Essen. In Essen ist der befürchtete starke Anstieg der Bedarfsgemeinschaften ausgeblieben. Das Aufatmen könnte jedoch nur von kurzer Dauer sein.
Die Prognosen im Frühjahr sahen düster aus. Zum Anfang der Corona-Krise rechnete das Jobcenter Essen damit, dass in diesem Jahr tausende Haushalte in den Hartz-IV-Bezug fallen würden und damit deutliche Mehrkosten auf den städtischen Haushalt zukommen würden. Doch die Bilanz am Ende des Jahres sieht überraschend anders aus.
So ist die Zahl der so genannten Bedarfsgemeinschaften im Vergleich zum Jahresanfang sogar gesunken. Momentan sind 42.421 Haushalte in Essen auf die staatliche Leistung angewiesen. Im Januar, als noch niemand wirklich ahnte, wie Corona den Arbeitsmarkt belasten würde, waren es noch fast 1000 Bedarfsgemeinschaften mehr.
„Wir sind natürlich sehr froh, dass sich unsere Befürchtungen zunächst nicht bestätigt haben“, sagte Sozialdezernent Peter Renzel, in dessen Zuständigkeit das städtische Jobcenter fällt. Renzel räumte aber zugleich ein, dass Essen dabei stark von den Hilfen des Bundes profitiert hat. Vor allem das verlängerte Kurzarbeitergeld verhindert derzeit, dass viele Menschen ihren Job verlieren. „Wir werden daher sehen, welche Nachhaltigkeit das haben wird“, so Renzel, der bereits ahnt, dass die Bilanz 2021 und 2022 auch anders ausfallen kann – je nachdem, wie die Wirtschaft nach der Krise wieder ans Laufen kommt.
Callcenter und Paketdienstleister boomten im Krisenjahr
Trotz des schwierigen Arbeitsmarktes ist es dem Jobcenter gelungen, 10.600 arbeitslose Männer und Frauen in diesem Jahr in eine sozialversicherungspflichtige Arbeit zu vermitteln. Das sind freilich deutlich weniger als in den wirtschaftlichen Boomjahren zuvor. Dennoch ist Renzel mit dem Ergebnis mehr als zufrieden.
„Wir profitieren dabei auch von der Wirtschaftsstruktur in Essen“, sagte Renzel. So entpuppt sich der Niedergang der industriellen Arbeitsplätze jetzt in der Krise sogar als Vorteil. Denn neben der Veranstaltungsbranche, der Gastronomie war bundesweit besonders der Fertigungsbereich im Frühjahr von Umsatzeinbrüchen und Kurzarbeit betroffen.
Dagegen gelten Dienstleistungsbereiche wie die Logistik oder die Callcenter-Branche als Krisengewinner. Sie sind in Essen stark vertreten und stellten auch in Essen im Jahr 2020 weiter Leute ein. So eröffneten zum Beispiel Amazon an der Pferdebahnstraße sowie der Paketdienstleister GLS neue Logistikcenter in der Stadt mit hunderten Arbeitsplätzen. Damit boten sich vor allem für Arbeitslose ohne Qualifikation – meist Kunden des Jobcenters – neue Jobperspektiven. Aber auch der Gesundheitsbereich, der Einzelhandel – hier vor allem im Lebensmittelhandel – und auch die Baubranche stellten trotz Corona weiter ein.
Krise könnte im Jobcenter Essen mit Zeitverzug ankommen
Ein deutlicher Anstieg der Hartz-IV-Haushalte könnte allerdings im kommenden oder im darauffolgenden Jahr auf das Jobcenter zu kommen. Denn wer arbeitslos wird, bekommt zunächst Arbeitslosengeld I, das wegen Corona derzeit länger als üblich gezahlt wird. Erst wer danach immer noch keinen Job hat, der fällt ins Hartz IV und damit in den Bereich des Jobcenters. „Entscheidend wird sein, wie mit der Krise weiter politisch umgegangen wird und wie lange der Atem in den betroffenen Branchen noch reichen wird.“ Sorgen bereiten ihm dabei besonders die Kulturszene, die Veranstalter- und die Reisebranche.