Leen Kroetsch tritt für das Sozial-Liberale-Bündnis in Essen zur Kommunalwahl an. Auf Facebook wird sie übelst beleidigt. Das steckt dahinter.

Die Direktkandidatin des Sozial-Liberalen-Bündnisses (SLB) im Kommunalwahlbezirk Kray/Leithe sieht sich seit einigen Tagen in der Facebook-Gruppe „Politischer Dialog in der Stadt Essen“ üblen Beschimpfungen ausgesetzt. Selbst ernannte Satiriker und Mitglieder anderer Parteien – etwa der SPD und der Grünen in Essen – verbreiten einen Bericht über Kroetsch, der ihr enge Beziehungen zur Neonazi-Szene und zur Identitären Bewegung in NRW nachsagt. Kroetsch hat inzwischen Strafanzeigen gestellt.

Sogar als „Nazi-Mutter“ wird die 35-Jährige von Ex-Bürgermeister Hans Peter Leymann-Kurtz beschimpft, der einst bei den Grünen, dann bei den Linken und inzwischen bei der SPD seine politische Heimat gefunden hat.

Hintergrund ist ein Video, das Leen Kroetsch vor zwei Jahren veröffentlichte und das ihr unerwartet bundesweit Schlagzeilen einbrachte. In der Aufnahme spricht die junge Mutter davon, dass ihr Sohn in seiner Kita völlig isoliert sei – weil er Deutscher ist.

„23 Kinder in der Kita-Gruppe verstehen kein Deutsch“

In der Gruppe seien von 25 Kindern nur zwei „deutsch, ohne Migrationshintergrund“, darunter ihr Sohn. Die anderen 23 seien der „deutschen Sprache nicht mächtig“, erzählt Kroetsch. Ihr Sohn verstehe die anderen nicht, finde keinen Anschluss, während die anderen sich „prima unterhalten“. Sie fühle sich als Mensch zweiter Klasse, habe Angst vor der Zukunft und überlege, auszuwandern, „denn deutsche Kinder werden islamisiert, und was dann passiert, möchte ich nicht erleben“. Sie erzählt, sie habe den Kita-Platz einklagen müssen, während die „Eltern vom Mohammed, vom Ali und wie sie alle heißen, nicht klagen mussten“.

Auf Nachfrage unserer Redaktion erklärte die Kita-Leitung damals, dass nur zwei der 25 Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft hätten. Die anderen stammten aus Syrien, Vietnam, Kroatien, der Türkei... Ihre einzige gemeinsame Sprache sei aber Deutsch. Unter ihnen gebe es Flüchtlingskinder, bei denen es zwar mit den Deutschkenntnissen noch hapere, aber die Hälfte der Jungen und Mädchen spreche Deutsch, auch zu Hause.

Währenddessen wurde das Video, das Kroetsch hochgeladen hatte, millionenfach angesehen – fortan erntete die extrovertierte Frau heftige Kritik und große Zustimmung. Alsbald folgte eine Einladung als Rednerin für eine Demonstration der „Mütter gegen Gewalt“ in Gelsenkirchen aufzutreten, die Essenerin nahm an. Ein weiteres Indiz für ihre Kritiker, dass es sich bei Kroetsch um eine Rassistin handelt. Die 35-Jährige beteuert heute: „Ich wusste damals nicht, dass es sich um eine rechtsextreme Bewegung handelt. Ich bin kein Nazi.“

„Kita-Gruppen in Essen müssen durchmischt werden“

Grundsätzlich würde sie heute einiges nicht mehr so formulieren und nicht mehr so pauschalisieren wie in dem fünfminütigen Video 2018, sagt Leen Kroetsch. Das Video selber ist allerdings noch heute online. Aber in der Sache bleibt sie dabei: „Seit mein Sohn in die Kita geht, wurden mir immer wieder unhaltbare Zustände vor Augen geführt. Angesichts des miserablen Betreuungsschlüssels, der fehlenden Kita-Plätze und der in Teilen katastrophalen Sprachförderung aufgrund fehlender Durchmischung, fürchte ich um eine ganze Generation“.

Um aktiv an einer Lösung mitzuwirken, sei sie dem SLB beigetreten. Dass wegen ihres kommunalpolitischen Engagements nun abermals die Nazi-Vorwürfe gegen sie laut würden, zeige deutlich, wie vergiftet die Debattenkultur mitunter inzwischen sei.

Meinungsfreiheit und Nazi-Verunglimpfungen

„Das hohe Gut der freien Meinungsäußerung ist mir wichtig, insbesondere dann, wenn unbequeme, andere Meinungen ins Spiel kommen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das einfache Abladen von Meinungen in politische Schubladen zu rein gar nichts geführt hat außer zu Spaltungen“, gibt sich die 35-Jährige kämpferisch.

Währenddessen lästert man in der Facebook-Gruppe weiter: „Ist doch toll. Wenn man Nazis wählen will, hat man in Essen sogar die Auswahl, welche man gerne hätte. Das muss dieser Meinungspluralismus sein, von dem immer alle reden.“