Essen. Tora, Davidstern, Mobbing und das Gefühl, beäugt zu werden: Dokumentarfilmer Jan Tenhaven hat Anton aus Essen und anderen jungen Juden zugehört.
Irische Impressionen und „hässliche“ Fotomodels, Putzkräfte in Berlin und Amis im Wahljahr, sie alle hat der in Essen aufgewachsene Filmemacher Jan Tenhaven schon vor der Kamera gehabt. Sein jüngster Film, zu sehen am 9. November im ZDF, widmet sich dem Lebensgefühl junger Juden in Deutschland wie dem 25-jährigen Anton aus Essen, die eine neue Normalität suchen.
Herr Tenhaven, eine dreiviertelstündige Dokumentation ausschließlich mit O-Tönen junger Juden – wie sind Sie auf die Idee zu diesem Film gekommen?
Das ZDF zeigt am 9. November die Tragikomödie über einen jüdischen Jungen, „Das Unwort“, fiktionaler Stoff natürlich. Von mir sollte im Anschluss daran eine Hintergrund-Doku über Antisemitismus laufen, dem diese jungen Leute ausgesetzt sind. Den gibt es, aber bei den Recherchen habe ich gemerkt, dass die jungen Juden total genervt sind, wenn alles immer nur darauf verengt wird. Ich fand total erfrischend, von denen selber zu erfahren, was sie zu sagen haben. Also habe ich vor allem hingehört. Eine Doku nur mit Originaltönen ist zu dieser Sendezeit ja durchaus ungewöhnlich.
„Hey, ich bin Jude!“
Junge Juden im Alter zwischen 12 und 25 Jahren erzählen in dem 45-minütigen Dokumentarfilm des in Essen aufgewachsenen Filmemachers Jan Tenhaven von ihren Alltag – und auch von ihren Erfahrungen mit Antisemismus. Gesendet wird die Doku am 9. November ab 21.40 Uhr im ZDF.
Sie tun das erfrischend offen, so wie Samuel aus Frankfurt: „Die meisten Feiertage im Judentum folgen dem Prinzip: Uns wollte jemand umbringen, hat nicht geklappt, lasst uns was essen.“
Prädikat: sehenswert.
Wie haben Sie Anton aus ihrer Heimatstadt Essen und all die anderen Protagonisten des Films gefunden?
Das hat ein gutes halbes Jahr gedauert: Über Social Media natürlich, über jüdische Gemeinden. Meine Tochter geht – obwohl wir selbst keine Juden sind – in Berlin auf ein jüdisches Gymnasium. Und ich habe Kontakte über den Zentralrat der Juden bekommen. Da gibt es zum Beispiel ein Projekt namens „Meet a Jew“, „Triff einen Juden“, bei dem jüdische Jugendliche ehrenamtlich in Schulen, Unis oder Sportvereine gehen, um von ihrem Alltag zu erzählen.
Sie tun das zumindest in ihrem Film bemerkenswert unbefangen.
Ja, weil sie es leid sind, immer nur dann herausgekramt zu werden, wenn mal wieder ein Anschlag war. Die haben es einfach satt und wollen nicht immer nur auf die Opferrolle und den Holocaust im Dritten Reich reduziert werden.
Obwohl alle durch die Bank schon mal Antisemitismus zu spüren bekommen haben.
Ich will das auch gar nicht kleinreden. Viele hatten auch Angst, vor der Kamera zu erzählen.
Sie waren über lange Zeit mit diesen Jugendlichen im Gespräch, was haben Sie selbst noch über die Juden gelernt, die jungen zumal?
Ich habe gelernt, wie aktiv junges jüdisches Leben heute ist, was viele nicht wissen. Diese jungen Leute wollen eben auch von ihrem Sport erzählen, von Kochkünsten und ihrem ganz normalen Alltag. Das heißt nicht, dass sie einem Schlussstrich das Wort reden. Aber wie einer von ihnen im Film formuliert: „Wir wollen nicht wie ein rohes Ei behandelt werden. Wir sind keine Aliens. Keine exotische Tierart.“ Jeder von uns kennt zwei. drei KZ-Namen. Aber kennen wir auch genauso viele jüdische Feiertage?