Essen-Westviertel. Das Essener Tierheim vermittelt trotz gestiegener Nachfrage während des Lockdowns keine Tiere. Es bietet aber spezielle Führungen an.

Das Albert-Schweitzer-Tierheim kommt bisher gut durch die Pandemie, doch auch das Team an der Grillostraße ist vom Lockdown betroffen: Bis zum 10. Januar werden zunächst keine Tiere vermittelt. Speziell im Katzen- und Kleintierbereich könne der nötige Abstand bei Besichtigungen nach Angaben der Tierschutzlehrerin Sandra Jansen nicht eingehalten werden, Durchlüften sei auch schwierig.

In der Corona-Zeit bleibt deutlich mehr Zeit für Tierheim-Tiere

Zurzeit sind nur 54 Hunde und 90 Katzen an Bord, dazu rund 70 Kleintiere. Das waren zu Spitzenzeiten deutlich mehr. So bleibe mehr Zeit für die Tiere. Ein fester Stamm von rund 30 ehrenamtlichen Gassigehern kommt weiterhin jeden Tag, bringt eigene Leinen mit und nimmt die Hunde am Tor in Empfang. Die vielen neuen Freiwilligen müssen erst warten, bis die Corona-Vorschriften gelockert werden.

Und dann befürchtet Tierheimleiterin Jeanette Gudd einen Welpen-Boom. Der Wunsch, im Homeoffice einen vierbeinigen Begleiter zu haben, verneble wohl einigen Zeitgenossen den Verstand. Mehrfach sei in vollem Ernst angefragt worden, ob man einen Hund bekommen könnte, aber nur für zwei Monate: „Was sollen die Tiere denken, wenn sie plötzlich wieder abgegeben werden?“

Deutlich mehr Nachfragen und deutlich mehr Absagen

So habe es in diesem Jahr zwar bedeutend mehr Nachfragen als üblich gegeben, aber auch viele Absagen seitens des Tierheims. Jeanette Gudd beobachtet: „Die Nachfrage nach Welpen ist sehr hoch.“ Die Leute wollten unbedingt einen Hund und der illegale Welpen-Handel boome. Mit schrecklichen Folgen für die Tiere: „Gerade das Schicksal der Mütter ist ganz besonders schlimm.“ Bei Ebay und ähnlichen Verkaufsplattformen wimmele es nur so von jungen Hunden aus unklarer Quelle.

„Da sehen wir ein Riesenproblem auf uns zukommen.“ Denn wenn diese Hunde in die Pubertät kämen, seien sie durchaus anstrengend. Dann verliere so manche Familie schnell die Lust. Zudem bleibe nach einem Ende des Lockdowns dann doch wieder keine Zeit für das Tier. Der Weg ins Tierheim scheint vorgezeichnet.

Das Virus habe vor Ort dafür gesorgt, dass die Tage der offenen Tür ausfallen mussten. Auch Führungen etwa für Schulklassen und Familien sind derzeit undenkbar. Also haben die Tierschutzlehrerinnen Sandra Jansen und Michèle Klein einen digitalen Rundgang zusammengestellt, zu dem sie jetzt zum ersten Mal eingeladen hatten.

Zoom-Videokonferenz als Tierheimführung

Dafür hatten sie in jedem Winkel des Heims Fotos gemacht, die alle Bereiche und vor allem zahlreiche Tiere porträtieren. In einer Zoom-Videokonferenz stellten sie dann das weitläufige Haus vor.

Dabei wurde deutlich, wie liebevoll im Katzenhaus die Räume gestaltet sind. Die ehrenamtlichen „Katzenstreichler“ dürfen zurzeit nicht hinein. Hier gibt es mutigere Bewohner und schüchterne. So muss man schon genau hinschauen, um die scheue Lilly zu entdecken. Bei Harakiri dagegen ist der Name Programm. Mit sehr ausgeprägtem Charakter wirbelte sie seit ihrer Ankunft alles durcheinander. Harakiri mag nämlich keine anderen Katzen. Menschen im Prinzip schon, was die aber nicht vor heftigen Attacken schützt.

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Bei den Hunden gibt es regelrechte Langschläfer, die sich morgens nur ungern aus ihren Kuscheldecken schälen. Nicht alle Tiere seien glücklich im Heim, berichtet Sandra Jansen: „Es geht ihnen gut hier, aber es ist kein Zuhause. Unser Ben zum Beispiel versteht die Welt nicht mehr.“ Traurig blickt der Golden Retriever in die Kamera. Die Tätigkeit im Tierheim sei deutlich anstrengender, als Außenstehende meinten, erklärt Jansen. Besonders Hundepfleger leisteten harte körperliche Arbeit, was von Praktikanten oft unterschätzt werde. Die hohen Futter-Regale sind bis obenhin gefüllt, was aber nur für ein paar Tage reicht. Michèle Klein erklärte, warum der große Kühlschrank auch Leberwurst enthält: Sie ist das ideale „Versteck“ für zu verabreichende Medikamente.

Wasserverbrauch im Tierheim so wie im Essener Grugabad

Das Heim habe einen Wasserverbrauch wie das Grugabad, eine eigene ärztliche Abteilung und sogar einen voll ausgerüsteten OP. Die Quarantänestation beherberge kranke und operierte Tiere, auch Katzen mit Hautpilzbefall: „Hochgradig ansteckend, auch für Menschen.“ Im Heim landen auch gefundene oder abgegebene Igel, Eichhörnchen, Vogelspinnen und Bartagamen. Ausgewilderte Haustauben kommen stark untergewichtig an und müssen aufgepäppelt werden. Streifenwagen liefern ganze Entenfamilien ab. Papageien werden sehr alt und oft im Erbfall zu einem Problem. Kornnattern waren mal in Mode bei Jugendlichen, jetzt offensichtlich nicht mehr. Ausgesetzte Wasserschildkröten wurden an der Ruhr oder an Seen gefunden. Nach anderthalb informativen und daher kurzweiligen Stunden war der Rundgang beendet.

Tierschutzverein hat 1945 Mitglieder und freut sich über Verstärkung

Der gemeinnützige Tierschutzverein Groß-Essen ist Träger des Albert-Schweitzer-Tierheims. Er hat zurzeit 1945 Mitglieder und würde sich über Zuwachs freuen. Es gibt die Möglichkeit, eine Tierpatenschaft zu übernehmen. Spendenboxen für Tierfutter stehen vor dem Heim an der Grillostraße, aber auch in vielen Geschäften. Normalerweise sammeln die Mitglieder auch bei den tagen der offenen Tür Spenden, diese sind in diesem Jahr ausgefallen. Jeanette Gudd ist aber optimistisch: „Wir müssen uns bei den Essenern bedanken. Sie haben uns nicht vergessen und fleißig gespendet. Das ist phänomenal.“

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