Der Polizeibeirat für Essen und Mülheim trifft sich auf Initiative der Grünen zu einer Sondersitzung. „Gründliche Aufklärung“ ist gefordert.

Nazi-Chatgruppen der wohl übelsten Sorte, 30 vom Dienst suspendierte Beamtinnen und Beamte, eine mit dem Behördenleiter verheiratete Extremismus-Beauftragte mit angeblichen Akzeptanzproblemen im Präsidium, drei offene Ermittlungsverfahren nach mutmaßlich unverhältnismäßiger Polizeigewalt, eine Broschüre über Clan-Kriminalität voller vermeintlich rassistischer Stereotype und offensichtliche Sympathiebekundungen gegenüber den rechtsextremen „Steeler Jungs“: Essens Polizeipräsident Frank Richter wird sich mit einer ganzen Reihe von unangenehmen Vorhalten konfrontiert sehen, wenn der Polizeibeirat für Essen und Mülheim am Dienstag auf Initiative der Grünen-Fraktion zu einer Sondersitzung zusammenkommt.

Nach Bekanntwerden der Nazi-Chats, die Innenminister Herbert Reul gar als „Schande für die NRW-Polizei“ bezeichnet hat, will Fraktionschefin Hiltrud Schmutzler-Jäger nicht einfach zur kommunalpolitischen Tagesordnung übergehen: „Eine gründliche Aufklärung und Aufarbeitung der rechtsextremistischen Chat-Gruppen von Polizistinnen und Polizisten im Polizeipräsidium Essen ist sehr wichtig, damit das Vertrauen in die Polizei nicht verloren geht“, macht die Essener Grünen-Politikerin deutlich: Alle Menschen müssten unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder Migrationsgeschichte darauf vertrauen können, dass die Polizei für ihre Sicherheit sorge.

Auch wenn die Zuständigkeit für die Polizei beim Land liegt und die Staatsanwaltschaften in Essen und Duisburg die strafrechtliche Ermittlungshoheit innehaben, „hat auch die Kommunalpolitik ein Anrecht darauf, gut über die Aufklärungsarbeit der Sonderinspektion im Polizeipräsidium Essen informiert zu werden“, ist Schmutzler-Jäger überzeugt, die sich in der nicht öffentlichen Sitzung des Gremiums Antworten auf einen ganzen Katalog von Fragen erhofft.

Darüber hinaus setzen sich die Grünen im Rat der Stadt für eine unabhängige Ombudsstelle außerhalb des Präsidiums ein, an die sich Beamte mit Hinweisen auf nicht dienstkonforme Vorgänge wenden können, „ohne persönliche Repressionen befürchten zu müssen“, so Schmutzler-Jäger. Vor fast drei Wochen hatte Innenminister Herbert Reul im Beisein des Essener Polizeipräsidenten Frank Richter darüber informiert, dass Polizistinnen und Polizisten fast ausschließlich einer Mülheimer Dienstgruppe über Jahre Bilder und Nachrichten mit rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen und flüchtlingsfeindlichen Inhalten in privaten Chatgruppen geteilt oder auch nur empfangen, dann aber nicht gemeldet haben sollen.

Nach wie vor ist unklar, wer in welcher Position und in welchem Umfang rechte Inhalte gepostet hat, welche mutmaßlichen Vergehen strafrechtlich relevant oder bereits verjährt sind und welche disziplinarrechtlichen Konsequenzen je nach Schwere von Dienstvergehen in jedem Einzelfall eingeleitet werden müssen.

Wie berichtet, soll es Beschuldigte mit einer Zuwanderungsgeschichte oder einer Schwarzen als Ehefrau geben, und der Mülheimer Dienstgruppenleiter aus Kettwig, den Reul besonders herausgestellt hat, will den in den inkriminierten Fällen als Mitteilungskanal benutzten Messenger-Dienst „WhatsApp“ nach Informationen dieser Zeitung seit drei Jahren nicht mehr genutzt haben.

Vermutlich werden auf der Sondersitzung des Polizeibeirats aber auch die Vorwürfe des Ex-Staatsanwalts Bernd Schmalhausen eine Rolle spielen, der eine „hohe Gewaltbereitschaft von Polizisten“ und einen „offen rassistischen Ton“ auf der Innenstadtwache beklagt hatte.

Von Frank Richter wird die versammelte Politikerschar dann vermutlich auch erfahren, dass er über seinen Rechtsanwalt inzwischen juristische Schritte eingeleitet hat. Schmalhausen wird zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert, bestätigte Polizeisprecher Thomas Weise, weil er behauptet habe, der Polizeipräsident belüge die Öffentlichkeit.