Essen. Kornelia Vossebein hat die Zeche Carl nach der Insolvenz aus der Krise geführt. Nachfolger Marcus Kalbitzer plant nun für die Zeit nach Corona.

Auferstanden aus Ruinen. Das Bild ist der Zeche Carl nicht ganz fremd. 1977 von Jugendlichen aus den baufälligen Gebäuden der ehemaligen Steinkohlen-Zeche gegründet, hat das Altenessener Stadtteilzentrum schon wechselvolle Zeiten erlebt. Als Kornelia Vossebein die Geschäftsführung 2009 übernahm, lag das soziokulturelle Zentrums finanziell am Boden. Die Insolvenz und der anschließende Neuaufbau haben das Haus wieder in ruhiges Fahrwasser gebracht.

Im Corona-Jahr 2020 gibt es mit Marcus Kalbitzer als neuem Geschäftsführer nun einen Neustart. Am 1. Dezember übernimmt er das Amt von Kornelia Vossebein, die als Leiterin des Musik-Projektes „Nica artist development“ an den Kölner Stadtgarten wechselt. Auch wenn die Zäsur diesmal deutlich undramatischer ausfällt, bleibt die Zukunftsgestaltung des vielfältig bespielten Industriedenkmals doch eine Herausforderung.

Hier fand schon Industriekultur statt, als es den Begriff noch gar nicht gab

Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel: Auf der Zeche Carl hat man das schon propagiert, als die meisten Politiker noch mit dem Abriss der alten Zechenanlage liebäugelten und lieber neue Wohnungen statt Kulturzentren planten. „Hier fand Industriekultur statt, als der Begriff noch gar nicht erfunden war“, sagt Marcus Kalbitzer. Der 49-Jährige ist kein Unbekannter auf Carl. Seit 2010 hat er die Neuausrichtung mitgestaltet und als Booker neben der 2015 verstorbenen Lysange van Hall für ein Veranstaltungsprogramm voller Strahlkraft gesorgt. [In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]

Dass er sich im offenen Bewerbungsverfahren durchgesetzt hat, verspricht Kontinuität und einen reibungslosen Wechsel in einer Zeit, in der die Pandemie die Zeche Carl mal wieder auf die Probe stellt. Aber irgendwie gehöre die Veränderung ja gewissermaßen zur DNA eines soziokulturellen Zentrums. „Die Zeche Carl passt sich immer wieder an“, sagt Kornelia Vossebein.

Wie das funktioniert, hat die heute 49-Jährige 2009 erlebt, als die Insolvenz für eine krachende Bruchlandung gesorgt hatte.. „Es war Tabula rasa“, sagt Vossebein, aber auch eine ziemlich einmalige Chance, so ein bedeutendes Zentrum neu aufbauen zu dürfen.“

Damals wurde eine neue Betreibergesellschaft, die „Auf Carl gemeinnützige GmbH“ gegründet und ein runder Tisch eingerichtet, an dem viele ihre Ideen einbringen konnten. Austausch, Partizipation und Vielfalt sind nichts Neues für die Zeche Carl, die schon seit Jahren ein Beispiel dafür ist, wie man stadtteilnah und niederschwellig arbeiten und mit einem hoch professionalisierten Veranstaltungsprogramm trotzdem überregional Strahlkraft entwickeln kann.

Auf der Suche nach neuen Formaten

Beides jedoch kann momentan kaum stattfinden. Corona ist nun mal Gift für einen Ort, der doch dazu da ist, „Menschen zusammenzubringen“, sagt Kalbitzer. Das Kurs- und Workshop-Programm kann nicht stattfinden, Vereine und Initiativen können sich nicht treffen, beliebte Angebote wie der Kinderkleiderflohmarkt, aber auch das Erzählcafé für die Älteren und das Mitmachformat „Open Carl“ für Musiker fallen durch die Pandemie flach. Deshalb müsse man sich überlegen, welche neuen Formate es geben könnte. „Letztlich muss so etwas her wie die Zeche Carl 2.0“, sagt Kalbitzer.

Der Malakowturm auf dem Gelände der Zeche Carl wartet noch auf eine neue Nutzung.
Der Malakowturm auf dem Gelände der Zeche Carl wartet noch auf eine neue Nutzung. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ein Anfang ist gemacht. Schon während des ersten Lockdowns hat die Zeche Carl erste Streaming-Konzerte organisiert . Auch mit dem Open-Air-Programm „Carls Draußensommer“ waren die Altenessener früh dran. Es gibt bereits Nachfragen, wie es mit dem Open-Air-Angebot 2021 weitergeht. „Außenveranstaltungen werden ein großes Thema werden“, glaubt Kalbitzer.

Garten oder Innenhof als Begegnungsorte für kleinteilige Veranstaltungen

Manches werde sich vielleicht auch kleinteiliger gestalten, etwa indem man Garten oder Innenhof als Begegnungsorte anbiete oder noch stärker in den Stadtteil hinein wirke. Die junge Kultur- und Kreativszene im Blick zu haben ist für Kalbitzer dabei genauso wichtig wie außerschulische Bildungsangebote für die Jüngsten und kultureller Teilhabe für die Älteren anzubieten.

Platz ist auf dem etwa elf Hektar großen Zechengelände schließlich genug. Noch bietet das denkmalgeschützte Areal mit seinen verschiedenen Gebäuden wie dem Badehaus, dem benachbarten Maschinenhaus und dem Casino, Entwicklungsmöglichkeiten. Der seit Jahren eingerüstete Malakowturm wartet ebenso auf eine neue Nutzung wie die Grubenschreinerei. Erste Konzepte wurden der Politik im Frühjahr vorgelegt.

Umbau des Malakowturms zur Stadtteilbibliothek bleibt Thema

Zu den reizvollen Perspektiven gehört der Umbau des Malakowturms zur Stadtteilbibliothek. Die Umwidmung des gewaltigen Backsteinturms könnte den Stadtteil Altenessen noch einmal aufwerten und dem Carl-Areal weiteren Schub geben. Dafür müsste noch einmal viel Geld in die Hand genommen werden.

Doch noch weiß niemand, wie sich die Coronakrise langfristig auf die Kulturpolitik auswirkt. Als institutionell geförderte Kultureinrichtung ist man derzeit noch auf der sicheren Seite. Die Erhöhung des städtischen Zuschusses 2019 sei bislang der finanzielle Rettungsanker, „ohne weiß ich nicht, wie wir bislang durch die Krise gekommen wären“, sagt Vossebein. „Unsere Existenz ist aber nicht bedroht.“ Das Auferstehen aus Ruinen haben sie schließlich schon oft genug geprobt.

Startrampe für Herbert Knebel und Kreator

Eine Initiative von Bürgern, Jugendlichen und der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde um Willi Overbeck hat sich ab 1977 für den Erhalt der Zechengebäudes und dessen Nutzung als Kulturzentrum eingesetzt. Ein Jahr später wurde daraus der Verein „Initiative Zentrum Zeche Carl“ . Im Mai 1981 begannen die Bauarbeiten am Casino – alle Aktivisten packten kräftig mit an.

Die Zeche Carl war in den 80er Jahren nicht nur ein Treffpunkt für die Punkerszene im Ruhrgebiet, sondern auch Startrampe für Künstler-Karrieren . So fand die legendäre Trash-Metal-Band „Kreator“ in der Zeche Carl einen ersten Probenraum. Auch der Kabarettist Uwe Lyko alias Herbert Knebel und der Gitarrist Rafael Cortés starteten in der Zeche Carl.