Essen. Im Essener Augustinum war kein Impftermin geplant: Dabei sind die 360 Bewohner teils hochbetagt und pflegebedürftig. Es gab Protest - mit Erfolg.

In der Seniorenresidenz Augustinum am Essener Stadtwald ist die Impfbereitschaft groß, gern füllten die Bewohner die nötigen Papiere für den geplanten Impf-Termin vor Ort aus. "Aber kaum waren die Unterlagen abgegeben, wurden sie unterrichtet, dass doch keine Impfung im Haus erfolgt", ärgert sich Frank Dettmer, dessen Schwiegermutter (85) im Augustinum lebt. Die 360 zum Teil hochbetagten, dementen oder pflegebedürftigen Senioren sollten nun einen Termin im städtischen Impfzentrum in der Messe vereinbaren.

"Es ist doch völliger Irrsinn, dass 360 alte Menschen zur Messe fahren, statt sie im Heim zu impfen", ärgert sich Dettmer. Schon die hohe Zahl von Bewohnern rechtfertige eine Impfung vor Ort, meint auch Katharina Schulz-Press. Ihre 93 Jahre alte Mutter, die im Augustinum wohnt, habe seit Beginn der Corona-Pandemie "erhebliche Einschränkungen und Einsamkeit" in Kauf genommen; die Impfung sei für sie und andere mit der Hoffnung auf mehr Kontakte verbunden gewesen. Als "Schlag ins Gesicht" bezeichnet sie daher die Absage des Termins: "Sehr viele der Bewohner sind gar nicht in der Lage, ohne Unterstützung ein Impfzentrum aufzusuchen."

"Eine Jugendherberge sind wir nicht"

In einem Schreiben von Dienstag (19. Januar) erklärt die Leitung des Hauses den Bewohnern, seit Beginn der Pandemie habe das Gesundheitsamt das Augustinum "so behandelt wie sämtliche Alten- und Pflegeheime der Stadt". Daher habe man fest mit dem Besuch eines mobilen Impf-Teams gerechnet. Doch nun habe die Kassenärztliche Vereinigung überraschend mitgeteilt, "dass wir nicht unter das Wohn- und Teilhabe-Gesetz des Landes fallen und somit keinen Anspruch haben, hier im Haus geimpft zu werden".

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Der Brief sorgte bei Senioren und Angehörigen für Unruhe. Seit Wochen werde über die mobile Impfaktion in Alten- und Pflegeheimen berichtet, "und nun erfahren wir, dass wir ausgenommen sind", sagt Bewohnerin Kirsten Helling. Im Augustinum lebten nicht nur fitte, sondern auch pflegebedürftige Menschen; die meisten über 80, 90 Jahre alt, einzelne über 100. Helling resümiert: "Eine Jugendherberge sind wir nicht."

Allerdings zähle das Augustinum eben auch nicht zu den "beschützenden Einrichtungen, deren Bewohner rund um die Uhr durch entsprechendes Fachpersonal versorgt werden müssen". Nur diese Heime seien in der ersten Impfrunde an der Reihe, erklärt Ralph-D. Köhn, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein in Essen. Diese Reihenfolge habe nicht die KV festgelegt, sondern das NRW-Gesundheitsministerium.

"Es sollte nicht der als erster dran sein, der am lautesten schreit"

"Das Augustinum als Seniorenresidenz wird offenbar als eine Wohneinrichtung eingestuft mit Senioren, die alters-oder krankheitsbedingt auch mobilitätseingeschränkt sein mögen, aber eben keine Rund-um-die-Uhr Betreuung durch Pflegefachkräfte benötigen", erklärt Köhn. In solchen Wohnanlagen werde zunächst nicht geimpft, das betreffe auch Wohngruppen für behinderte Menschen. "Letztlich geht es um den Status der Einrichtung, nicht um den Gesundheitszustand der einzelnen Bewohner."

Das führe mintunter zu absurden Situationen, erzählt der Mediziner Dr. Stefan Steinmetz, der im Auftrag der KV die Impf-Aktion in Essen organisiert: So habe er in Heimen mit verschiedenen Wohnbereichen nur die "stationären Bewohner" impfen dürfen, nicht die in ambulant betreuten Wohnungen, wie es sie auch im Augustinum gebe. "Wir müssen so impfen, wie es die Politik vorgibt, nicht so wie wir es für sinnvoll halten." Bei allen (vermeintlichen) Ungerechtigkeiten dürfe es nun aber auch nicht so sein, "dass derjenige zuerst dran ist, der am lautesten schreit".

Happy End: Seniorenresidenz bekommt einen eigenen Impf-Termin

Beim Träger Augustinum, der deutschlandweit Seniorenresidenzen betreibt, wundert man sich halblaut: So habe es in anderen Häusern längst Impf-Termine gegeben, sagt Pressesprecher Matthias Steiner. "Und wer schnell eine hohe Impfquote erreichen will, sollte doch Interesse haben, an einem Standort zu impfen, an dem er viele Menschen erreicht."

Die Einsicht hat sich auch bei der Stadt Essen durchgesetzt, die von den verärgerten Angehörigen informiert wurde. "Wir werden dem Augustinum, wo wir an einem Tag mehr als 300 Über-80-Jährige erreichen, einen eigenen Termin anbieten", verspricht Gesundheitsdezernent Peter Renzel. Gleiches gelte für die Kaiser-Otto-Residenz in Steele. Auch für kleinere Einrichtungen solle es baldmöglichst praktikable Lösungen geben. "Wenn wieder Impfstoff da ist."

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Stadtsprecherin Silke Lenz weist daraufhin, dass es in Essen neben dem Augustinum verschiedene, teils kleinere Einrichtungen gebe, die ebenfalls nicht unter das Wohn- und Teilhabe-Gesetz fallen.

Hier sollen mobile Impf-Teams nun zumindest in den Wohnbereichen impfen, "in denen tatsächlich pflegebedürftige Personen sind und deren Versorgung einer stationären Versorgung ähnelt".

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