Essen. Timm Rautert zählt zu den bedeutenden Fotografen und lebt schon lange in Essen. Warum ihm das Museum Folkwang nun erst eine Retrospektive widmet.

Es wäre besonders bitter gewesen, wenn auch diese Ausstellung dem Corona-Lockdown ganz zum Opfer gefallen wäre, „hier in Essen, wo ich seit fast 60 Jahren wohne“, sagt Timm Rautert. Und hier im Museum Folkwang, wo sich Ute Eskildsen, seine langjährige Lebensgefährtin und längst legendäre Folkwang-Fotochefin jahrzehntelang bis zu ihrer Pensionierung 2015 geweigert hat, ihrem Liebsten eine Ausstellung zu widmen – sie wusste, dass das immer ein Gschmäckle haben würde, auch wenn Rauterts Rang als einer der größten deutschen Fotografen republikweit unumstritten war.

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Nun aber rollt das Folkwang Timm Rautert den ganz großen roten Teppich aus, mit einer grandiosen Retrospektive auf sein Lebenswerk – die schon seit Anfang Februar auf Besucher wartet. Vor der nun anstehenden Öffnung von Museum und Ausstellung sprachen Martina Schürmann und Jens Dirksen mit Timm Rautert, unter anderem über seine frühe Zeit an der Folkwang-Hochschule ab 1966.

Timm Rautert, der Bildjournalist und Porträtist, Hochschullehrer und Grundlagenforscher

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In verschiedenen Sektionen begleitet die Ausstellung Rauterts Weg vom Otto-Steinert-Schüler zum viel gefragten Bildjournalisten, Porträtisten, Hochschullehrer und Grundlagenforscher in eigener Sache. „Die Leben der Fotografie“ heißt folgerichtig die Schau, die Timm Rautert über viele Monate gemeinsam mit dem Folkwang-Team unter Leitung von Foto-Chef Thomas Seelig konzipiert hat. Auch wenn der fast 80-jährige Rautert den gemeinsamen Rundgang durch die Ausstellung mit den Worten einleitet. „Na, ich hab hier nur die Bilder gemacht.“

Herr Rautert, gleich am Anfang hängen umwerfende Bilder aus Ihren ersten Semestern, die so gar nicht nach Studenten-Arbeiten aussehen. Sie durften ja auch schon nach zwei Jahren ihren Professor Otto Steinert porträtieren.

Die höchste Auszeichnung war immer, wenn Steinert sagte: „Mach es groß!“ Das war damals das Format 60 x 50 Zentimeter, die nur fast so exzellenten Bilder bekamen immerhin noch 30 x 40. Und mit Steinert war nicht zu verhandeln, er war sehr bestimmt in seinem Urteil.

Timm Rautert, Selbst mit U. E., 1969.
Timm Rautert, Selbst mit U. E., 1969. © Museum Folkwang | Timm Rautert

Das Material hat damals die Folkwangschule gestellt?

Nichts da, wir haben alles selbst bezahlt.

Steinert hätte Sie aber fast mal rausgeschmissen.

Ja, weil ich keine Lust auf seine Standard-Aufgaben hatte, Gegenstände zu fotografieren wie ein schwarzes Bakelit-Telefon auf schwarzem Hintergrund, eine Münze, ein Glas Wasser…

Gar nicht so leichte Aufgaben, wenn man sie ernst nimmt.

Ja, Bernd Becher wollte wissen, wo in der Variation des Typus die Ähnlichkeit liegt, Steinert wollte dagegen verschiedene Erscheinungsformen des Gegenstandes mit Mitteln der Fotografie entdecken. Aber ich war mehr am Leben interessiert. Steinert hat dann gesagt: Rautert - also, wir mussten ihn siezen und mit „Herr Professor“ ansprechen, er hat uns geduzt, mit Nachnamen - Rautert, hat er gesagt, Du bist begabt, aber faul!

Stimmt aber gar nicht, wenn man diese Ausstellung hier sieht.

