Essen. Impfen, impfen, impfen – und ruhig etwas riskieren. Die Chefs im Impfzentrum haben am Sonntag Fehler gemacht, aber die Grundeinstellung stimmt.

Die Diskussion über die Vorgänge im Essener Impfzentrum am Osterwochenende reißen nicht ab, Lob für das streckenweise hemdsärmelige Vorgehen der Impf-Ärzte gibt es ebenso wie scharfe Kritik. Wem eine oftmals selbst definierte Einzelfallgerechtigkeit über alles geht, empfindet es als skandalös, dass die Essener Impf-Ärzte einige Stunden lang impften, was die Spritzen hergaben und bei Termin-Bescheinigungen auch mal Fünfe gerade sein ließen. Wer hingegen der Meinung ist, dass im Zweifel das Impf-Tempo wichtiger ist als die hundertprozentige Einhaltung bürokratischer Abläufe, wird das Vorgehen gutheißen. Was übrigens nicht geht ist, je nach eigenem Vorteil mal auf die eine und mal auf die andere Philosophie zu setzen. Das wäre Heuchelei.

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Mancher sagt, eine Impf-Rallye wie am Wochenende sei in jedem Fall ungerecht, weil nicht jeder in gleichem Maße gut mit digitalen Buchungsportalen umgehen oder Helfer mobilisieren kann. Das aber sind individuelle Unterschiede, die ein Staat nicht ausgleichen kann, selbst wenn er es wollte. Im Moment ist das Wichtigste, die vorhandenen Impfstoffe schnell in möglichst viele Arme zu bekommen und sie nicht nutzlos zu lange liegenzulassen, wie es vielfach immer noch geschieht. Dafür muss ein Quantum Ungerechtigkeit in Kauf genommen werden. Auch weil Gerechtigkeit für Millionen Einzelfälle ohnehin eine Fiktion ist.

Bürokratie und Schnelligkeit schließen sich aus, Chaos und Schnelligkeit allerdings auch

Eine penibel organisierte Impf-Reihenfolge, die sich an der potenziellen Gefährdung durch das Virus orientiert, ist bei knapper Materiallage nicht verkehrt, und so ist es bislang ja auch weitgehend durchgezogen worden. Damit sollte nun bald Schluss sein. Denn Bürokratie und Schnelligkeit schließen sich aus, Chaos und Schnelligkeit allerdings auch. Eine gewisse Ordnung muss also sein. Als diese am Ostersonntag verloren zu gehen drohte und die Menschen – angeheizt durch falsche Medienberichte – wild zum Essener Impfzentrum eilten, wurde richtigerweise die Reißleine gezogen. Anarchie ist nicht effizient.

Wo der Mittelweg genau liegt, lässt sich kaum definieren. Es ist besser, den Ärzten Spielraum zu lassen und darauf zu vertrauen, dass die Mischung aus Wissen und gesundem Menschenverstand in der Regel zu richtigen Entscheidungen führt. Wenn dies einmal nicht so ist, wäre es klüger, dies in der jetzigen Situation gelassen hinzunehmen, statt die Regeln weiter zu verfeinern, was dann unvermeidlich zu Zeitverlusten für alle führt, was wiederum unnötig Menschenleben kosten kann.

Es war richtig, dass die Verantwortlichen im Impfzentrum etwas riskierten

Deshalb war es richtig, die Astrazeneca-Dosen in NRW rasch unters Volk über 60 zu bringen. Und es war auch richtig, dass die Chefs im Essener Impfzentrum bei der Umsetzung spontan etwas riskierten nach dem Motto: Jeder Geimpfte ist erst einmal ein Erfolg. Wer nie etwas riskiert, wird nur schwer Verbesserungen finden, wer dabei übers Ziel hinausschießt, muss halt umkehren. Das ist in diesem Fall überhaupt keine Schande.

Die Impfquote in Essen ist erfreulich hoch, höher als in vielen vergleichbaren Städten. Das hat auch etwas mit einem Impfzentrum zu tun, das im Rahmen der gesetzlichen Spielräume Pragmatismus und Dynamik lebt. Es ist gut, dass die Stadtspitze nach dem Ostersonntag nicht kleinlich dazwischen grätschte, sondern sich vor die Verantwortlichen stellte. Impfen, impfen, impfen - das vor allem zählt. Um Feinheiten können wir uns wieder kümmern, wenn die Pandemie vorbei ist.