Essen. Die Deutsch-Libanesin Fadia S. wurde in ihrer Wohnung in Essen festgenommen. Anwohner und Nachbarn sind geschockt, manche sogar verängstigt.
Es ist ein unscheinbares, in die Jahre gekommenes Mehrfamilienhaus an der Schonnebeckhöfe, statt Gardinen hängen an den meisten Fenstern nur Stofffetzen, neben „Max Mustermann“, wie die Klingelschilder verraten, wohnen in zwei Wohnungen auch Angehörige der Familie S. In eine dieser Wohnungen sind am Dienstagmorgen schwer bewaffnete Bundespolizisten eingedrungen und haben Fadia S. festgenommen. Der Vorwurf gegen die deutsche und libanesische Staatsangehörige wiegt schwer: Die fünffache Mutter soll ein Mitglied der barbarischen Terrorvereinigung „Islamischer Staat“ (IS) sein.
Gegen die Beschuldigte, deren Wohnung zeitgleich mit der Festnahme eines mutmaßlichen IS-Unterstützers in Hildesheim durchsucht wurde, lag ein Haftbefehl vor, berichtete die Bundesanwaltschaft, die Fadia S. vorwirft, sich dem IS im Kampf gegen das Regime des syrischen Präsidenten Assad angeschlossen und am Aufbau eines religiös-fundamentalistischen Staates nach den Regeln der Scharia beteiligt zu haben.
Mit vier Kindern in das Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staates“ gereist
Aus den gleichen Gründen hatte der Ehemann der Deutsch-Libanesin, Ahmad S., bereits zu einem früheren Zeitpunkt die Bundesrepublik Deutschland verlassen und sich in das Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staates“ begeben. Um ihm zu folgen, verließ die Frau am 30. April 2015 zusammen mit ihren vier – zum damaligen Zeitpunkt drei, vier, sieben und acht Jahre alten – Kindern die Bundesrepublik Deutschland. Sie reisten zunächst in die Türkei und anschließend weiter in das Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staates“, wie so viele andere europäische Terrorunterstützer.
Spätestens Mitte August 2015, so der Generalbundesanwalt, traf sie mit ihren Kindern bei ihrem Ehemann in ar-Raqqa ein, wo sich Fadia S. dem IS als Mitglied anschloss. Nach ihrer Ankunft bezog die Familie zunächst eine Wohnung und ab März 2017 ein Haus. Die Unterkünfte wurden ihnen als eine Art IS-Besoldung zur Verfügung gestellt. Die vorherigen Bewohner, heißt es seitens der Ermittlungsbehörden, seien vor den Terror-Brigaden geflohen oder von ihnen vertrieben worden.
Fadia S. soll IS-Mitglieder bewirtet und deutsche Frauen betreut haben
Fadia S. nahm im Oktober 2015 „erfolgreich“ an einem Religionskurs der Terroristen teil und beherbergte fortan entsprechend den daraus entstehenden Pflichten andere IS-Mitglieder, die bei ihrem Ehemann zu Besuch waren. Zudem betreute sie andere deutsche Frauen, deren Ehemänner sich im Kampfeinsatz oder in Trainingslagern der Vereinigung befanden.
Ihre Kinder, so die Ermittler, erzog sie im Sinne der radikal-islamistischen Lehre des IS und setzte sie der Willkürherrschaft, ideologischer Indoktrination und Kampfhandlungen aus. Hierdurch bestand die Gefahr, dass der Nachwuchs in seiner körperlichen und seelischen Entwicklung beträchtlichen Schaden nimmt.
Schonnebecker, die aus Angst vor Vergeltung durch Fadias Familie ihre Namen nicht in der Zeitung veröffentlicht wissen wollen, berichten, dass die Deutsch-Libanesin „sehr schlecht“ mit ihren Kindern umgegangen sei. Von einem Kasernenton ist die Rede und von häufigem Geschreie.
Am Dienstagmittag ist es ganz ruhig in dem Haus in Schonnebeck. Augenzeugen berichten, dass die Verwandten der mutmaßlichen IS-Frau, die ebenfalls in dem Gebäude wohnen, abgeholt wurden, nachdem die Bundespolizisten ihren Einsatz beendet hatten. Über die Familie S. traut man sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht so recht zu reden.
Flucht und Rückzug aus Syrien nach Deutschland
Einige Hundert Meter weiter, in einem Geschäft an der Huestraße, versteht ein junger syrischer Flüchtling die Welt nicht mehr. Als er die Berichte liest, dass Fadia S., nachdem der IS immer weitreichendere Gebietsverluste erlitten hatte, Anfang des Jahres 2018 zusammen mit ihren mittlerweile fünf Kindern die Flucht über die Türkei nach Deutschland bestritten hat, kocht Moustafa K. vor Wut.
Er selbst hatte ein paar Jahre zuvor Haus und Hof im Krieg verloren, wie er sagt. Skrupellos seien die Schergen über sein Dorf hergefallen, sein Leben und das seiner Familie habe er nur retten können, indem sie alles zurückließen. „Und diese Frau“, sagt er und beißt sich auf die Unterlippe, „wahrscheinlich bin ich ihr hier jeden Tag über den Weg gelaufen. Ich hoffe, sie bekommt, was sie verdient.“
Zunächst einmal wird Fadia S. auf Anordnung des Generalbundesanwalts nach Karlsruhe geflogen, um dort einem Haftrichter vorgeführt zu werden. Wann es zu einer Gerichtsverhandlung gegen die Essenerin kommt, bleibt abzuwarten. Vor wenigen Wochen erst war ein mutmaßlicher syrischer Terrorist in Frohnhausen festgenommen worden, der vor acht Jahren an der Ermordung eines Oberstleutnants der Regierungstruppen seines Landes beteiligt gewesen sein soll. Sami A. S. gilt den Behörden als Unterstützer der Terror-Miliz Al-Nusra-Front, einem Ableger des Al-Kaida-Netzwerks.
Einen Zusammenhang zwischen den beiden Festnahmen gibt es wohl nicht.
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