Genau. Deshalb habe ich die Aufgaben ja dann doch gemacht.

„Rautert, hat er gesagt, Du bist begabt, aber faul!“

Steinert war eine Reibfläche für Sie.

Unbedingt. Und ich bin daran gewachsen. Sehen Sie, wenn Ihnen einer immer nur „Ja“ sagt und „Das ist schön“, dann lernen Sie doch nichts, dann (er breitet die Arme weit aus und geht leicht in die Knie) verpufft es doch!

Hommage zum 80.

Die Ausstellung „Timm Rautert und die Leben der Fotografie“ ist ab dem 11. März im Museum Folkwang zu sehen. Der Besuch ist nur mit Voranmeldung möglich. Zeitfenster-Ticket können ab dem 10. März über den Online-Shop des Museums gebucht werden: museum-folkwang.ticketfritz.de.Der großartige Katalog zur Ausstellung ist im Steidl-Verlag erschienen.Timm Rautert lebt und arbeitet heute in Essen und Berlin. Im September feiert er seinen 80. Geburtstag.

Sie sind 1993 dann selbst Hochschullehrer geworden, in Leipzig. Waren Sie als Lehrer ähnlich wie Steinert?

Ich war höflicher. Ich habe versucht, genauso konsequent zu sein wie er. Mir war wichtig, sagen zu können: Wenn Ihr hier rausgeht, seid Ihr gut ausgebildete Fotografen und könnt aufrecht gehen. Sie durften alles machen – sie mussten mir nur erklären können, warum sie das machten.

Können Sie uns denn erklären, warum Sie eigene Negative einer Serie auseinandergeschnitten und mit Tesafilm schräg und übereinander zusammengeklebt haben?

Ich wollte wissen: Warum wird ein Bild ikonisch und das andere nicht?

Aus der Serie „Deutsche in Uniform“. Liane Schneider, 33 Jahre, Ground-Hostess, Deutsche Lufhansa, 1974.
Aus der Serie „Deutsche in Uniform“. Liane Schneider, 33 Jahre, Ground-Hostess, Deutsche Lufhansa, 1974. © Museum Folkwang | Timm Rautert

Ihre Serie „Deutsche in Uniform“ von 1974 erinnert aber weniger an Otto Steinert als an August Sanders „Menschen des 20. Jahrhunderts“.

Nun ja, Steinert hat uns immer genervt mit August Sander, und wir haben dann immer gesagt: Das ist doch schon so lang her! Aber man muss sagen, Sander ist schon das Beste, was es in Deutschland an Fotografie gibt. Ich habe die „Deutschen in Uniform“ dann aber als Reaktion auf Steinert in Farbe fotografiert, nur – anders als bei Sander – die Menschen, außerhalb ihrer Umgebung, im Studio. Hier im Museum hängen aber auch schwarz-weiße Aufnahmen dieser Serie. Die habe ich vorab gemacht, damit die Leute Vertrauen zu mir fassten, bevor ich zu den Farbaufnahmen übergegangen bin. Ich dachte, die Schwarzweiß-Aufnahmen wären verloren, aber ich arbeite gerade mein Archiv auf und da hat eine Mitarbeiterin einen Karton gefunden, da waren sie doch drin!

Sie kamen ja 1966 als ausgebildeter Plakatmaler nach Essen. Lag da nicht ein Malerei-Studium nahe?

Ja, ich habe ja große Kinoplakate gemalt, die würde ich eigentlich gern mal wiedersehen. Und ich hatte ja auch die Sommerkurse von Oskar Kokoschka in Salzburg besucht und wollte das wohl auch machen. Aber mir kam die Zeit dazwischen, Fotografie ist einfach DAS Medium des 20. Jahrhunderts. In der Fotografie gibt es verschiedene Gebrauchsweisen. Und in der Malerei nicht, da gibt es nur die Kunst.

Aber Sie sagen, Sie fotografieren Menschen sehr schnell?

Ja, ich möchte den Leuten nicht auf den Geist gehen. Ich möchte sie respektieren.

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