Essen. Im Krupp-Krankenhaus sind Ärzte verpflichtet, genau zu erfragen, wie weit Therapie gehen soll. Intensivbetten sollen nicht falsch belegt werden.

Für Krankenhausärzte und anderes medizinisches Personal wäre es der Alptraum schlechthin: In der Corona-Krise Patienten nicht behandeln zu können, weil alle Betten belegt, alle Medizintechnik in Gebrauch und die Pflegekräfte ausgelastet sind. Die so genannte „Triage“, die vorrangige Behandlung von Menschen, die eine bessere Heilungschance haben zulasten anderer, wäre dann unvermeidbar. Am Alfried-Krupp-Krankenhaus will man eine solche Situation vermeiden – mit Hilfe der Patienten. „Sie und ihre Angehörigen sollen schon früh erklären, was sie im Ernstfall an Intensivmedizin möchten und vor allem, was nicht“, sagt Prof. Rolf Diehl, Vorsitzender der Ethik-Kommission im Krupp-Krankenhaus. [In unserem lokalen Newsletter berichten wir jeden Abend aus Essen. Den Essen-Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen.]

Verbindlicher Appell an die Intensivmediziner im Krupp-Krankenhaus

An alle intensivmedizinisch arbeitenden Ärzte im Krupp-Krankenhaus geht daher der schriftlich festgehaltene und verbindliche Appell, bei potenziellen Intensivpatienten den Willen frühzeitig im Gespräch zu erfragen, und zwar schon dann, wenn die Menschen noch auf der Normalstation liegen, aber ihr Zustand sich zu verschlechtern droht.

Rolf Diehl, Vorsitzender des Ethikkomitees des Alfried Krupp-Krankenhauses.
Rolf Diehl, Vorsitzender des Ethikkomitees des Alfried Krupp-Krankenhauses. © AKS

„Viel mehr Menschen als man glaubt, sagen: Bestimmte lebensverlängernde Behandlungen will ich nicht“, sagt Rolf Diehl. Längst nicht nur betagte Senioren, sondern auch jüngere Leute hätten in diesem Punkt klare und oftmals reduzierte Vorstellungen, die das Krankenhaus aber rechtzeitig wissen müsse, um entsprechend handeln zu können.

Die Angst vor der Intensivmedizin sei in vielen Fällen durchaus verständlich . Wer über 80 Jahre alt ist, gravierende Vorerkrankungen etwa der Lunge oder des Herz-Kreislauf-Systems mitbringt, könne eine lange Beatmung im Falle einer Corona-Infektion nur schwer überleben. Und selbst wer es mit Müh und Not schafft, sei danach oft ein Pflegefall. „Man darf sich das nicht so vorstellen, als erwache man aus einem Dornröschenschlaf und alles ist wieder gut“, sagt Diehl.

Wer Maximaltherapie will, bekomme sie auch, niemand werde zum Verzicht gedrängt

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, betont Diehl: „Wir drängen niemanden, wer die Maximaltherapie will, bekommt sie selbstverständlich.“ Dennoch steckt hinter der Initiative ein nüchterner, aber nachvollziehbarer Gedanke: Es wäre fatal, wenn Patienten die Intensivbetten blockieren, obwohl sie gar nicht in dieser weitgehenden Form behandelt werden wollen – aus Gründen, die es dann zu respektieren gilt.

Dass eine solche Lage in den nächsten Monaten eintreten kann, hält Diehl für durchaus möglich . „Schon jetzt ist ein Großteil der Intensivbetten im Krupp-Krankenhaus belegt.“ Die Lage sei zwar noch nicht bedrohlich, aber sie könne es werden – je nachdem, wie sich die Pandemie im Winter entwickelt. Wobei man sehr komplizierte Beatmungsfälle an das Universitätsklinikum überweist, das dafür besser gerüstet ist. Die klassische Beatmung, die ebenfalls eine wochenlange Therapie erfordern kann, wird aber auch im Krupp-Krankenhaus derzeit bei mehreren Corona-Patienten angewendet.

Oft ist das offene Gespräch über Therapiegrenzen mit Tabus belegt

Rund drei Viertel aller Patienten kommen mittlerweile nach den Erfahrungen Diehls mit einer Patientenverfügung. Dennoch sei die Frage, ob und wenn ja, welche Therapiebegrenzungen es im Ernstfall geben soll, häufig mit einem Tabu belegt - und zwar unter Patienten und ihren Angehörigen ebenso wie unter Ärzten.

Allerdings führe kein Weg daran vorbei, den Patientenwillen detailliert vorab zu erfragen, „um im Fall der Ressourcenknappheit schnell konsistente, faire und sowohl medizinisch als auch ethisch gut begründete Entscheidungen treffen zu können“, heißt es in der Regelung für die Ärzte. Eine schwere, aber wichtige Aufgabe für beide Seiten.