Essen-Horst. Lichtblick in Zeiten von Gastroschließungen: Horster Lokal Zur Krone trotzt in 123 Jahren Geschichte nach Spanischer Grippe der zweiten Pandemie.
Der Kampf um die Konzession, die Zeiten, als mit den Zechenschließungen auch die Gäste ausblieben, und nun Corona: Die Horster Gaststätte „Zur Krone“ hätte längst geschlossen sein können – für immer. Selbst der Abriss stand zur Diskussion. Der heutige Eigentümer Heinrich Kettrup (61) hat sich jedoch entschieden, das Lokal zu erhalten, das seine Vorfahren 1898 eröffneten. Der Rettungsanker war seine Familiengeschichte und damit seine Verbundenheit mit Horst, während zahlreiche Kneipen und Gaststätten im gesamten Stadtgebiet inzwischen verschwunden sind.
Wer heute in der Krone Schnitzel Kray bestellt, erhält Champignons in Rahm als Beilage. Zur Variante Kupferdreh gehören Spiegelei und geschmorte Zwiebeln, zur Horster Spiegelei und gebratener Speck. Die Schnitzelparade führt nicht nur in die Stadtteile, sie dokumentiert auch den Wandel von der klassischen Kneipe zur gut bürgerlichen Gaststätte. Wurden Kumpeln einst Frikadellen und Mettbrötchen zum Bier über die Theke gereicht, gehören nun auch Schweinefilet, Salate und Burger zu den Gerichten – derzeit nur zur Abholung.
Zwei Traditionslokale in direkter Nachbarschaft
Blickt Heinrich Kettrup zurück, dann erinnert er sich an seine Kindheit, als er in der Gaststätte mit dem Gokart um dem Billardtisch fuhr und die Familie im Haus nebenan wohnte. Die Großeltern betrieben das Lokal, seine Mutter packte mit an. Das liegt an der Dahlhauser Straße, gleich gegenüber befindet sich das Restaurant Hannappel, das inzwischen zur Sternegastronomie zählt. „Das ergänzt sich gut“, sagt Heinrich Kettrup zu den beiden Horster Traditionslokalen in direkter Nähe.
Als er 2003 die Krone und das Mietshaus erbte, stand der Erhalt beider längst nicht gleich fest. Immerhin war der Investitionsstau gewachsen und bei allen schönen Erinnerungen, „ich bin kein Samariter, es musste auch wirtschaftlich sein“, sagt der 61-Jährige, der Maschinenbau und Wirtschaft studiert und in der Energiewirtschaft gearbeitet hat. Doch dann sanierte er die Häuser nicht nur, sondern entdeckte bei diesen Arbeiten einen zusammengeknüllten Zeitungsartikel von 1892.
Zur Geschichte im Steeler Archiv geforscht
„Die Reise in die eigene Geschichte begann“, sagt er und meint dabei auch die des Stadtteils, in den sein Ur-Ur-Großvater wohl in den 1840er Jahren zuwanderte, wahrscheinlich per Schiff („die Eisenbahn kam 20 Jahre später“), vermutlich, um Arbeit im Bergbau zu finden. Er heiratete 1847 Gertrud Maria Katharina Ruhrmann (die Familie führt bis heute die gleichnamige Konditorei in Horst) und blieb. „Ein Hesse kommt nach Preußen“, hat Heinrich Kettrup diese Passage überschrieben, denn er hat inzwischen im Steeler Archiv geforscht, und jetzt „eine Horster Geschichte“ veröffentlicht.
Heinrich Kettrup berichtet von den Jahrzehnten zwischen 1850 und 1880, als der Bierkonsum in Deutschland von 40 Litern pro Kopf und Jahr sich mehr als verdreifachte. Branntwein wurde höher besteuert, Bier zum sozial höher geschätzten Getränk. Warum diese Entwicklung und der Boom in der Gastronomie auch nach Horst führen: Hier war es wiederum sein Ur-Großvater Theodor Heinrich Kraus, den die wachsenden Einwohnerzahlen in Horst, die Lage seines Grundstücks und der Glaube an leicht verdientes Geld ermutigten, eine Schankwirtschaft betreiben zu wollen. Bis dahin arbeitete er als Bergmann.
Jahrelanger Schriftwechsel mit Behörden bis zur Konzession
Es ist wohl auch seiner Unnachgiebigkeit zu verdanken, dass das Wohn- und Geschäftshaus überhaupt erbaut und die Wirtschaft dann 1898 eröffnet wurde. Denn bis zu diesem Termin erforderte es einen jahrelangen Schriftwechsel mit den Behörden. Theodor Heinrich Kraus scheute sich selbst nicht, mit persönlichen Argumenten wie dem Arbeitsplatz für seinen alkoholkranken, arbeitsunfähigen jüngeren Bruder überzeugen zu wollen.
