dein Gelöbnis ablegst. Weißt du eigentlich, dass du meiner Erinnerung nach die einzige Woman of Color bist, die Mitglied der Kreissynode war?“ Kirche in Deutschland ist eine sehr weiße Kirche. Das ist ein Problem.
Auf Instagram über Rassismus aufklären
Auf ihrem Instagram-Profil @moyo.me nimmt Sarah Vecera Alltagsrassismus in den Blick – auch und vor allem den in der Kirche. Über 4000 Menschen folgen ihrem Account.Vecera bezeichnet sich selbst als „Woman of Color“. Wörtlich übersetzt heißt das „farbige Frau“. Vecera möchte aber nicht so genannt werden, da sie den Begriff als rassistisch empfindet.
Warum?
Es führt dazu, dass wir ganz selbstverständlich Bilder reproduzieren, die von weißen Menschen geprägt werden. Meine Tochter ist fünf Jahre alt. Sie besucht den Kindergottesdienst, wächst im christlichen Haushalt auf und geht in eine evangelische Kita. Auch bei uns werden die strukturellen Probleme sichtbar: Meine Tochter konnte schon mit drei Jahren sagen: Gott ist ein weißer Mann.
Welche Auswirkungen hat das?
Menschen suchen immer einen Ort, an dem sie sich repräsentiert fühlen und an dem ihre Perspektive berücksichtigt wird, zum Beispiel in der Predigt. Deshalb müssen vor allem in der Leitung mehr Leute sein, die nicht weiß sind. Ich denke, das wäre eine Chance, wieder mehr Menschen für Kirche zu begeistern und gegen die vielen Kirchenaustritte anzukämpfen.
Wie kann es noch gelingen, mehr Menschen, die nicht weiß sind, für die Kirche zu begeistern?
Ein erster Schritt wäre es, Ordinationen aus dem Ausland anzuerkennen. Es gibt viele Pfarrer und Pfarrerinnen, die in Deutschland nicht ins Pfarramt dürfen, weil ihre Ausbildung nicht anerkannt wird. Da haben wir ein gutes Gegenbeispiel im Essener Kirchenkreis: David Gabra ist Pfarrer in Kettwig und hat in Ägypten Theologie studiert. Das Weigle-Haus in Essen könnte auch ein Vorbild sein. Die Gemeinde dort ist sehr international.
Was können Christinnen und Christen tun, um sich gegen Rassismus in ihrer Gemeinde einzusetzen?
Gerade Menschen, die sich seit Jahrzehnten in der Kirche engagieren, sind überzeugt davon, zu den Guten zu gehören. Das will ich ihnen auch gar nicht absprechen. Ich denke, dass gerade Kirche eine Chance bietet, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Wir hören einander zu und nehmen unterschiedliche Perspektiven wahr. Ich merke, dass so auch die ältere Generation, die unter Anti-Rassismus oft etwas ganz anderes versteht, ins Nachdenken kommt. Am Anfang heißt es oft: „Ich stand schon in den 80er Jahren in den Supermärkten und wollte verhindern, dass Früchte aus Südafrika gekauft werden, um gegen das Apartheidregime zu protestieren. Da warst du noch im Kindergarten.“ Aber wir alle sollten die Bilder in unseren Köpfen, die uns auch von der Kirche mitgegeben werden, hinterfragen. Das ist kein Sprint, sondern ein Marathon.