Essen. Freiheiten für Geimpfte und Genesene werden als ungerecht kritisiert. Warum das Gegenteil der Fall ist und die neuen Regeln sinnvoll sind.

Ich habe drei jüngere Geschwister. Sie gehören zur Risikogruppe 3 und haben vor wenigen Tagen ihre erste Impfung bekommen. Natürlich kamen direkt Sprüche wie „Wir gehen bald ohne dich ins Restaurant“ oder „Wir buchen schon mal den Sommerurlaub zu dritt“.

Zugegeben, das fand ich erstmal überhaupt nicht lustig. Ich war neidisch. Und obwohl Geimpften und Genesenen derzeit viel geringere Freiheiten in Aussicht gestellt werden, ist die Debatte schon jetzt vom Neid auf die sogenannten „Impfprivilegien“ geprägt. Genau da liegt das Problem: Geimpfte und Genesene haben keine Privilegien. Sie bekommen nur die Grundrechte zurück, die in Deutschland normalerweise alle haben.

Warum sollten Genesene und Geimpfte weiterhin grundlos eingeschränkt werden?

Das ist gerecht. Oder besser gesagt: Alles andere wäre ungerecht. Denn strenge Schutzmaßnahmen sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie den Tod vieler Menschen verhindern und das Gesundheitssystem vor einem Kollaps bewahren. Studien zeigen aber, dass von Geimpften und Genesenen kaum mehr ein Infektionsrisiko ausgeht.

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Wie sollten wir Jüngeren der älteren Generation also erklären, dass wir ihr das kleine bisschen Normalität verwehren? Um Solidarität zurückzufordern, weil wir anfangs auf vieles verzichtet haben, um sie zu schützen? Dabei steht doch fest: Es nützt uns jungen Menschen überhaupt nichts, wenn andere weiterhin grundlos eingeschränkt werden.

Wir werden nicht alle gleichzeitig in den Alltag zurückkehren. Das mag den ein oder anderen stören, aber Neid hat uns noch nie weitergebracht. Anstatt an sich selbst, sollte man lieber an die denken, die die Pandemie besonders hart trifft: Einzelhändler, Gastronominnen & Co. – auch, wenn das für mich bedeuten würde, dass meine Geschwister erstmal ohne mich essen gehen.

Corona- Das halten Essener von Privilegien für Geimpfte

Margret Hörcher (61):
Margret Hörcher (61): "Ich bin bereits durchgeimpft und könnte sagen: Ich nutze die Vorteile für mich. Ich finde es an sich auch richtig, dass Geimpfte und Genesene mehr Freiheiten bekommen. Aber erst dann, wenn allen ein Impfangebot gemacht wurde. Solange sollten wir abwarten und alle müssen sich noch gedulden.“ © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann
Benno Quaß (82):
Benno Quaß (82): "Ich bin dankbar dafür, dass ich geimpft bin. Ich hätte nie verlangt, Vorteile deswegen zu haben. Aber seitdem festgestellt wurde, dass ich als Geimpfter für mich und andere keine Gefahr bin, frage ich mich, warum ich meine Grundrechte nicht zurückbekommen sollte. Dieser Neid ist typisch deutsch.“ © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann
Katharina Kern (23):
Katharina Kern (23): "Ich arbeite ehrenamtlich bei der Bahnhofsmission, deshalb habe ich heute meine erste Impfung bekommen. Ich finde es zwar nicht fair, dass Geimpfte privilegiert werden, weil noch nicht alle die Chance dazu hatten. Aber ich würde die Freiheiten trotzdem nicht ablehnen und hätte auch kein schlechtes Gewissen.“ © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann
Marco Lorenz (27):
Marco Lorenz (27): "Natürlich ist es nicht gerecht, dass Menschen, weil sie geimpft sind, Vorteile bekommen. Ich will mich zum Beispiel gar nicht impfen lassen. Und nur weil jemand nicht geimpft ist, kann man ihn nicht von allem ausschließen. In Holland ist schon alles jetzt offen. Warum nicht auch in Deutschland?“ © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann
Dario Lindemeier (35):
Dario Lindemeier (35): "Ich finde nicht, dass Geimpfte und Genesene Vorteile bekommen und gegenüber den anderen bevorzugt werden sollten. Das ist unfair und unsozial. Wenn bereits jeder die Chance gehabt hätte, sich impfen zu lassen, wäre es fair. So nicht. Und das sage ich als jemand, der schon durchgeimpft ist.“ © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann
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