Essen. OB Kufen hat noch einmal betont, dass er den Beschluss ernst nimmt, das Auto in Essen stark zurückzudrängen. Bisher spielen die Bürger nicht mit.

Politische Beschlüsse mit langen Fristen und entfernten Zielmarken nimmt nicht jeder Bürger immer sofort ernst – umso weniger, wenn sie etwas überambitioniert klingen. Dieses war womöglich so ein Beschluss: Bis zum Jahr 2035 wollen CDU und SPD den Anteil des Autoverkehrs an den in Essen zurückgelegten Wegen mehr als halbieren, das Radfahren soll im Gegenzug enorm steigen und auch beim Öffentlichen Nahverkehr und beim Zufußgehen setzt die Stadt auf starkes Wachstum. Soll sie mal, sagt da mancher, bevor er die Autotür zuschlägt und wie gewohnt losfährt.

Die Politik behält sich vor, die Bürger zu einem anderen Mobilitätsverhalten zu zwingen

Aber Oberbürgermeister Thomas Kufen meint es ernst mit der Verkehrswende, wie er jüngst in einem Gespräch mit dieser Zeitung betonte. Und wie es der Beschluss vorsieht, will Kufen auch nachhelfen, falls die Bürger andere Pläne haben sollten, was ihre persönliche Mobilität betrifft. Im Ratsbeschluss aus dem Jahr 2019 werden die Instrumente klar benannt: „City-Maut, starke Anhebung der Parkgebühren, pauschale Reduzierung von Verkehrs- und Parkflächen“ sollen Autofahrern den rechten Weg weisen.

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Zunächst aber will man es sozusagen im Guten versuchen und Anreize zum Umstieg schaffen: mehr Radwege und Fahrradstraßen, Taktverdichtungen bei Bus und Bahn und möglichst keine kombinierten Rad-/Gehwege mehr wie in Rüttenscheid, die in der Tat eine Zumutung für Fußgänger sind.

Schon dies geht aber einher mit dem Wegfall von Infrastruktur für Autos, auch wenn hier zunächst noch sanftere Salami-Taktik zum Einsatz kommt: Da werden Stellplätze in bester Rüttenscheider Geschäftslage einkassiert, auf der mäßig befahrenen Frankenstraße aus zwei Fahrspuren eine, und am stark frequentierten Cityring soll eine Umweltspur Autos von einem Teil der Fahrbahn verbannen.

Schon jetzt setzt die Stadt auf Repression und Umverteilung, wenn auch noch sachte

In der Summe kommt da einiges zusammen, schon jetzt setzt die Stadt jedenfalls auf Repression und Umverteilung von Straßenraum, ohne dass dies so klar benannt werden soll. Das Auto soll zurückgedrängt werden, als Begleitmusik wird dessen Nutzung von politisch interessierter Seite auch moralisch zur Sünde erklärt. Dass die Zahl schwerer Unfälle ebenso sinkt wie die vom Auto verursachte Luftbelastung, spielt dabei keine Rolle. Das Ziel steht fest.

Es gibt nur einen Schönheitsfehler: Die Bürger spielen bisher nicht mit. Bei eine repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2018 gaben die Essener an, dass für sie das Auto gegenüber der letzten Erhebung 2011 sogar noch etwas öfter das Verkehrsmittel der Wahl ist, nämlich auf 56 Prozent ihrer Wege. Zwar mag heute vor allem durch den Boom bei E-Bikes der Radanteil höher liegen als 2018. Dafür dürfte aber die Nutzung von Bus und Bahn eher geringer ausfallen.

In Essen hat das Auto aufgrund der städtischen Strukturen große Vorteile

Unterm Strich hat das Auto wahrscheinlich keine oder kaum Anteile eingebüßt. Verwundern kann das nicht. Gerade in einer wenig urbanisierten Stadt wie Essen, die mit den klassischen, extrem dicht besiedelten Metropolen nicht zu vergleichen ist, bietet das Auto auf mittleren und längeren Strecken aus vielen Gründen enorme Vorteile.

Die Politiker vor allem in den größeren Parteien könnten natürlich mal überlegen, ob vielleicht etwas mit ihren Beschlüssen nicht stimmt, wenn die Bürger beharrlich anders agieren als sie es sich wünschen. Das gilt, zumal Politiker im Schnitt schließlich auch normale Bürger sind, die sich in ihrem Alltagsverhalten erfahrungsgemäß kaum von anderen unterscheiden und mit offenen Augen durch die Welt gehen sollten. Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört aber, dass genau dieses selbstkritische Überprüfen nicht geschieht.

Mindestens eine Partei glaubt, sie hätte einen erzieherischen Auftrag

Nun ist von einigen Parteien seit langem bekannt, dass sie einen erzieherischen Auftrag zu haben meinen – übrigens nicht nur in Verkehrs- und Umweltfragen. In dieser Wahrnehmung sind Bürger wahlweise zu dumm, zu verbohrt, nicht informiert genug, als dass man ihre Meinungen oder Verhaltensweisen respektieren müsste, selbst wenn diese sogar eine Mehrheit repräsentieren.

Besonders die Grünen sind mit dieser Haltung reich gesegnet, während CDU oder auch SPD der praktischen Alltagsvernunft näherstehen, oder besser gesagt: näherstanden. Denn da scheint, wie nicht nur die Einlassungen des Oberbürgermeisters zeigen, mittlerweile etwas ins Rutschen geraten zu sein.