Essen. Das Essener Krupp-Krankenhaus wird 150 Jahre alt. Begonnen hat dieses Stück Medizin- und Stadtgeschichte in einem Baracken-Lazarett.

Thomas Budde ist 63 Jahre alt, ärztlicher Direktor des Alfried-Krupp-Krankenhauses – und er hat eine lebenslange Beziehung zu der Klinik mit dem klangvollen Namen. „Das war schon in meiner Kindheit ,das Krupp’.“ Eine Institution also. Als sein Großvater in dem Rüttenscheider Krankenhaus behandelt wurde, sei man an einem „malerischen Pförtnerhäuschen“ vorbei gekommen, erinnert sich der Chefarzt.

1980 dann, da war Budde junger Assistenzarzt in Düsseldorf, nahm er an einer Führung durch den rund 190 Millionen Mark teuren Neubau teil: „Ich habe meinen Vater begleitet, der als Architekt neugierig auf das Krankenhaus war, von dem man damals sagte: ,Das musst Du Dir ansehen’.“ Budde kam erst zum Schauen und später zum Arbeiten, seit 25 Jahren ist er am „Krupp“.

Die Jubiläumsfeier mit dem Minister wurde auf 2021 verschoben

Das Krankenhaus und die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung als seine Trägerin wollten in diesem Herbst ein doppeltes Jubiläum feiern: So sollte an die Einweihung des Neubaus vor 40 Jahren erinnert werden und an die Anfänge des Krankenhauses vor 150 Jahren. Die Stiftung hatte in die Villa Hügel eingeladen, Gesundheitsminister Jens Spahn sein Kommen zugesagt.

Die Station 10 in der chirurgischen Klinik des Essener Krupp-Krankenhauses um 1910.  
Die Station 10 in der chirurgischen Klinik des Essener Krupp-Krankenhauses um 1910.   © Historisches Archiv Krupp, Essen

Coronabedingt muss die Feier auf 2021 verschoben werden, doch völlig unkommentiert wollte man den Stichtag nicht verstreichen lassen. Also blickten nun Chefarzt Budde, die Geschäftsführer Sabine Kisselbach und Günther Flämig sowie Anne Heker, die die Physiotherapie leitet, zurück – zumindest bis 1980.

Bagger zerstörten denkmalwürdiges Ensemble

Es war das Jahr, in dem die Firma Krupp einen Teil der Krankenhaus-Historie recht unsentimental entsorgte: „Die Bagger begannen gestern mit dem Abbruch des 1911 erbauten Arnoldhauses und der übrigen Gebäude des ehemaligen Krupp-Krankenhauses“, hieß es im September ‘80 in der WAZ . Das Veto des Landeskonservators, der das Ensemble am Altenhof für denkmalwürdig hielt, ignorierte man. Malerisches wich Modernität, obwohl Platz für beides gewesen wäre.

Physiotherapeutin Anne Heker hat noch in den alten Gebäuden gearbeitet, als sie vor 41 Jahren ans Krupp-Krankenhaus kam. Sie erinnert sich, wie Patienten mit einem VW-Bulli an den über das Klinikgelände verteilten Häusern abgeholt und zum Turnsaal gebracht wurden. Rustikal auch das Essen: „Da konnten Patienten nicht zwischen Menüs wählen. Wenn’s Kartoffeln, Rotkohl, Frikadellen gab, stand nur eins zur Wahl: ,Viel oder wenig?’“

Eine Halle wie eine Hotellobby

Die Matratzen waren dreiteilig, die Betten unverrückbar: „Wir trugen Patienten in Tragetüchern.“ Anne Heker erlebte den Umzug ins neue Haus als Aufbruch: Hier habe es nicht nur rollbare Betten gegeben, sondern eine so innovative wie großzügige medizinische und bauliche Infrastruktur von Patientenzimmer bis OP-Saal. „Zweibettzimmer mit WC und Dusche waren Standard“, sagt Geschäftsführer Flämig. Ein Vierbettzimmer pro Station habe es allerdings noch gegeben, ergänzt Heker.

„Als ich hier herkam, sprach ganz Essen von der Eingangshalle“, erzählt Geschäftsführerin Sabine Kisselbach. Die dunkle Täfelung habe man damals als elegant empfunden, bestätigt Chefarzt Budde: „Mooreiche. Es sollte nach Hotellobby aussehen, nicht nach Klinik.“ Laut Heker sei es daher nicht gewünscht gewesen, „dass Patienten im Bademantel durch die Halle gehen“.

Um Nachwuchs für die Pflege muss man heute werben

Das Haus habe den Charme der Endsiebziger geatmet, statt sterilem Weiß hätten Braun und Beige dominiert, sagt die Physiotherapeutin. „Das war gemütlich, und die Patienten fühlten sich wohl.“ Zum Glück, schließlich waren Liegezeiten von zwei, drei Wochen nicht unüblich.

