Essen. Der Essener Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter (AfD) sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, er habe NS-Verbrechen verharmlost - und zog vor Gericht.

Dass er angesichts der von Nationalsozialisten begangenen Verbrechen unangemessen, ja verharmlosend mit diesem Kapitel deutscher Geschichte umgeht, für diesen Eindruck hatte der Essener AfD-Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter selbst gesorgt. Spätestens als er "Nazi-Bildchen" per Whatsapp verschickte, was ihm gar eine Rüge seiner eigenen Partei einbrachte, die sonst gerne mal mit Tabubrüchen provoziert.

Da schien eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung ins Bild zu passen, der sich Keuter nach einem Besuch der Gedenkstätte "Lindenstraße" in Potsdam 2019 ausgesetzt sah. Gegen den Vorwurf hat sich der Abgeordnete jetzt erfolgreich zur Wehr gesetzt.

Oberlandesgericht Brandenburg gibt Keuters Antrag auf einstweilige Verfügung statt

Vor dem Oberlandesgericht Brandenburg erwirkte Keuter am Montag in zweiter Instanz eine einstweilige Verfügung gegen die Leiterin der Gedenkstätte, Uta-Ulrike Gerlant. Diese hatte gegenüber dem Berliner "Tagesspiegel" erklärt, Keuter habe während einer Führung am 1. Oktober NS-Verbrechen verharmlost, indem er vor Besuchern aus seinem Essener Wahlkreis geäußert habe, man müsse die Euthanasie im "Dritten Reich" aus ihrer Zeit heraus verstehen.

Das Gebäude der heutigen Gedenkstätte Lindenstraße war von 1934 bis 1944 Sitz des sogenannten Erbgesundheitsgerichts, bis 1945 diente es den Nazis als Gefängnis für Politisch- und Rassistisch-Verfolgte. Das Gericht ordnete mehr als 3300 Zwangssterilisationen an. Unter dem Vorwand der Rassenhygiene wurden während der NS-Terrorherrschaft mehr als 200.000 Menschen mit Behinderungen und Erkrankungen ermordet.

Gedenkstätte "Lindenstraße" erinnert an Verfolgung durch Diktaturen in Deutschland

Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte der sowjetische Geheimdienst das im Stadtzentrum von Potsdam gelegene Gebäude ebenfalls als Gefängnis, ab 1952 wurde zum Untersuchungsgefängnis des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Heute erinnert die Gedenkstätte an politische Verfolgung und Gewalt während der unterschiedlichen Diktaturen in Deutschland.

Keuter hatte dem Vorwurf der Volksverhetzung widersprochen. Tatsächlich sei es während des Besuches zu einem Disput gekommen. Dabei sei es aber um die Nutzung des Gebäudes als Stasi-Gefängnis gegangen. Diese, so empfand es Keuter, sei nicht ausreichend gewürdigt worden.

Keuter wertete Anzeige der Gedenkstätte als politisch motiviert

Die Anzeige, die sechs Wochen nach dem Besuch bei der Polizei eingegangen war, wertete der AfD-Abgeordnete im Gespräch mit der Redaktion als politisch motiviert. Die Leiterin der Gedenkstätte hatte Keuters vermeintliche Äußerung nach eigenen Worten als Versuch gewertet, "völkisches Denken in die Mitte unserer Gesellschaft zu tragen und Ungleichheitsideologien den Weg zu bahnen". Dem stelle sie sich entschieden entgegen.

Keuters Versuch den Vorwürfen auf juristischem Wege zu begegnen, lief zunächst ins Leere. Das Landgericht Potsdam wies seinen Antrag auf Erteilung einer einstweiligen Verfügung in erster Instanz zurück. Keuter habe nicht glaubhaft machen können, dass die Leiterin der Gedenkstätte und Stiftungsvorsitzende Uta-Ulrike Gerlant die Unwahrheit gesagt habe.

Leiterin der Gedenkstätte darf Behauptung nicht wiederholen

Das Oberlandesgericht sah dies offenbar anders. Es gab Keuters Beschwerde statt, in dem es den in erster Instanz gefassten Beschluss des Landgerichts Potsdam wieder aufhob. Ute-Ulrike Gerlant ist es per einstweiliger Verfügung nun untersagt, ihre Behauptung zu wiederholen, Keuter habe NS-Verbrechen verharmlost. Andernfalls drohen ihr sechs Monate Haft oder alternativ eine Geldstrafe von bis zu 250.000 Euro.

In einer Pressemitteilung spricht Stefan Keuter von einer Verleumdungskampagne gegen seine Person. Der "öffentliche und mediale Schaden", der ihm widerfahren sei, sei unermesslich. Dabei habe die Staatsanwaltschaft bereits Anfang des Jahres von der Aufnahme der Ermittlungen wegen eines fehlenden Anfangsverdachts abgesehen, so Keuters Darstellung.

"In der Presse war hiervon allerdings nichts zu vernehmen. Der Vorwurf, ich hätte mich verharmlosend gegenüber dem NS-Regime geäußert, blieb zu Unrecht bestehen.“

Gleich zu Beginn seine Stellungnahme äußert sich der AfD-Abgeordnete grundsätzlich:„Unterstellungen, Mutmaßungen und ungerechtfertigte Strafanzeigen, die dazu führen, dass Menschen verunglimpft, im Ansehen geschädigt und öffentlich diffamiert werden, sind keine Kavaliersdelikte und gehören auch nicht zum guten Ton in der politischen Auseinandersetzung.“ Keuter bezieht dies auf sich.

Uta-Ulrike Gerlant war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

ZUR PERSON

Stefan Keuter (47) gehört dem Deutschen Bundestag seit 2017 an. Bei der Bundestagswahl erhielt er als Direktkandidat der AfD im Wahlkreis Essen-III 8,09 Prozent der Stimmen. Über die Landesliste seiner Partei gelang ihm der Einzug ins Parlament. Keuter ist dort Mitglied des Finanzausschusses und stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der AfD gehört er seit 2013 an.