Essen. Weil er Rekrutinnen belästigte, entließ die Bundeswehr einen Essener. Der Soldat spricht von einem Komplott und zog vors Vorm Verwaltungsgericht
„Null Toleranz bei sexueller Belästigung“ lautet die Devise der Bundeswehr. Folgerichtig wurde ein Zeitsoldat aus Essen noch in der Probezeit fristlos entlassen. Er soll mehreren Rekrutinnen häufig an Brust und Po gefasst, sich zu ihnen in ihre Betten gelegt und sie manchmal auch mit deftigen Sprüchen unterhalb der Gürtellinie bedacht haben.
Gegen den unehrenhaften Rausschmiss wehrte sich der 27-Jährige vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen – erfolglos. Die 20. Kammer, besetzt mit drei Richtern und zwei Richterinnen, wies die Klage zurück. Nach einer Marathonsitzung über zwei volle Tage und der Vernehmung von zwölf Zeuginnen und Zeugen, die aus der ganzen Republik angereist waren, fand das Gericht die Vorwürfe „überwiegend bestätigt“.
Das Ansehen der Bundeswehr hätte Schaden nehmen können, sagt das Gericht
Wie schon die Bundeswehr sah auch das Gericht die Voraussetzungen für eine Entlassung „wegen einer schuldhaften Dienstpflichtverletzung“ als gerechtfertigt an. Wenn die Bundeswehr solche Verfehlungen durchgehen ließe, dann wäre ihr Ansehen in der Bevölkerung ernsthaft gefährdet. Auch die militärische Ordnung nähme Schaden. Eine Armee sei darauf angewiesen, dass die einzelnen Soldatinnen und Soldaten sich völlig vertrauten und gut miteinander harmonierten. Wenn aber ein einzelner Soldat die Ehre und die Rechte seiner Kameradinnen und Kameraden missachte, dann sei das notwendige Vertrauensverhältnis nicht mehr einzuhalten.
Ziel des Klägers war es nicht, wieder Soldat werden zu können. Er hat eine Stelle im Management eines Call Centers bekommen. Er wollte sein Ansehen wiederherstellen und auch eine Entschädigung. Sexuelle Verfehlungen mochte er nicht eingestehen. Er witterte ein vor allem von einer Rekrutin angezetteltes Komplott, das sich aus Gründen der Solidarität unter den Frauen immer mehr hochgeschaukelt habe. Und die Bundeswehr-Verwaltung habe dann ein Exempel statuieren wollen.
Der Soldat galt als netter Kollege – so lange er keinen Alkohol trank
Sein sehr engagierter Anwalt aus Essen bewertete die Entlassung als unverhältnismäßig. Die Behörde hätte erst einmal eine Ermahnung erteilen oder ein Disziplinarverfahren anleiern müssen. Sein Mandant hätte die Chance bekommen müssen, zu erkennen, dass er sich gegenüber Frauen anders verhalten muss.
In der Tat bekundeten mehrere Zeuginnen, dass sie Probleme hätten, einzuschätzen, was eine sexuelle Belästigung ist bzw. wann sie anfängt. Einige betonten, dass sie den Griff an ihren Po nicht gemeldet hätten. Erst als es zur offiziellen Befragung durch Vorgesetzte gekommen sei, hätten sie die Geschehnisse geschildert. Im Übrigen sei der Kläger ein netter Kollege gewesen. Nur nach Alkoholgenuss habe er seine Hormone nicht mehr im Griff gehabt. Und Alkohol spielte nach Dienstende und vor allem an den Wochenenden in der Kaserne eine große Rolle.
In der Kaserne herrschte offenbar eine sehr lockere Atmosphäre
Überhaupt zeigten die vielen Vernehmungen, dass in der Kaserne eine sehr lockere Atmosphäre herrschte. Dazu trug vielleicht auch die Unterbringung bei. Die Zimmer der 17- bis 30-jährigen Frauen und Männer lagen an einem Flur. Da kam es vor, dass Rekruten nur mit Handtuch bekleidet über den Flur huschten, an geöffneten Türen der Frauenstuben vorbei. Während der Feiern und danach hockten und lagen die Rekrutinnen und Rekruten dann schon mal zusammen in den Betten. Erst wenn der Feldwebel nach dem Zapfenstreich um 22 Uhr kam, gab es ein Donnerwetter und alle mussten sich auf ihre Stuben begeben.
Der Kläger will das Urteil nicht hinnehmen. Sein Anwalt muss dazu allerdings erst einmal beim Oberverwaltungsgericht die Zulassung der Berufung durchsetzen, eine ziemlich hohe Hürde. (AZ.: 20 K 5098/18)