Essen. Die erneute Kehrtwende von Contilia entsetzt die Politik. Zumal die beiden Krankenhäuser im Norden schon bis zum Jahresende schließen sollen.
Selten so einig gewesen, und das im heraufziehenden Wahlkampf: Die CDU spricht kopfschüttelnd von einem „Kahlschlag“, die SPD fürchtet die A40 als „Trennlinie für gute Gesundheits-Versorgung“, und was die Grünen augenrollend ein „chaotisches Vorgehen“ nennen, ist für die FDP „unerträgliche Hü-Hott-Politik“. Kein Zweifel: Was Klinik-Betreiber Contilia am Mittwoch als Plan für eine Umgestaltung der Krankenhaus-Landschaft im Essener Norden präsentierte, löst in der Politik Pulsrasen aus. Selbst Oberbürgermeister Thomas Kufen spricht hörbar irritiert davon, er habe „bisher deutlich mehr Fragen als Antworten“, vor allem in diesem einen Punkt: „Wo will die Contilia eigentlich hin?“
Das weiß sie nach eigenem Bekunden offenbar selbst noch nicht im Detail: Die Planungen seien nicht sonderlich weit gediehen, hieß es gestern auf Anfrage. Um konkret zu werden, habe man erst die am Mittwoch erfolgte Grundsatzentscheidung gegen einen Verkauf der katholischen Kliniken gebraucht.
SPD sorgt sich, dass die Gesundheitsversorgung im Norden weiter leidet
Denn es gab wohl einen Kauf-Interessenten für die drei Kliniken im Norden der Stadt – Kenner der Szene tippen auf die private Helios-Gruppe –, dessen Angebot aber abgelehnt wurde. Gründe? Da zeigt man sich bei Contilia zugeknöpft: „Wir haben uns für diesen Weg entschieden, weil wir zusammen mit unseren
Kooperationspartner davon überzeugt sind, dass er für die Gesundheitsversorgung der Menschen im Essener Norden der richtige ist.“
Daran hat die Politik massive Zweifel, wenn auch die Absage an einen möglichen Privateigentümer am Donnerstag größtenteils mit Erleichterung zur Kenntnis genommen wurde. Für Misstrauen sorgt vor allem der Umstand, dass das Klinik-Management „die zweite 180-Grad-Wende (...) innerhalb kürzester Zeit“ hingelegt hat, was etwa SPD-Fraktionschef Ingo Vogel skeptisch werden lässt. Und Oliver Kern, OB-Kandidat der Genossen, malt ein Sorgen-Szenario: „Wir müssen dafür sorgen, dass dieser Umschwung den Norden nicht noch unterversorgter dastehen lässt.“
„Unser Ziel ist es, unsere Maßnahmen bis zum Jahresende umgesetzt zu haben“
Um dies zu verhindern, hat sich auch das Universitätsklinikum als Partner eingeklinkt, doch dessen Pläne für ein „Smart Hospital“-Konzept, das voll auf Digitalisierung und eine ganz neue Herangehensweise in der Gesundheitsversorgung setzt, lässt sich kaum im Schnellschuss umsetzen. Den aber bräuchte es wohl, denn Contilia will ihre Schließungs-Pläne im Eiltempo umsetzen: „Unser Ziel ist es, unsere Maßnahmen bis zum Jahresende umgesetzt zu haben.“
Gerade mal sechs Monate also, um rund 500 Krankenhaus-Betten im Norden der Stadt abzubauen, um einen Großteil umfangreicher Neubaumaßnahmen im Borbecker Philippusstift vorzunehmen und hunderte Mitarbeiter umzusetzen. Am Ende, heißt es, würden von den aktuell 1800 Mitarbeitern der Katholischen Kliniken „zwischen 50 und 100 Menschen im neuen Gefüge keinen Platz finden“.
Chefin der katholischen Kliniken im Norden wurde am Montag gefeuert
Eine Zahl, die als beherrschbar gilt – anders als der Kraftakt der Krankenhaus-Neusortierung: „Unglaublich“ und „unmöglich“, dies bis zum Jahresende hinzubekommen, so glauben Beobachter und sprechen von
einem „Desaster“. Unüberhörbar wächst die Skepsis gegenüber dem Management des Klinik-Betreibers, zumal Contilia am Montag die Geschäftsführerin des Katholischen Klinik-Verbunds KKE Kirsten Kolligs feuerte – nach gerade mal sieben Monaten im Amt.
Begründet wurde diese Personalentscheidung mit dem Hinweis, „dass hinsichtlich der strategischen Ausrichtung der Gesellschaft unterschiedliche Ansätze favorisiert werden“. Vor diesem Hintergrund habe man am Montag „das sofortige Ende der Zusammenarbeit beschlossen“.
OB Kufen: „Die Contilia werde ich nicht aus der Verantwortung entlassen“
Hinter den Kulissen raunt man sich zu, der Streit habe sich an der nicht sonderlich rosigen Finanzlage der katholischen Kliniken entzündet. Vor diesem Hintergrund liefen auch Gespräche für eine mögliche Fusion der Contilia mit einem anderen konfessionellen Klinikbetreiber im Ruhrgebiet. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür am Donnerstag allerdings nicht.
Auf Rettung von außen mag die Politik derweil nicht warten. Dass die geplanten Schließungen „nicht das letzte Wort sein dürfen“, dieser Appell der Linken wird allenthalben geteilt. Der OB kündigt an, er wolle in den betroffenen Stadtteilen „runde Tische“ einrichten, um die Lage zu erörtern. Für Mitte Juli ist eine Sondersitzung des Haupt- und des Sozialausschusses geplant, bei der man sich das neue Konzept des Klinikbetreibers vorstellen lassen will: „Die Contilia werde ich dabei nicht aus der Verantwortung lassen“, betont Kufen.
Es klingt fast wie eine Drohung.