Essen. Essen: Theater und Philharmonie hat Spielbetrieb gestoppt. Wie sich Intendanten, Künstler und Techniker für die Zeit nach der Coronakrise rüsten

Adeline Pastor erlebt man dieser Tage in einer ungewohnten Rolle als tanzende Küchenfee. Die Solotänzerin des Aalto-Balletts zeigt derzeit auf virtuellen Kanälen, wie Homeoffice bei Künstlern aussehen kann. Da wird die Küchenspüle zur Ballettstange, das Wohnzimmer zur Probebühne.

Die Essener Theater und Philharmonie (TuP) hat den Betrieb auf das Notwendigste heruntergefahren. Wie lange, weiß momentan keiner. Vorläufig gilt die Regelung bis zum 19. April. Und doch muss es hinter den Kulissen irgendwie weitergehen. Weil Musiker, Schauspieler und Tänzer schlichtweg in Übung bleiben müssen, um weiterspielen zu können, wenn der Vorhang irgendwann wieder aufgeht.

Ballett-Proben sind ausgeschlossen: Zu viel Körperkontakt

Vor allem für die Kompanie des Aalto-Balletts darf es keinen Stillstand geben. "Wenn wir in ein paar Wochen wieder auftreten können, brauchen die Tänzer Kondition", sagt Ballettchef Ben Van Cauwenbergh.

Viele Ensemblemitglieder hätten aber gar nicht ausreichend große Wohnungen, um neben dem täglichen Dehnen und Strecken auch noch Sprünge oder Schrittfolgen zu proben. Deshalb hofft Van Cauwenbergh, ab Mitte nächster Woche zumindest wieder in kleinen Gruppen trainieren zu können.

Geplant sind mehrere Tagesschichten, um die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten. Proben stehen bis auf Weiteres nicht auf dem Programm. "Da schwitzen alle und haben Körperkontakt, das wäre zu gefährlich", erklärt der Ballettchef und hofft, zumindest mit erprobten Wiederaufnahmen wie "Tanzhommage an Queen" bald wieder auf die Bühne zurück zu können. "Wir sind sehr traurig darüber, dass wir unser Publikum momentan im Stich lassen müssen."

Die technische Abteilung kümmert sich um Wartungsarbeiten

Noch allerdings stehen alle Pläne unter Vorbehalt. Was passiert, wenn eine Ausgangssperre angeordnet wird oder die Stadt Essen als Gesellschafter den Betrieb ganz schließt, darüber mag bei der TuP derzeit noch niemand spekulieren. Noch gebe es genug Arbeit - vor allem auch im technischen Bereich, sagt Schauspiel-Intendant Christian Tombeil.

Während Orchester, Chor, Ballett und Schauspiel vorerst ins Homeoffice geschickt wurden, würden derzeit an verschiedenen Stellen Wartungs- und Reparaturarbeiten durchgeführt, auch in der Kulissenwerkstatt werde mit entsprechend großem Abstand an den Bühnenbildern kommender Produktionen gearbeitet. "Wir fahren im technischen Bereich einen erweiterten Einmann-Schichtbetrieb", erklärt der Intendant.

Schauspiel Essen hat die nächsten zwei Premieren abgesagt


Sollte auch diese Regelung nicht mehr möglich sein, weil sich ein Mitarbeiter infiziert oder Kollegen das Risiko als zu hoch erachten, könnte sich die Situation zuspitzen. Kurzarbeit, Zwangsurlaub oder das Vorziehen der sommerlichen Spielzeitferien - noch will niemand diese Optionen in Erwägung ziehen. Doch die Coronakrise hat schon jetzt heftige Folgen für den Spielbetrieb.

So hat das Schauspiel Essen die für Ende April terminieren Premieren von "Die Marquise von O..." und Brechts "Rundköpfe" bereits abgesagt. Geht es nach Schauspiel-Chef Christian Tombeil, sollen die "quasi fertigen" Produktionen in der nächsten Spielzeit aber noch an den Start gehen. "Der Spielzeitanfang 2020/2021 wird auf jeden Fall anders aussehen als bislang geplant", erklärt der Intendant.