Die Pächter der Gaststätte „Zur Krone“
Erste Pächter des Lokals „Zur Krone“, Straße 178, waren Metzger Hermann Köhne und seine Frau Edith aus Freisenbruch. Sie betrieben es über 20 Jahre, bevor die Sternbrauerei Carl Funke AG als Pächter bis 2008 folgte. Wirte waren damals von 1984 bis 1991 Klaus Kattenberg, dann die Eheleute Nowacki.Von 1992 bis 98 übernahm Knut Hannappel den Betrieb mit seiner Mutter; 1999 bis 2007 Slobodan Kostic. Ab 2009 erfolgte die Renovierung, 2010 die Wiedereröffnung. Pächter ist nun Edin Smaka. Eigentümer Heinrich Kettrup hat seinen Beitrag als Mitglied des Steeler Archivs im aktuellen Magazin „Stela historica“ (80 Seiten, 6 Euro) veröffentlicht. Erhältlich ist das im Archiv (Kontakt: 01577 - 3983425), im lokalen Buchhandel oder online: www.steeler-archiv.de.
Schließlich erkannte auch der Kreisausschuss das Bedürfnis der Gemeinde Horst nach einer Schankwirtschaft in diesem Bereich an. „Am Ende gewann Theodor Heinrich Kraus im Namen des Königs seinen Rechtsstreit gegen die Polizeiverwaltung in Königssteele und erhielt die Schankkonzession“, hat Heinrich Kettrup über die Anfänge aufgeschrieben. Diesen folgten rasch gut laufende Geschäfte: Es ging „auf Krausberg auf’n Bier“. Durstige Fabrikarbeiter aus dem Eisen- und Hüttenwerk Neu-Schottland, Bergleute aus kleinen Stollenzechen und größeren wie Wohlverwahrt oder Eintracht Tiefbau sowie Tagelöhner tranken das Bier, das aus der Horster Union Brauerei kam. Damals wurde ein Liter für 24 Pfennige verkauft.
Umsatz stieg an den Zahltagen erheblich
Der Umsatz in der Krone verdreifachte sich immer dann auf 120 Mark am Tag, wenn Zahltag auf der Zeche Eiberg, Zeche Eintracht oder im Steinbruch im Breloh anstand. Insgesamt hätten sich die Trinkgewohnheiten damals geändert, hat Henrich Kettrup herausgefunden: „Jetzt wurde mehr getrunken und weniger gesoffen.“ Die Zahl der Schankwirtschaften stieg, sie dienten als Ort für familiäre und kirchliche Feiern, als Zuflucht vor Regen und Kälte, Arbeitsvermittlungsstelle, Lesezimmer, Freizeitzentrum und Versammlungslokal. Sie erhielten eine soziale Rolle als Treffpunkt, auch für Vereine.
So sorgte auch der 1900 eröffnete Saal (150 Gäste passen hinein) der Krone zunächst für Rekorde beim Tagesumsatz, bevor die Umsätze nur zwei Jahre später stagnierten. Mit der Schließung vieler Kleinzechen, den Hochöfen und dem Walzwerk im Stadtteil, blieben auch die Gäste aus, während der Wirt selbst sich leidenschaftlich Pferderennen widmete und hohe Wetteinsätze verspielte. 1908 wurde Theodor Heinrich Kraus tot auf dem Dachboden seiner Schankwirtschaft gefunden. Was seiner Witwe Elisabeth blieb, waren acht gemeinsame Kinder und hohe Schulden.
Spanische Grippe breitete sich aus - drei Töchter starben
Elisabeth Kraus schaffte den Weg aus der Krise, ihre sieben Töchter halfen, bis das Schicksal Anfang der 1920er Jahre erneut zuschlug. Drei Töchter starben. Lungentuberkulose lautete die Todesursache, es könnte aber auch die weltweite Pandemie gewesen sein: Die Spanische Grippe wütete.
Dem schlimmen Verlust in der Familie folgten wenige Jahre später erst zwei Hochzeiten und dann die Phase, als sich in Horst im Umkreis von 1500 Metern gleich 13 Wirtschaften befanden. Die Krone übernahmen schließlich Tochter Wilhelmine und ihr Mann Heinrich Müller. Viele Horster kennen die Großeltern von Heinrich Kettrup, denn diese betrieben die Gaststätte bis ins hohe Alter. Erst nach ihrem Tod 1964 wurde diese verpachtet.
Damit endet zwar die Familientradition in der Krone – nicht aber die des Lokals. Der Enkel ist zuversichtlich, dass dieses eine weitere Pandemie überstehen wird. Nicht zuletzt sind für ihn die Geschichte seiner Familie und die Verbundenheit zum Stadtteil Grund genug, „die Gaststätte und damit auch einen sozialen Treff für Horst zu erhalten“.