Essen. OB Kufen räumt die Themen seiner Herausforderer ab, gerade deshalb sollten Kern (SPD) und Mostofizadeh (Grüne) mehr Biss zeigen. Eine Analyse.
Der Kommunalwahlkampf geht auf die Zielgeraden, doch man kann nicht behaupten, dass in Essen derzeit viel Spannung in der Luft läge. Das gilt zumindest für die alles überlagernde Oberbürgermeisterwahl, in der eine klare Dominanz des Amtsinhabers Thomas Kufen zu beobachten ist. Jene Wechselstimmung, von der Kufen im Herbst 2015 als damaliger Herausforderer so enorm profitierte, ist jetzt nicht einmal im Ansatz zu verspüren. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zunächst: Unter CDU-Anhängern ist Thomas Kufen weithin unumstritten, was selbstverständlicher klingt, als es ist. Man erinnere sich an seinen überdeutlich abgewählten Vorgänger Reinhard Paß, der auch deshalb scheiterte, weil er weite Teile der Essener SPD nicht hinter sich versammeln konnte – und zwar je länger er amtierte, desto weniger.
Geschmeidige CDU macht es für den Amtsinhaber einfacher
Nun müssen starke OB-Persönlichkeiten nicht unbedingt konform gehen mit ihrer Partei, ja oft ist es sogar nützlich, es gerade nicht zu sein. Manche Stadtoberhäupter verbünden sich lieber mit der Bürgerschaft in ihrer ganzen Breite und gehen bewusst als überparteiliche Macher auf Distanz zur eigenen Partei. Das gilt umso mehr, wenn diese sehr negative politische Emotionen in anderen Lagern wecken könnte.
Von der politisch eher geschmeidigen als kantigen Essener CDU ist derlei aber kaum zu befürchten, sodass es für Kufen ein klarer Vorteil ist, seine politische Heimatbasis weitgehend hinter sich zu wissen. Auch weil seine CDU ist wie sie ist, kann Kufen bei Bürgern punkten, die nicht gerade zur Kernklientel der Christdemokratie zählen.
Kufens offen wirkende Persönlichkeit ist sein größter Trumpf und kommt gut an
In erster Linie ist es aber Kufens Persönlichkeit, die offenbar gut ankommt. Der 47-Jährige wirkt umgänglich und zugewandt, ist politisch extrem beweglich und unideologisch und verkörpert jene Modernität, ohne die Christdemokraten heutzutage nichts mehr gewinnen können. Dass er offen schwul lebt, ohne dies verkrampft zu politisieren, passt ins Bild und erschließt ihm weit eher neue Wählerschichten als dass es ältere abstieße.
Die Folge: Häufig hört man Leute fast ein wenig entschuldigend sagen, sie hätten noch nie CDU gewählt, auch nicht bei einer personalisierten Wahl. Doch fänden sie einfach keinen echten Grund, Kufen die Zustimmung zu verweigern. Der OB imitiert hier im Kleinen den Merkel-Effekt: Die Bundeskanzlerin erfährt viel Zuspruch von Menschen, die sich „gefühlsmäßig“ durchaus als links von der Mitte verstehen. Es genügt, dass sie wenig bis nichts tut, was dort sauer aufstoßen könnte und dass sie sich mit ihrem Auftreten und ihrer ganzen Art auch nach links gut verkaufen kann.
OB hat Themen, die ihm gefährlich hätten werden können, klug abgeräumt
Auch Kufen hat frühzeitig Positionen abgeräumt, die eigentlich links von der CDU angesiedelt sind, ihm in der öffentlichen Meinung aber hätten gefährlich werden können. Ein aktuelles Beispiel ist das Modethema Verkehrswende. Kufen setzt die Dinge sicherlich nicht so radikal um, wie es die Grünen und die Fahrrad-Lobby gerne hätten, aber eben doch deutlich entschlossener als man es noch vor kurzem von der CDU erwartet hätte.
Die Essener Autofahrer ließ Kufen im Gegenzug wissen, dass sie ihr aus seiner Sicht falsches Verkehrsverhalten hie und da zu ändern hätten, was ihm von diesen jede Menge Widerspruch eintrug. Dennoch darf der OB hoffen, dass die Stimmen der verärgerten Pkw-Piloten spätestens in der Stichwahl kaum bei einem SPD- oder Grünen-Kandidaten landen werden. Die Kandidaten rechts von ihm braucht er ohnehin nicht ernst zu nehmen, weil sie als chancenlos gelten.