Nicht nur die Verweildauer hat sich seither drastisch verkürzt, auch das Image der Pflegeberufe hat gelitten; um Nachwuchs muss auch das Krupp-Krankenhaus heute werben. „Als ich anfing, war ein Beruf im weißen Kittel mit Status verbunden“, erzählt Heker (65), die im Dezember in Ruhestand geht. „Wir empfanden uns als Kruppianer.“

Erstklassige Medizin nicht nur für prominente Patienten wie Steffi Graf

Mit der Krupp-Stiftung gebe es seit jeher eine enge Interaktion, sagt auch Budde. So stellen sich neue Ärzte auf dem Hügel vor. Der 2013 verstorbene erste Vorsitzende des Stiftungskuratoriums, Berthold Beitz, habe mal einen Arzt auf dem Krankenhausflur angesprochen: „Warum grüßen Sie Ihre Arbeitgeber nicht?“ Gemeint waren die Patienten: „Ihre Arbeitgeber liegen hier in den Betten.“ Beitz’ Credo war, dass das Haus erstklassig sein sollte – nicht nur für prominente Patienten wie Tennisstar Steffi Graf.

„Ein hoher medizinischer Standard war bei Krupp immer wichtig“, sagt Flämig. Damit das Haus diesem Anspruch gerecht werden kann, zeigt sich die Stiftung durchaus spendabel. Budde betont: „Wir müssen das operative Geschäft selbst tragen. Dann finanziert die Stiftung Extras“. Oder sie stellt für ein Symposium die Villa Hügel zur Verfügung. Beitz-Nachfolgerin Ursula Gather sieht sich auch mal ein Muster-Patientenzimmer samt Bad an, bevor eine Station saniert wird. Als sie selbst Patientin war, habe sie freilich nicht die Einrichtung am meisten beeindruckt – sondern die Zugewandtheit, die dort gelebt werde.

>> Die drei Ringe stehen für eine besondere Verbindung <<

Es war keine stolze Gründung, sondern ein Provisorium: Doch das vor 150 Jahren im deutsch-französischen Krieg entstandene Baracken-Lazarett wurde rasch zu den Kruppschen Krankenanstalten ausgebaut. Die waren Teil des Sozialsystems, das Alfred Krupp zunächst für seine Werksangehörigen und deren Familien geschaffen hatte – seit 100 Jahren stehen sie der ganzen Essener Bevölkerung zur Verfügung.

Das 1870/71 errichtete Baracken-Lazarett an der Hoffnungs-/Lazarettstraße in Essen bildete den Grundstein für die Kruppschen Krankenanstalten.
Das 1870/71 errichtete Baracken-Lazarett an der Hoffnungs-/Lazarettstraße in Essen bildete den Grundstein für die Kruppschen Krankenanstalten. © Historisches Archiv Krupp, Essen

Die Anstalten heißen heute Alfried-Krupp-Krankenhaus und haben neben dem Standort in Rüttenscheid einen zweiten in Steele. Träger ist seit 1971 nicht mehr das Unternehmen, sondern die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Kein bloßer Zweckbund, wie Stiftungsvorstand Thomas Kempf betont. „Die Verbindung zwischen dem Krankenhaus und der Stiftung als alleiniger Gesellschafterin ist eine besondere. Sichtbares Symbol dafür ist die weiße Fahne mit den drei Ringen, die nur hier und am Krankenhaus weht.“

Ein Versprechen in der Satzung

Ein Symbol und ein Versprechen: Als größte Aktionärin des heutigen Thyssen-Krupp-Konzerns verwendet die Stiftung die ihr zufließenden Erträge ausschließlich für gemeinnützige Zwecke. Fördert etwa Bildung, Kultur, Sport – und Gesundheit. „Wir sind nicht nur Teil einer langen Tradition, die mit der Gründung der Kruppschen Krankenanstalten durch die Eigentümerfamilie begann“, erklärt die Vorsitzende des Kuratoriums, Ursula Gather. „Die Stiftung hat die Gesundheit auch als einen Satzungszweck festgeschrieben und damit als feste Säule der Fördertätigkeit etabliert.“

Fototermin in der Krupp-Stiftung: Ursula Gather, Vorsitzende des Kuratoriums, und Thomas Kempf, Vorstand der Stiftung.
Fototermin in der Krupp-Stiftung: Ursula Gather, Vorsitzende des Kuratoriums, und Thomas Kempf, Vorstand der Stiftung. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Seit 1980 flossen Fördermittel in Höhe von gut 150 Millionen Euro in das Krupp-Krankenhaus. Man solle nun jedoch nicht glauben, dass das Krankenhaus das Geld mit vollen Händen ausgeben könne. „Die Krupp-Stiftung ist gemeinnützig und das Krankenhaus ist es auch. Es muss aber aus eigener Kraft wirtschaftlich arbeiten, Investitionen stemmen und sich weiterentwickeln“, betont Gather. „Wir ermöglichen dann darüber hinaus immer wieder besondere Projekte, von der Verbesserung der Patientenzimmer bis zur Anschaffung des Da Vinci-Operationsroboters im Jahr 2008.“

Mittel für neue Stationen standen schon bereit

Von dem in der Urologie eingesetzten Roboter gab es im Jahr 2011 bundesweit lediglich 52 Stück; das Krupp-Krankenhaus gehört hier also zu den Pionieren. „Wir wollen allen unseren Patienten eine gute, menschliche Versorgung und fortschrittliche Medizin zur Verfügung stellen“, sagt Kempf schlicht.

Allerdings sei die Stiftung dabei von der „Schüttungsfähigkeit des Unternehmens“ abhängig. Daher freut sich Ursula Gather, „dass trotz zwei dividendenlosen Jahren die Stationen am Standort Steele aktuell saniert werden, da die Mittel schon bereitgestellt waren.“