Essen. Daniel Kerekeš ist Spitzenkandidat der Essener Linken bei der Kommunalwahl. Der 33-Jährige zieht das Räte-System dem Parlamentarismus vor.
Neue Namen, neue Gesichter – die Essener Linke geht auf den vorderen Plätzen ihrer Ratsliste mit einer komplett neuen Mannschaft in die Kommunalwahl. Ganz oben steht Daniel Kerekeš (33), Sprecher des Essener Kreisverbandes, Bewerber für das Amt des Oberbürgermeisters, Spitzenkandidat für den Rat der Stadt und nach eigenen Worten Vertreter des linken Spektrums seiner Partei: „Ich bin Marxist“. Hoppla, was ist das denn für einer?
„Das kommunistische Manifest“ von Karl Marx zählte früher einmal zur linken Standardlektüre. Zumindest hatte es seinen festen Platz im Bücherregal. Daniel Kerekeš hat es tatsächlich gelesen. Ein Oberstufenkurs ins Sozialwissenschaften auf dem Gymnasium daheim in Solingen hatte sein politisches Interesse geweckt.
Daniel Kerekes nennt sich einen Unterstützer des Netzwerkes „Marx 21“
Seit 2007 ist Daniel Kerekeš Mitglied der Linken, „die ersten vier Jahren davon als Karteileiche“, wie er selbst sagt. Inzwischen spielt er eine führende Rolle im Essener Kreisverband. Es gibt Altlinke, die behaupten, Kerekeš und seine Getreuen hätten den Kreisverband okkupiert. Kerekeš bestreitet das, bestätigt aber, dass er ein Unterstützer von „Marx 21“ sei, einem Netzwerk innerhalb der Partei. Verfassungsschützer sprechen von einer „offen extremistischen Struktur“. Das Ziel von „Marx 21“ sei eine kommunistische Gesellschaftsordnung.
Kerekeš spricht von einer „klassenlosen Gesellschaft“. Dass der Weg dorthin, wie die Geschichte des real existierenden Sozialismus gezeigt hat, auf direktem Weg in eine Diktatur mündete, kann seine Überzeugung nicht erschüttern. „Stalinismus“ und „Parteiendiktatur“ lehne er ab, entgegnet Kerekeš. Die parlamentarische Demokratie, in der er sich am 13. September um ein Mandat bewirbt, bezeichnet er als zweitbeste Lösung. Die beste sei eine Art Rätesystem, in dem die Bürger unmittelbar entscheiden.
Die bisherige Ratsfraktion der Linken bevorzugte einen pragmatischen Kurs
Im Rat der Stadt hat die Linke ihre Ideologie vergleichsweise selten nach Außen getragen. Die Fraktion um Sprecherin Gabriele Giesecke und den langjährigen Ratsherrn Wolfgang Freye steuerte in Sachfragen einen eher pragmatischen Kurs. Unter Kerekeš mag sich dies ändern. Die bisherige Fraktion habe „gute Arbeit“ geleistet, lobt der Kreissprecher und Spitzenkandidat, was impliziert: Es geht auch besser.
Kerekeš kündigt an, er wolle den Rat als Bühne nutzen. „Wir müssen die Sprache der Menschen sprechen.“ Man darf gespannt sein. Bei den Wahlergebnissen ist aus linker Sicht jedenfalls reichlich Luft nach oben. Bei der Kommunalwahl 2014 holte die Linke in Essen 5,3 Prozent der Stimmen, bei der Europawahl blieb sie unter fünf Prozent. Für eine Partei, die sich als Sprachrohr der „werktätigen Klasse“ versteht, ist das enttäuschend. Es muss wohl an der werktätigen Klasse liegen. Die SPD kann ein Lied davon singen.
Von der Schwäche der SPD konnte die Linke auch in Essen nicht profitieren
Von der Schwäche der Sozialdemokratie konnte die Linke auch in Essen nicht profitieren. Gerade im Norden der Stadt blieben SPD-Stammwähler den Wahlurnen lieber fern, einige machten ihr Kreuz rechts, bei der AfD. Sozialdemokraten seien im Ruhrgebiet eben häufig strukturkonservativ, sagt Kerekeš. Die klassenlose Gesellschaft steht in SPD-Ortsvereinsversammlungen jedenfalls schon lange nicht mehr ganz oben auf der Tagesordnung.
Für Oliver Kern, den Oberbürgermeisterkandidaten der SPD, hat Kerekeš dennoch nur lobende Worte übrig, auch wenn er sich selbst für den besseren OB hält. Kern gibt sich betont links. Leider sei er in der falschen Partei. „Wir würden ihn mit offenen Armen nehmen.“
Die Linke fordert neue Jobs im öffentlichen Sektor
Ob es nach der Wahl zu einer Umarmung kommt, muss das Wahlergebnis zeigen. Kerekeš will dies von einem „Politikwechsel“ abhängig machen, den seine Partei einfordere. Zu deren programmatischen Forderungen zählen ein wenn möglich kostenloser öffentlicher Personen-Nahverkehr und neue Jobs. Die sollen im öffentlichen Sektor entstehen, bei der Ruhrbahn, den Stadtwerken, bei der EBE. „Leistung muss sich wieder lohnen“, zitiert Kerekeš einen alten Slogan der FDP und fügt hinzu: „Das muss auch für die Reinigungskraft und für den Müllmann gelten“ Arbeitsplätze seien außerdem der Schlüssel für die Integration von Zuwanderern. „Arbeiten will jeder.“
Der Ruf nach mehr Staat – programmatisch will Kerekeš die Linke darauf aber nicht reduzieren lassen. Auch den Mittelstand wolle seine Partei fördern. Warum der Mittelstand das noch nicht erkannt hat und lieber die FDP wählt, kann er nicht erklären. Eigenverantwortung wolle die Linke jedenfalls stärken. Bürger sollen sich mehr einbringen können. Kerekeš fordert „so viele Bürgerentscheide wie möglich“.
Hinterzimmerpolitik und Kungelei lehne er ab. Ein bemerkenswerter Satz für jemanden, von dem es heißt, er verstehe es Mehrheiten zu organisieren. Und es nicht der einzige Satz, der in Erinnerung bleibt: Politik sei für ihn kein Beruf, sondern eine Berufung.
Aktuell lebt Kerekeš allerdings von der Politik. Sein Arbeitsvertrag als Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Niema Movassat läuft im September kommenden Jahres aus, der Oberhausener Linke tritt bei der Bundestagswahl nicht wieder an. Er selbst werde schon etwas Neues finden, sagt Kerekeš gelassen. Vielleicht beendet er sein Studium der Religionswissenschaften und Geschichte. Es steht auf seiner persönlichen To-do-Liste. Die Weltrevolution müsste dann warten.
Mehr Nachrichten aus Essen lesen Sie hier.