Essen. Die Grünen wollten Wohnen und Gewerbe. Nun ist eine „Trabantenstadt“ ein Horrorszenario und der Fortbestand des Flughafens Essen/Mülheim denkbar.

Wenn es um die Frage nach der Zukunft des Flughafens Essen/Mülheim ging, wurde in der politischen Diskussion so manche Kapriole geschlagen. Ungeachtet dessen hielten Essens Grüne bislang an ihrem Kurs gen Ausstieg fest. Doch der Wind hat sich gedreht, seit die Grünen gemeinsam mit der CDU im Rat der Stadt koalieren.

Für die kommende Sitzung des Planungsausschusses bringen beide Fraktionen gemeinsam einen Prüfantrag ein, der die Fortführung des Flugbetriebes auf den Ruhrhöhen über das Jahr 2034 hinaus als eine Option in Betracht zieht. 2034 laufen die verbrieften Rechte der Sportflieger des Aero Club aus. Laut dem nach wie vor gültigen Ratsbeschluss soll deshalb eigentlich Schluss sein mit der Fliegerei. Der Ratsbeschluss steht mehr denn je in Frage.

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Dass es so kommen könnte, ist keine Überraschung. Haben CDU und Grüne in ihrer Kooperationsvereinbarung doch festgeschrieben, „ergebnisoffen“ über die weitere Nutzung des Flughafengeländes zu beraten. Dies allerdings „in konsequenter Weiterführung des Masterplanprozesses“, wie es in der Vereinbarung wörtlich heißt. Doch von einer „konsequenten Weiterführung“ kann keine Rede sein. Denn der städtebauliche Wettbewerb über eine Bebauung des 140 Hektar großen Areals soll nach dem Willen der neuen Ratsmehrheit nicht weiterverfolgt werden. Die Verwaltung wird aufgefordert das vom Land NRW finanziell geförderte Verfahren anzuhalten. 60.000 Euro für Gutachten sind damit zurückzuzahlen.

Der Kurswechsel der Grünen verwundert. Noch im Februar vergangenen Jahres forderte ihre Ratsfraktion, den sogenannten Masterplanprozess „mit Hochdruck“ voranzutreiben. Nun schreckt man vor der angedachten Bebauung zurück. „Der auf die Schaffung von neuen Wohnungen für 6000 Menschen angelegte Wettbewerb war zum Scheitern verurteilt“, lässt Fraktionssprecherin Hiltrud Schmutzler-Jäger per Pressemitteilung verlauten. Auf Nachfrage erklärte die langjährige Sprecherin: „Es stand nie im Raum, dass so massiv gebaut wird.“

Umweltschützern wäre es lieber, auf dem Flughafen-Areal bliebe es wie es ist

Nun, vom Himmel gefallen ist die Zahl nicht. Vielmehr ist sie das Ergebnis einer „interkommunalen Abstimmung“ sowie diverser Workshops, an denen auch Vertreter der Politik beteiligt waren. Teilnehmer erinnern sich daran, dass allen voran Vertreter der Wirtschaftsförderung „große Augen machten“ angesichts der Perspektiven, die sich für eine Entwicklung des Flughafengeländes eröffneten. Bei den Grünen fragt man derweil hinter vorgehaltener Hand, ob da möglicherweise jemand aus den eigenen Reihen „gepennt hat“.

Im Beschluss, mit dem der Rat im Februar diesen Jahres, den städtebaulichen Wettbewerb angestoßen hat, ist jedenfalls ausdrücklich von einem innovativen Stadtquartier für rund 6000 Bewohner und 2000 Beschäftigte die Rede. Es ist die Ironie der Geschichte: In dem die Grünen den Masterplanprozess vorantrieben, manövrierten sie sich in eine Zwickmühle, denn so manchem in ihren Reihen erscheint das vorläufige Ergebnis nun wie ein Horrorszenario.

Eine „Trabantenstadt“ sei der Öffentlichkeit nicht vermittelbar, die Aussicht auf mehr Verkehr und weniger Grün die schlechtere Alternative. Selbst eine kleinere Siedlung wäre zumindest für die Mülheimer Grünen keine Lösung, lassen diese wissen. Aus Sorge, eine solche könnte sich im Laufe der Jahre ausdehnen. Tenor: Dann lassen wir doch besser alles wie es ist. Umweltschützern wäre das lieber. Und sicher auch der seltenen Feldlerche, die auf dem Flughafengelände heimisch ist.

Ein Drittel des Flughafens soll für die Ansiedlung von Unternehmen genutzt werden

Ganz so wird es nicht kommen. Ein Drittel das Areals – überwiegend der nördliche und nordöstliche Teil – soll laut Prüfauftrag für die Ansiedlung von Start ups und innovativen Unternehmen genutzt werden. Von einer Wohnbebauung haben sich die beiden Kooperationspartner im Rat indes verabschiedet – trotz Bedarfs an Wohnraum und Flächen.

Was den Flugbetrieb angeht, betont Grünen-Fraktionssprecherin Schmutzler-Jäger: „Wir Grünen halten an dem Ziel einer Schließung des Flughafens Essen/Mülheim in der bisherigen Form ab dem Jahr 2034 fest.“ Wobei die Formulierung „in der bisherigen Form“ genügend Interpretationsspielraum offen lässt. In ihrem Parteiprogramm treten die Grünen noch für „die schnellstmögliche Schließung“ des Flughafens ein. Ganz so eilig haben sie es nicht mehr. Der konsequente Ausstiegskurs lässt sich offenbar nicht halten, weil man sich parteiintern nicht einig ist.

Luftschiff „Theo“ soll bleiben

Ungeachtet der Frage über die Fortführung des Flugbetriebes hinaus soll Luftschiff „Theo“ nach dem Willen von CDU und Grünen in Essen/Mülheim weiter aufsteigen dürfen. Darüber hinaus soll die Verwaltung zwei Varianten prüfen. In Variante 1 geht es um die Nutzung eines Drittels des Geländes für die Ansiedlung innovativer Betriebe bei Aufgabe des Flugbetriebes 2034.

In Variante 2 um die gleichartige Nutzung, wobei über 2034 hinaus geflogen würde. Ausdrücklich nennen CDU und Grüne den Segelflug- und den Schulflugbetrieb. Die Start- und Landebahn soll auf ein Mindestmaß verkleinert werden.

Die CDU denkt bereits weiter – an Flugtaxis und an Versandhandel per Drohne. Die technische Entwicklung mache auch vor der Fliegerei nicht Halt, sagt Guntmar Kipphardt, Vorsitzender des städtischen Planungsausschusses. Der Ratsherr aus Kettwig ist erklärter Befürworter des Flugbetriebes über das Jahr 2034 hinaus und spielt auf Forschungsprojekte zu elektrobetriebenen Fluggeräten an. Das klingt vage, genügt seiner Fraktion aber, um dem Flughafen eine Perspektive zu eröffnen.

Zum Schwur zwischen CDU und Grünen kommt es, wenn das Ergebnis des gemeinsamen Prüfantrages vorliegt, sagt Hiltrud Schmutzler-Jäger. Man darf gespannt sein.