Essen. Filet Stroganoff und Mundschutz: Essener Restaurants öffnen nach Corona-Lockdown unter Auflagen. Zwei Gastronomen zwischen Hoffen und Bangen.
Nach dem quälend langen Corona-Lockdown fährt die Essener Gastronomie ihren Betrieb wieder hoch. "Wir hatten zwei Monate Null, jetzt beginnt das langsame Wachwerden aus dem Koma", beschreibt Reinhard Schriever (65), Inhaber des Kettwiger Traditionsbetriebs Sengelmannshof, die angespannte Situation. "Ich muss zusehen, dass ich keine Verluste mache", sagt Jean-Edouard Mathis (39), Inhaber des Rüttenscheider Restaurants "Tatort". Zwei leidenschaftliche Essener Wirte, ein Schicksal: Beide erwartet ein vorsichtiger Neubeginn zwischen Hoffen und Bangen.
Restaurants sind normalerweise Orte der Kochkunst und der Gaumenfreude. Jetzt dürfen sie nur öffnen, wenn ständig Desinfektionsmittel parat stehen und die Kellner aussehen wie OP-Personal. Filet Stroganoff und Mundschutz, Pinot Grigio und Einmalhandschuhe: Werden die Gäste das annehmen?
Ob Schriever oder Mathis: Beide kalkulieren mit dem 50-Prozent-Faktor. Um den Sicherheitsabstand von Tisch zu Tisch einhalten zu können, schrumpft die Kapazität im kleinen Tatort wie im riesigen Sengelmannshof um die Hälfte. Und das Personal? "Vorne ein Kellner statt drei, dasselbe in der Küche", sagt Mathis. Der Sengelmannshof (30 Mitarbeiter aus 12 Nationen, davon 17 feste) kommt weiterhin an Kurzarbeit nicht vorbei.
Desinfektionsmittel, Mundschutz, Plastikhandschuhe, vorne rein und an der Seite raus
Auf Gast und Kellner kommen allerlei behördlich auferlegte Veränderungen zu. Beispiel Sengelmannshof: Schon am Eingang gibt's einen Spender, damit er sich vor dem Mahl die Hände waschen kann. Dann wird er zum Tisch geführt und höflich gebeten, Jacke oder Mantel doch lieber mit zum Tisch zu nehmen. Eine Speisenkarte, die vorher durch zig fremde Hände gegangen sein könnte, wird er nicht in die Hand nehmen müssen. "Ich werde alles auf eine Tafel schreiben", sagt Schriever. Dass das kulinarische Angebot entsprechend übersichtlich sein wird, versteht sich von selbst.
Die gestärkte schneeweiße Stoffserviette? "Nein, wir stellen um auf Papierservietten." Das Büffet fällt ebenfalls aus, alles wird an den Tisch getragen - von Personal, das Mund-Nase-Schutz und Plastikhandschuhe trägt. Das Bezahlen? "Entweder kommt das Bargeld in eine Schachtel oder der Gast zahlt kontaktlos mit Karte." Die Navigation: am Haupteingang rein, raus durch die Nebentür. "Damit sich die Gäste nicht begegnen können", so Schriever.
"Mit einem Ansturm rechne ich nicht, die Leute sind verängstigt"
Lauter Vorschriften, Auflagen, Regeln: Aber wird der Gast überhaupt den Weg in die Restaurants finden, da so viel Virusschutz für einen faden Beigeschmack sorgen könnte? "Mit einem Ansturm rechne ich nicht, die Leute sind verängstigt", bleibt Schriever realistisch. Sein Rüttenscheider Kollege pflichtet ihm bei. "Die Leute werden immer noch vorsichtig sein", sagt Mathis. Er habe zwar Reservierungen für die nächste Woche, allerdings sei die Nachfrage verhalten.
Im Sengelmannshof berichten sie allerdings auch von Herz erwärmenden Gesten, die Mut machen. Etwa von dem Stammgast, der mitten im Lockdown einen Geschenk-Gutschein über 300 Euro kauft. Oder von dem Essener Unternehmer, der seine fleißigen Mitarbeiter reichlich mit Restaurant-Gutscheinen belohnt.
Mitten im Lockdown kaufen Stammgäste Geschenk-Gutscheine
Am insgesamt trüben Gesamtbild vermögen selbst solche netten Gesten vorerst nichts zu ändern. "Das Jahr 2020 ist eigentlich gelaufen", sagt Schriever, und fügt trotzig hinzu: "Aber wir wollen überleben." Jean-Edourd Mathis vermisst schmerzlich die Gäste, die die vielen Messen nach Rüttenscheid locken. Und die Unternehmensberater von Eon und RWE, die die Rü bevölkerten. Dem Sengelmannshof entgehen - wegen der Nähe - obendrein die Messebesucher aus Düsseldorf. Hochzeiten und runde Geburtstage, Kommunion und Tagungen - die sind bis weit in den Herbst abgesagt. Verluste, die bis Ende des Jahres nie und nimmer aufgefangen werden können.
Sengelmannshof und Tatort öffnen nicht sofort am Montag, sondern erst Mittwoch. Manche Restaurants, so Mathis, würden gar nicht öffnen: "Die sagen sich: Warum soll ich öffnen, wenn sowieso feststeht, dass ich Verluste mache?". Der gebürtige Franzose, der seit 33 Jahren in Deutschland lebt, ist stolz auf dieses Land, weil es Unternehmer und Beschäftigten in der Corona-Not tatkräftig unterstütze. "Diese Hilfen gibt es sonst nirgendwo, nicht in Frankreich, nicht in Italien, nicht in den USA." Aber alle wissen: Einige Kollegen werden die Krise nicht überstehen.
Mitleid oder gar Solidarität erwartet hingegen keiner von seinen Gästen. Reinhard Schriever weiß, was besser schmecken könnte. "Ich setze preiswerte Gerichte auf die Karte."