Essen. Essener Forscher machen eine Umfrage zum Einfluss von Corona. Ein Ergebnis: Merkels TV-Ansage beruhigt, politischer Streit schürt indes die Angst.
Was macht Corona mit der Gesellschaft? Halten sich die Menschen an die Regeln? Und: Nimmt die Angst in der Bevölkerung zu? Forscher von der Universität Duisburg-Essen wollen es genau wissen, darum haben sie schon vor Wochen eine Online-Umfrage gestartet. Bereits 15.000 Teilnehmer bundesweit haben im Dienste der Wissenschaft auch schmerzhafte Fragen wie diese beantwortet: „Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit an, dass Sie an dieser Erkrankung versterben?“
Die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, wird unterschätzt
Die Antworten sind verblüffend, wie Prof. Dr. med. Martin Teufel erklärt, der die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR-Klinikum leitet und die Studie durchführt. So gehen nur vergleichsweise wenige der Befragten – rund ein Viertel – davon aus, an Covid 19 zu erkranken. Man könnte sie also für ziemlich unbesorgt halten.
Andererseits glauben sie, dass die Gefahr, im Falle einer Erkrankung an Corona zu sterben, bei etwa zehn Prozent liegt. „Dabei liegt die Letalität von Covid 19 in Deutschland lediglich bei zwei Prozent.“ Anders gesagt: Die Wahrscheinlichkeit zu erkranken, wird unterschätzt, die Gefahr eines schweren Verlaufs wird überschätzt.
An der Umfrage lässt sich aber auch ablesen, wie Tagesereignisse und politische Entscheidungen die Angst der Bürger beeinflussen. Denn Teufel und sein Team haben ihre Befragung bereits am 3. März begonnen – also bevor das gesellschaftliche Leben völlig heruntergefahren wurde.
Über Presse und persönliche Kontakte, über Instagram, Facebook und Youtube machten sie auf die Umfrage aufmerksam: „Wir wollten das breit streuen, um viele Menschen jeden Alters zu erreichen.“ Die Resonanz war groß und blieb es auch, als Schulen, Kitas und Geschäfte geschlossen wurden.
Der Lockdown hat die Angst in der Bevölkerung vergrößert
Anders als bei den Großveranstaltungen, die schon zuvor abgesagt worden waren, beunruhigte dieser Schritt die Menschen sehr. „Mit dem Lockdown, mit den strengeren Maßnahmen nahm die Angst deutlich zu“, sagt Teufel. Und zwar nicht nur die konkrete vor einer Ansteckung, sondern eine generelle Ängstlichkeit, die in den Alltag sickerte. Grübeln und Sorgen wurden zum Begleiter vieler Menschen. Etwa 15 Prozent der Befragten hätten Symptome einer „generalisierten Angststörung“ gezeigt, eine Diagnose, die sonst auf 1 bis 1,5 Prozent der Bevölkerung zutrifft.
Umfrage: Wie verhalten Sie sich in Zeiten von Corona?
Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR-Klinikums setzt ihre Untersuchung fort. Die Umfrage zum Umgang mit Covid-19 dauert etwa acht bis zehn Minuten. Wer teilnehme, unterstütze das Forschungsteam sehr, sagt Studienleiter Prof. Dr. med. Martin Teufel. Die Umfrage finden Sie hier:www.corona-umfrage.de
Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR-Klinikums Essen bietet auch telefonische Beratung zum Umgang mit dem Coronavirus. Die Cope-Hotline „Corona gemeinsam bewältigen“ ist ein Angebot der psychosomatisch-psychotherapeutischen Grundversorgung in Essen. Wer wegen Corona Sorgen, Ängste oder Panikattacken hat, erreicht das Team montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr unter 0201 438 755 200 oder auf: cope-corona.de
Die Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters hat eine Nummer für seelische Krisen bei Kindern und Jugendlichen oder ihren Eltern eingerichtet: 0152 093 218 76, mo. bis fr. 9 bis 11 und 14 bis 16 Uhr;Familien-Hotline.Essen@lvr.de
Martin Teufel betont, dass eine Umfrage natürlich nicht die persönliche Untersuchung eines Einzelnen ersetzen könne, „und dass sich vielleicht grundsätzlich eher diejenigen beteiligt haben, die ohnehin von Angst geplagt sind“. Angesichts der hohen Fallzahl könne man aber recht zuverlässig von einer erheblichen Zunahme von Angstsymptomen sprechen. Als in Deutschland eine Katastrophe von italienischem Ausmaß ausblieb, habe die Angst aber nicht weiter zugenommen, sondern „ein Plateau“ erreicht.
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Hilfreich seien sachliche und umfassende Informationen: Wo die überzeugend vermittelt würden, zögen die Menschen mit. Sprich: Das Händewaschen, das Meiden von Menschenansammlungen und das Abstand-Halten würden gut umgesetzt. Die Kanzlerin habe dazu erheblich beigetragen, indem sie zunächst gewartet und sich dann zu einem klug gewählten Zeitpunkt gemeldet habe. „Nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt ging die Angst zurück. Die Deutung kann man wagen.“ Die klare Aussage habe auch das Vertrauen in die Regierung gestärkt, weil der Mensch in Krisenzeiten Orientierung suche.
Die Ansprache der Kanzlerin hat beruhigt – Streit unter Politikern verunsichert
Umso fataler sei es, wenn die Politik durch widersprüchliche Maßnahmen und öffentliches Hin-und-Her auffalle. „Die menschliche Psyche sucht in dieser Situation ja Struktur.“ Die habe in der jüngsten Diskussion, ob, wann und wie die Schulen wieder geöffnet werden sollten, gefehlt. Noch dazu seien Virologen – eigentlich die Erklärer der Stunde – öffentlich uneinig gewesen seien. „Die Angst kam zurück.“ Aus dieser Perspektive sei die bundesweite Maskenpflicht „die beste Lösung, um nicht zu viel Verunsicherung zu schaffen“, sagt Teufel. Wie immer man die Wirksamkeit der Maßnahme beurteile.
Weil Angst auch eine Warnfunktion habe und uns zu vorsichtigem Verhalten bringe, sei sie in kleinen Dosen aber durchaus hilfreich, sagt Teufel. „Ohne Angst laufen Sie über die nächste rote Ampel und werden überfahren.“ Und von gefährlicher Panik sei die Gesellschaft aktuell weit entfernt.
Das gelte selbst für sogenannte Risikogruppen: So habe man in die Umfrage auch Krebspatienten und Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen einbezogen und festgestellt, dass diese nicht deutlich ängstlicher sind als der Rest der Bevölkerung. „Sie halten sich allerdings noch penibler an die Hygiene- und Distanzvorgaben, tun also mehr dafür, keine Angst haben zu müssen.“
Die alten Menschen, denen derzeit große Sorge gilt, seien übrigens deutlich gelassener als die Jüngeren. In gewisser Weise gefährdet seien Menschen mit psychischen Krankheiten, die naturgemäß viel sensibler auf eine Krisensituation reagieren. Schließlich wollen Teufel und sein Team auch herausfinden, wer in Zeiten von Corona professionelle Unterstützung braucht, noch werde die eigens geschaltete Hotline nicht übermäßig frequentiert.
Hilfreich sind Hobby und Haustier
Und was hilft in diesen Zeiten, wenn wir nicht feiern, niemanden in den Arm nehmen können, wenn die „stabilisierende Normalität“ fehlt, wie es Teufel formuliert? Haustier, Hobby und die Fähigkeit, soziale Kontakte auch auf Distanz lebendig zu halten. Zusammengefasst: „Die Kunst, das Beste aus der Situation zu machen.“