Essen-Steele. Ehemalige Höfe, frühere Ärzte und Familien: Steeler Archiv bewahrt Historie, alte Schätze und Geschichte auch aus Horst, Freisenbruch und Eiberg.

Als die letzte Bewohnerin des Tosse-Hofes zwei volle Kisten ins Steeler Archiv brachte, war das für sie ein schwerer Gang, für die Stadtteilhistoriker großes Glück. Für die Archivmitglieder bedeutete die Schenkung zahllose Dokumente, ein Stück Horster Historie. Für die Horsterin aber rief der Besuch den Abschied von ihrem Hof in Erinnerung: „Weil dieser einer geplanten Straße im Weg stand“, sagt Arnd Hepprich vom Archiv, das am Samstag, 7. März, seine Türen öffnet. Dann sind Unterlagen und Zeitungen zugänglich, wird Familiengeschichte erforscht, wird Historie lebendig.

Die Mitglieder vom Steeler Archiv (150 sind es) kümmern sich seit inzwischen 14 Jahren um ihren Stadtteil und auch darüber hinaus um die ehemaligen Gebiete des Amtes Königssteele (westfälischer Teil): Horst, Freisenbruch und Eiberg. Seit 2012 haben sie Unmengen von Unterlagen gesammelt, Dokumente in Ordner sortiert, museale Stücke zusammengetragen, Bilder archiviert und 500 Karten und Pläne geordnet und damit vier Etagen am Hünninghausenweg gefüllt.

Genug zu gucken und noch mehr zu erzählen

Große Leidenschaft und Akribie gehören zur Arbeit im Steeler Archiv, um das sich Arnd Hepprich (li.) und Manfred Driehorst seit vielen Jahren kümmern.
Große Leidenschaft und Akribie gehören zur Arbeit im Steeler Archiv, um das sich Arnd Hepprich (li.) und Manfred Driehorst seit vielen Jahren kümmern. © FUNKE Foto Services | Klaus Micke

Zum Tag der offenen Tür wird es dort nicht nur Führungen geben, Besucher können auch in den Papieren blättern, historische Bücher und alte Zeitungen in die Hand nehmen. „Es gibt genug zu gucken und fast noch mehr zu erzählen“, weiß Arnd Hepprich um das wachsende Interesse an Stadtteilgeschichte und ebenso an Vierteln oder Häusern, in denen die Menschen früher gelebt haben.

„Wer Bilder von der Märkischen Straße sehen möchte, dem zeigen wir diese gern“, kündigt Manfred Driehorst an. Der Familienforscher hilft zudem dabei, alte Schriften etwa auf Geburts- oder Hochzeitsurkunden zu lesen. Wer seine Ahnen zumindest auf dem Papier aufspüren möchte, erhält ebenfalls Unterstützung: „Dafür haben wir sämtliche Kopien der Kirchenbücher Königssteele“, sagt er zu den Schriften, die von der Historie seit 1650 zeugen und im Archiv mehrere Meter der Regale füllen.

Sämtliche Zeitungsausgaben und manche Anekdote

Und dann gibt es noch mit dem Ruhrboten die erste Zeitung des Stadtteils mit sämtlichen Ausgaben, Ausstellungsstücke wie den Pokal von Dr. Voss und so manche Anekdote. Dazu zählt eine Stichwortliste, auf der die Bierbrauerei kurzerhand zur „Eierbrauerei“ wurde, „offenbar weil jemand den Buchstaben der alten Schrift falsch übertragen hat“, erklärt Arnd Hepprich.

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Auf einer Postkarte wiederum rückt der ehemalige Steeler Tiergarten nicht nur ans Ruhrufer heran, „er erscheint zudem größer als das Hafenstadion“. Dabei habe der Park ganz eindeutig auf der Knappschaftshöhe gelegen.

Original-Zeugnisse von 1830 dokumentieren beruflichen Werdegang eines Steeler Arztes

Das Original-Einschreibebuch von Johannes Dietrich Tosse, in dem der Horster Rechnungen notiert hat: im Jahr 1802.
Das Original-Einschreibebuch von Johannes Dietrich Tosse, in dem der Horster Rechnungen notiert hat: im Jahr 1802. © Ho | Bild

Im Archiv selbst lagern auch die Unterlagen, die Manfred Driehorst als Schätze ihrer Sammlung bezeichnet. Darunter sind Original-Zeugnisse von 1830, die den beruflichen Werdegang von Dr. Bracht dokumentieren – seinerzeit ein bekannter Arzt und Geburtshelfer in Steele.

Das älteste Stück, das die Archivmitglieder in ihrem Bestand haben, ist ein Schriftstück vom Anfang des 16. Jahrhunderts: Es dokumentiert die Übergabe von Land an Bauer Nettelnbusch. „Den Hof gibt es längst nicht mehr, mit dieser Behandigungsurkunde aber bewahren wir seine Geschichte auf“, sagt Manfred Driehorst.

Frühere Hofbewohnerin brachte Unterlagen unter Tränen

Rechnungen vom Bauernhof Tosse kann er wiederum im Einschreibebuch von Johannes Dietrich Tosse zu Beule nachlesen. Der hat seine Rechnungen mitsamt aller Details aufgeschrieben – im Februar 1802. „Der Tosse-Hof verschwand schließlich in den 1970ern“, sagt der Familienforscher, der die Kartons samt historischem Inhalt vor rund fünf Jahren von der damaligen Bewohnerin entgegennahm („unter Tränen“).

Margarethe Menze habe immerhin das Ende ihres Hof miterleben müssen. Im Gespräch mit Manfred Driehorst erzählte sie einmal, wie sie damals an einem Dienstag ausgezogen seien: „Am darauf folgenden Tag wollten wir noch einige Sachen nachholen. Schmerzlich mussten wir erleben, dass das Parkett bereits herausgerissen war und das Treppengeländer fehlte.“ Nur eine Woche später sei von dem prächtigen Hof nichts mehr zu sehen gewesen, „selbst die wunderschöne Bruchstein-Mauer, die den Hof umgab, war dem Erdboden gleich gemacht worden“.

Einer der ältesten Höfe in Horst

Der Hof Tosse galt als einer der ältesten im Raum Horst, erstmals erwähnt 1332 – gegründet wurde er möglicherweise bereits im 11. oder 12. Jahrhundert: zunächst unter dem Namen „Teylen to Boel“, 1547 wird der Name Tosse in Steele genannt, wo Hindrich Tosse als Einwohner erwähnt wird. Auch mit dieser Familiengeschichte hat sich Manfred Driehorst befasst. Bis zum Abriss sei der Hof als landwirtschaftlicher Betrieb geführt worden. Er lag nahe der Ruhr, wo nun ein Radweg entlang führt, wo Gerresheimer seine Produkte aus Glas und Kunststoff fertigt.

Für die letzte Hofbewohnerin sei der Verlust doppelt bitter gewesen, sagt Manfred Driehorst. Denn die Horsterin verlor ihr Zuhause, und das wegen Plänen, die damals gar nicht umgesetzt worden seien: „Die Straße wurde nicht gebaut.“ Heute erinnert die Straße Tossens Büschken an den Bauernhof.

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