Essen. Eine Essener Prostituierte kann in der Corona-Krise ihre Wohnung nicht bezahlen. Geschlossene Grenzen und fehlendes Geld verhindern die Heimreise
„Es ist ein schöner Tag, um glücklich zu sein“, steht auf Französisch auf dem Shirt von Ludmilla. Ludmilla, die eigentlich anders heißt, ist alles andere als glücklich. „Mir geht es sehr schlecht“, sagt die 42-jährige Bulgarin, „ich habe keine Arbeit und kein Geld.“ Normalerweise arbeitet Ludmilla in einem Essener Bordell.
Doch seit mehr als sieben Wochen sind die Prostitutionsstätten geschlossen, die Sexarbeit ist zum Erliegen gekommen. Sieben Wochen, in denen sie immer deprimierter wird. Im Obergeschoss eines Hauses, das einer einzigen Baustelle gleicht, sitzt Ludmilla in der blank geputzten Küche ihres Apartments und weiß nicht weiter. Unter Tränen erzählt sie von ihrem Alltag: keine Kontakte, keine Hilfe, keine Arbeit, kein Geld.
Essener Prostituierte: Kein Geld für die Miete befördert Angst vor der Obdachlosigkeit
Seit 55 Tagen darf sie nicht arbeiten. „Ich kann meine Miete nicht bezahlen. Der Vermieter hat mir Aufschub gegeben. Er wartet, aber er wartet nicht mehr lange“, berichtet die Bulgarin verzweifelt. Ihr drohe die Obdachlosigkeit. Nach Hause fahren kann sie nicht. „Die Grenzen sind zu und ich habe gar kein Geld um zu fahren.“ Kontakt zu anderen Frauen habe sie nicht. Hilfsangebote der Stadt habe sie versucht wahrzunehmen.
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„Beim Ordnungsamt erreiche ich niemanden. Ich spreche überall auf den Anrufbeantworter, aber niemand meldet sich“, berichtet sie ihre Erfahrung. Um Geld zu sparen, habe sie ihre Krankenversicherung kündigen wollen. „Aber in Deutschland kann ich die nicht kündigen“.
Kontakt zur Familie nur übers Telefon möglich
Vor Corona fuhr Ludmilla alle zwei bis drei Wochen in ihre Heimat. Freunde und Familie habe sie hier nicht. In Bulgarien warten ihre Mutter und zwei Kinder auf die 42-Jährige. Seit mehr als zwei Monaten hat sie sie nicht gesehen. „Wenn wir telefonieren, fragen meine Kinder, Mama wann kommst du, Mama, wann schickst du Geld?“ Ihre Familie wisse ebenso wenig wie ihr Vermieter von ihrer Arbeit im Bordell. „Sie denken, ich habe einen normale Arbeit.“ „Normale Arbeit“ würde Ludmilla auch machen wollen. „Ich habe früher in einem Bekleidungsgeschäft gepackt“, erzählt sie.
Doch wie sie an eine Arbeit kommen soll, weiß sie nicht. „Das Jobcenter hat zu, alles geht nur online.“ Doch das ist für Ludmilla eine fremde Welt. Wie manch andere Frauen, ihre Dienste im Internet anzubieten, ist für sie ausgeschlossen. „Ich verstehe nichts von Internet“, sagt die Bulgarin.
Nur wenig illegale Prostitution in Essen
800 angemeldete Prostituierte in Essen
Nach Angaben der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen gibt es in Essen 800 angemeldete Prostituierte.
Seit Juli 2017 müssen sich Prostituierte anmelden, um ihre Arbeit auszuüben. Außerdem müssen Bordelle und Prostitutionsstätten eine Erlaubnis einholen, um die Erotiketablissements zu betreiben. I
In vielen Städten finden im Rotlichtviertel regelmäßig Razzien statt.
Illegal weiter zu arbeiten komme für sie ebenfalls nicht in Frage: „Wo sollen wir uns denn treffen? Die Männer haben alle Frauen zu Hause...“ berichtet die Prostituierte. Illegale Straßenstrichs sind bei der Polizei Essen nicht bekannt. „Wir sind verstärkt Streife gefahren, vielleicht hatte das eine abschreckende Wirkung“, sagt der Sprecher Christoph Wickhorst. Ob sich die Prostitution in Wohnungen verlagert, könne man jedoch nicht kontrollieren. Einer Stadtsprecherin zufolge gibt es „vereinzelte Hinweise auf Prostitutionsausübung im direkten Umfeld des Straßenstrichs“, dem die Ordnungsbehörden entgegentreten würden.
Sozialleistungen gibt es nicht für alle Ausländerinnen
Die Sozialarbeiterin Maike van Ackern von der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen versucht zu den Prostituierten Kontakt zu halten. „Wir helfen ihnen dabei, Sozialleistungen zu beantragen, sofern sie einen Anspruch darauf haben“, sagt van Ackern. Frauen aus dem EU-Ausland haben nur unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Sozialarbeiterin zufolge ist die Situation vor allem für drogenabhängige Frauen und Frauen aus dem Ausland besonders problematisch. „Manche bieten ihre Dienste unter prekären Bedingungen weiterhin an.“
Ein anderes Problem mancher Prostituierter sei auch der plötzliche Abschied vom guten Leben. Für Frauen, die mehrere tausend Euro pro Monat verdient hätten, sei es schwierig, plötzlich von Arbeitslosengeld zu leben.
Essener Ludmilla liegt nachts wach
Ludmilla zermürbt die Situation. Stress, Angst und Zukunftssorgen lasten auf ihren schmalen Schultern. „Manchmal liege ich die ganze Nacht wach. Ich weiß nicht mehr was ich machen soll“, erzählt sie. Die Verzweiflung steht ihr ins Gesicht geschrieben.
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Wie lange die Bordelle noch geschlossen bleiben, ist nicht bekannt. Aufgrund des Körperkontakts geht Ludmilla davon aus, dass die Schließung noch lange anhalten wird. Auch wenn sie anderes hofft. Angst sich mit Corona anzustecken, hat die zweifache Mutter nicht: „Ich habe keine Angst mehr, vor gar nichts. Ich möchte einfach nur arbeiten.“