Auch in der Contilia-Krise ließ Kufen die SPD blass aussehen
Mit sicherem Instinkt inszenierte sich das Stadtoberhaupt auch beim Krankenhaus-Drama im Essener Norden, das zur Unzeit kam und das Potenzial hatte, ihm im Wahlkampf zu schaden. In solchen Lagen will der erboste Bürger einen starken und wortgewaltigen OB sehen, selbst dann, wenn die Stadt streng genommen nicht viel machen kann. Denn ihr gehören die zur Schließung vorgesehenen Krankenhäuser nun mal nicht.
Ohne erkennbare Scham nahm Kufen Anleihen bei den politischen Vorstellungen des SPD-OB-Kandidaten Oliver Kern und ließ mehr als nur anklingen, dass notfalls eben die Stadt die Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen im Essener Norden organisieren werde. Ein gewagtes Versprechen, doch da zur selben Zeit Bund, Länder und Kommunen wegen Corona ohnehin mit den Milliarden nur so um sich warfen, wirkte die Ankündigung nicht mal sonderlich bizarr. Jedenfalls war Kufen mitten drin im Spiel, während die etwas müde wirkende Nord-SPD es sogar zuließ, dass neben dem OB auch das „Sozialliberale Bündnis“ SLB unter Führung des früheren SPD-Vizes Karlheinz Endruschat die Protestdynamik an sich riss.
Die Herausforderer bewegen sich bisher überwiegend nur im eigenen Milieu
Was Kufen in solchen Fällen praktiziert, kennt die Politikwissenschaft unter der kompliziert klingenden Bezeichnung „asymmetrische Demobilisierung“. Gemeint ist damit, dem politischen Gegner seine mobilisierenden Konflikt-Themen wegzunehmen, indem man sie sich einfach selbst in weiten Teilen zu eigen macht. Der Preis ist eine etwas langweilige öffentliche Debattenlage, weil die großen Kontroversen fehlen – und genau das ist in Essen zu sehen. Nicht zuletzt dank dieser Strategie ist auch eine Angela Merkel schon sehr lange an der Spitze.
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Trotz seines politischen Talents und des gut funktionierenden Instinkts kann allerdings sogar ein Thomas Kufen nur so gut sein wie die Konkurrenz es zulässt. Und die lässt einiges zu. Oliver Kern (SPD) wie auch Mehrdad Mostofizadeh (Grüne) ist es bislang nicht recht gelungen, über ihre angestammte Anhängerschaft hinaus in der Breite der Stadtgesellschaft Akzente zu setzen – und schon gar nicht jene Wechselstimmung zu erzeugen, ohne die Herausforderer in der Regel eben nicht auskommen.
In der Stadtrats-Wahl wirkt die CDU durchaus schlagbar
Das wird vor allem in den sozialen Netzwerken wie Facebook deutlich, wo sich der Großteil des Wahlkampfs mittlerweile abspielt. Während Kufen hier auf manchmal schon fast penetrante Weise präsent ist und den Amtsbonus ausspielt, wirken Kern und Mostofizadeh wie eingebremst und reduziert auf ihre Leib und Magen-Themen Umwelt (Mostofizadeh) und Soziales (Kern). Manchmal wirkt es so, als würden sie selbst nicht wirklich an ihre Chance glauben. Die Herausforderer bieten jedenfalls kaum Überraschungsmomente, mit denen sie es schaffen könnten, ins Gespräch zu kommen.
Das Wortspiel „Mehrdat macht mobil“, wirkt da ebenso angejahrt und etwas bieder wie der Slogan „Weniger reden, mehr machen“, mit dem Kern eine Differenz zu Kufen aufbauen will. Immerhin: Der klassische Sozialpolitiker Kern hat jüngst die Themen Sicherheit und Ordnung entdeckt, die die SPD häufig der CDU überlässt, obwohl gerade die Menschen in den einfachen Vierteln unter Kriminalität und ordnungspolitischem Laissez-Faire am meisten leiden. In der CDU wurde das genau registriert.
Etwas mehr könnte und sollte da also in den verbleibenden Wochen noch möglich sein, Politik lebt schließlich auch davon, dass ein bisschen Spannung aufkommt. Aber vielleicht genügt es SPD und Grünen auch insgeheim, wenn zumindest die Wahl für den Stadtrat offen ist. Hier immerhin wirkt die CDU durchaus schlagbar.