Im Schauspiel Essen hat man noch etwas Spielraum, dort sind die Programme der nächsten Saison noch nicht gedruckt. Aalto-Theater, Ballett und Philharmonie aber haben die Planungsphase längst abgeschlossen. Schon in der kommenden Woche soll der erste Spielplan vorgestellt werden - diesmal natürlich virtuell.

Aalto-Theater: Premiere im Mai könnte noch stattfinden

Hein Mulders, Intendant von Aalto-Theater und Philharmonie, denkt sogar schon über die nächste Spielzeit hinaus, in Musiktheater und Konzert gibt es schließlich lange Vorlaufzeiten. "Ein großer Teil unserer Arbeit ist ja Vorbereitungsarbeit", sagt Mulders.

Wichtig ist dem Theaterchef derzeit aber vor allem, die gerade fertiggestellten Produktionen schnellstmöglich auf die Bühne zu bringen. So wurde der TuP-Spielbetrieb just einen Tag vor der Premiere von "Don Carlo" eingestellt. Damit, so Mulders, könne man schnell wieder an den Start gehen. Zwei geplante Wiederaufnahmen von "Faust" und "Der Freischütz" wurden hingegen schon abgesagt. Ob die Premiere der Mozart-Oper "Die Hochzeit des Figaro" am 23. Mai stattfinden kann, steht in den Sternen. Noch will man die Hoffnung für Mai und Juni nicht ganz aufgeben.

Essener Philharmoniker spielen in nächster Zeit nur für die Nachbarn

Gut vorbereitet zu sein, um am Ende der Krise "schnell wieder Gas geben zu können", so Mulders, das gilt auch für die Essener Philharmoniker. Statt der gemeinsamen Orchesterproben übt derzeit jeder für sich allein. Profimusikern gehe es eben wie Profisportlern - man darf keinen Trainingsrückstand aufkommen lassen, weiß auch Solo-Klarinettist Johannes Schittler. Konkrete Partituren als "Hausaufgaben" gibt es derzeit noch nicht. Wer weiß schon, ob das nächste Sinfoniekonzert stattfinden kann. Dafür habe man mal wieder Zeit, "Etüden rauszuholen, auf die man Lust hat", sagt Schittler. "Ich freu mich drauf, ich hoffe, meine Nachbarn auch", lacht der 32-Jährige. Für Musiker, die ihre großen Instrumente nicht einfach in die Wohnung tragen können, stellt die TuP derzeit noch einzelne Probenräume bereit. Auch so soll eine rasche Rückkehr in den Normalbetrieb gewährleistet sein.

Sollte es in der laufenden Spielzeit noch Vorstellungen geben, hofft Theater-Intendant Christian Tombeil, den Rest-Spielplan möglichst eng takten zu können. Allein bis zum 19. April hat man im Grillo schließlich fast ein Dutzend ausverkaufter Vorstellungen des Liederabends "After Midnight" und von "Kleiner Mannn - was nun?" absagen müssen. Ein künstlerisches und finanzielles Desaster. Der gesamte Verlust für die Theater und Philharmonie dürfte sich auf einige Millionen belaufen, noch will man keine konkreten Zahlen nennen.

Theater und Philharmonie plant alternatives Online-Programm

Nicht nur Aalto-Tänzerin Adeline Pastor kann man zumindest via Internet begegnen. Für das Online-Programm der Theater und Philharmonie gibt es bereits weitere Pläne. So wird das Mannheimer Streichquartett Haydns „Vogelquartett“ spielen und Ilka Wagner Fagott-Stücke von Telemann. Ebenfalls in der Pipeline: ein Jazzkonzert mit Christina Clark und Jeffrey Dowd. Außerdem soll es Liederprogramme von Bettina Ranch, Rainer Maria Röhr und Juriko Akimoto sowie Marie-Helen Joël und Thomas Büchel geben. Joël wird außerdem „Hexe Kleinlaut“-Kurzprogramme zum Mitmachen einstellen. Mehr Infos: www.theater-essen.de