Essen. Fast vier Jahrzehnte war Arne Thun der Experte für Essens Straßenbäume. Wer wüsste besser, was der Klimawandel anrichtet.
Sein Leben wäre sicher anders verlaufen, hätte Arne Thun als junger Student der Landschaftspflege auf seine innere Stimme gehört und wäre zum Theater gegangen, wo er als Statist auf der Bühne stand. Nach einem Tritt in den Hintern, den ihm sein Professor noch rechtzeitig verpasste, sollte es später bei kleineren Nebenrollen im Tatort mit Hansjörg Felmy und einigen anderen Fernseh-Produktionen bleiben.
Die Rolle seines Lebens fand Arne Thun bei der Stadt Essen als ausgewiesener Fachmann für Bäume. Nach fast vier Jahrzehnten im Dienst hat er sich mit 65 Jahren jüngst in den Ruhestand verabschiedet.
„Herr der Baumringe“, „Baum-Papst“ - es gäbe viele fantasievolle Bezeichnungen, um die Hauptrolle zu beschreiben, die Arne Thun in seinem Berufsleben gespielt hat. Nach Lehre und Studium sollte er sich ab den frühen 1980er Jahren um den Erhalt und Pflege von Essens Straßenbäumen kümmern.
„Es war Blütezeit der Baumchirurgie“, erinnert sich Thun. Kranke und faule Stellen wurden seinerzeit behandelt wie kariöse Zähne beim Zahnarzt. Dass Bäume über ausgeprägte Selbstheilungskräfte verfügten, das wusste man damals noch nicht. „Wissenschaft und Forschung waren noch nicht soweit.“
Heute haben es Baumpfleger mit Massaria und dem Eschentriebsterben zu tun
Heute haben es Baumpfleger mit Massaria, dem Eschentriebsterben und anderen Erkrankungen zu tun, die es noch nicht gab, als Thun bei der Stadt Essen zum Baumexperten heranwuchs. Der Klimawandel hinterlässt seine Spuren. „Auch Sie sind schuld, genauso wie ich“, hielt Thun Kritikern schon mal entgegen, wenn diese partout nicht akzeptieren wollten, dass ein Baum gefällt werden musste, weil er einfach nicht mehr zu retten war.
Es ist ein sensibles Thema, Arne Thun hat es oft erlebt. Wer es über Jahre gewohnt sei, beim Blick aus dem Fenster auf einen Baum zu schauen, der verspürt einen fast körperlichen Verlust, wenn dieser Baum gefällt wird. Und schließlich haben die Hitzesommer der vergangenen beiden Jahre gezeigt, wie wichtig Bäume für das Stadtklima sind.
Der Aufwand, Straßenbäume zu erhalten ist erheblich, was sich in diesen Tagen an der Ruhrallee beobachten lässt, wo Baumkontrolleure mit Hubwagen im Einsatz sind. Auch um Äste zu entfernen, bevor sie abbrechen und auf die Straße stürzen.
Als eine Kastanie im ersten Stock aus dem Toilettentopf wuchs
Dass die Säge auch am Stamm ansetzt, lasse sich nicht immer vermeiden, bedauert Thun. Er habe sich immer bemüht, das so zu erklären, dass es auch ein Laie nachvollziehen kann. Rechtlich gesehen muss die Stadt für Schäden aufkommen, welche Straßenbäume verursachen. Die Kastanie, deren Wurzeln aus dem Toilettentopf im ersten Geschoss eines Wohnhauses wucherten, gehört sicher zu den kuriosesten Fällen, mit denen es Thun in seinem Berufsleben zu tun hatte. Der schwere Unfall in Bredeney, als eine Kastanie im Sturm zerbrach und auf ein fahrendes Auto krachte, in dem zwei Frauen saßen, zählt zu traurigsten. Die Tochter überlebte schwer verletzt, die Mutter starb später im Koma. Dass der Baum zerbrechen würde, sei nicht vorhersehbar gewesen, urteilte ein Gericht.
Jeder Baum ist anders. „Man muss im Zweifel etwas vorsichtiger sein“, sagt der Experte. Insbesondere dann, wenn Bäume an Kitas, Schulen oder Spielplätzen wachsen. Dass sie in Essen zu schnell mit der Säge bei der Hand seien, wie manche meinen, die sich berufen fühlen, lässt Thun nicht gelten.
Die Stadt Essen sieht Arne Thun im Vergleich zu anderen Kommunen bei der Baumpflege gut aufgestellt. Das ist nötig. Allein die Schäden, die Pfingststurm Ela 2014 anrichtete, würden Pfleger und Kontrolleure noch über Jahre beschäftigen. Doch auch die ehemalige Grüne Hauptstadt könne mehr tun, insbesondere was die Standorte angeht, sagt Thun. So manches Baumbeet sei einfach viel zu klein.
Sein Wissen als Baumexperte wird Arne Thun als Referent weitergeben
Darum wird sich sein Nachfolger bei Grün und Gruga kümmern müssen. Er selbst gründet mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar eine Senioren-WG. Der Umzug von Überruhr in den Essener Norden steht bald an. Im Gartenbauzentrum am Külshammerweg wird Arne Thun sein Wissen als Referent gerne weitergeben, ebenso im „Arbeitskreis Bäume“ der Grünen.
Möglicherweise werde auch beim Aalto-Theater einmal nachfragen, ob sie noch jemand gebrauchen können, sagt Thun. Jemanden als Statist mit Bühnenerfahrung. Vielleicht frei nach Shakespeare im Stück Der Sommernachtsbaum.