Essen. Fassungslosigkeit im Impfzentrum über das Aussetzen des Astrazeneca-Impfstoffs. Aber: Über 80-Jährige werden normal mit Biontech weiter geimpft.

Nach dem Aussetzen der Corona-Impfungen mit dem Impfstoff von Astrazeneca werden allein in Essen in den nächsten zwei Wochen rund 10.000 geplante Impfungen zum Beispiel für Lehrer und Leistungserbringer im Gesundheitswesen erst einmal abgesagt. Das berichtete Gesundheitsdezernent Peter Renzel, nachdem er sich am Montag Nachmittag im Impfzentrum an der Messe einen Überblick über die Lage verschafft hatte. Gesichert ist laut Renzel aber immerhin die weitere Impfung jener Bürgerinnen und Bürger, die 80 Jahre und älter sind. Sie können also mit ihren bestätigten Terminen auch in den nächsten Tagen und Wochen ins Impfzentrum kommen und erhalten dort den Impfstoff von Biontech.

Leiter des Essener Impfzentrums: Das wird uns zurückwerfen

Der Leiter des Impfzentrums, Dr. Stefan Steinmetz, hatte für die entstandene Lage nur ein Wort: „Katastrophe“. Die Aussetzung werde auch Essen zurückwerfen beim Versuch, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Bis kurz vor 16 Uhr am Montag hat er seinen Angaben zufolge noch Astrazeneca-Dosen verimpft, dann kam die Anweisung: bitte sofort einstellen!

Am Montag nach 16 Uhr habe man den angereisten Impflingen jüngerer Jahrgänge noch ersatzweise Impfstoff von Biontech in den Arm spritzen können, da man sie nicht unverrichteter Dinge habe nach Hause schicken wollen, so Steinmetz. Ab Dienstag, 16. März griffen dann aber schon die Absagen, die man per E-Mail den Menschen mit bereits fest vereinbarten Termin mitteilen musste. Peter Renzel sprach von erschütternden E-Mails, die er auf die Absage erhalten habe. Wer sich bereits auf die Impfung gefreut habe, sei nun verständlicherweise tief enttäuscht. Betroffen von den Absagen sind auch zahlreiche Sozial-Einrichtungen, etwa Behindertenwerkstätten.

Die Hälfte des in Essen verwendeten Impfstoffs kommt von Astrazeneca

Astrazeneca ist im Essener Impfzentrum das zu 50 Prozent verimpfte Vakzin, die anderen 50 Prozent entfallen auf das Vakzin von Biontech. Das erklärt, weshalb es unmöglich ist, vorerst das volle Programm zu fahren. Neben den Über-80-Jährigen können aber auch 450 Essener mit einer Impfung rechnen, die im Rahmen einer Einzelfallentscheidung eine vorgezogene Impfzusage erhielten, etwa weil sie unter einer schweren Vorerkrankung leiden. Auch sie bekommen Biontech gespritzt. Insgesamt hat die Stadt bisher 2200 Anträge auf Einzelfallentscheidung erhalten. Diese würden nun nach und nach abgearbeitet, so Renzel.

Impfarzt Steinmetz erklärte, aus seiner Sicht sei das Aussetzen des Impfstoffs eine weit übertriebene Maßnahme. „Ich bin natürlich Praktiker und kein Forscher, aber die Erfahrungen mit Astrazeneca waren im Essener Impfzentrum durchweg so, dass man sich keine gesundheitlichen Sorgen machen musste.“ Sicherlich habe es hin und wieder impftypische Reaktionen gegeben, doch seien diese zu erwarten gewesen und jedenfalls nicht bedrohlich oder gar lebensgefährlich.

Viele Krankmeldungen in Essener Kindertagesstätten

Tatsächlich gab es am Montag Berichte aus den Essener Kindertagesstätten, wonach sich viele Erzieherinnen und Erzieher krank gemeldet hätten, die am Wochenende ihre Impfung erhalten hatten. Auch in anderen, bereits geimpften Berufsgruppen – etwa unter Polizisten und Feuerwehrleuten – war vielfach über schwere Krankheitsgefühle geklagt worden. Die betraf aber nicht nur den Impfstoff von Astrazeneca, sondern auch jenen von BionTech.

Während die geplanten Astrazenecca-Impfungen in dieser Woche und bis einschließlich Sonntag nach Auskunft von Peter Renzel auf jeden Fall ausfallen werden, gibt es für die Impfungen, die in der nächsten Woche ab 22. März geplant waren und ebenfalls vorsichtshalber abgesagt sind, noch einen Hoffnungsschimmer: Am Donnerstag tage die Europäische Arzneimittelagentur und werde sich noch einmal über das Astrazeneca-Thema beugen. Sollte dann doch grünes Licht gegeben werden, könne man die Absagen teilweise wieder zurücknehmen. Aber das sei derzeit nicht absehbar.

„Wir riskieren Corona-Erkrankungen, die es ohne Aussetzung nicht gegeben hätte“

Für Impfarzt Stefan Steinmetz steht jedenfalls fest, dass der gesundheitliche Schaden durch das Verschieben der Impfung weit größer ist als die wenigen Fälle von Thrombose unter den Impflingen. Europaweit habe man fünf Millionen Menschen mit Astrazeneca geimpft, rund 30 Erkrankte habe es gegeben und ob sie mit der Impfung zusammenhingen sei nicht einmal sicher. „Wir riskieren nun Corona-Infektionen, die es ohne diese Aussetzung nicht mehr gegeben hätte.“ Das sei niederschmetternd.

Auch Renzel zufolge wird es schwierig sein, dass am Montag zerstörte Vertrauen wieder aufzubauen. „Wenn überhaupt geht das nur mit absoluter Transparenz.“